12 Juni 2020

Büchervernichtung

Mit diesen Gedanken wage ich es, meine persönliche Meinung öffentlich zu verbreiten und lehne mich dabei ganz weit aus dem Fenster. Vieles in der Geschichte registrieren wir, nehmen es als gegeben hin und hinterfragen die Fakten nicht vollständig. Ganz spannend ist der (meistens schmerzliche) Übergang der planwirtschaftlichen DDR-Wirtschaft zur marktorientierten und freiheitlichen BRD-Wirklichkeit. Viele Bücher und Abhandlungen sind über dieses weite und bedeutungsvolle Thema geschrieben worden. Ein Ereignis unter vielen und leider etwas in Vergessenheit geraten, ist die Büchervernichtung durch den Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel 1991. In einem unvorstellbaren Ausmaß, man spricht auch von der größten bekannten Büchervernichtung aller Zeiten, sind wertvolle Kulturgüter verbrannt, verschüttet und entsorgt worden. Der Bestand von LKG, dem zentralen Buch- und Auslieferungslager der DDR, umfasste damals mehr als 10 Millionen Büchern, die im Zuge der Deutschen Wiedervereinigung zunächst Papiermühlen übergeben wurden oder im Berliner HKW verheizt wurden. Später sollen unzählige Bücher aus dem LKG auch einfach im Tagbau bei Leipzig verschüttet worden sein. Zu diesen Büchern kamen noch Lagerbestände aus dem Volksbuchhandel und ganze Betriebsbibliotheken. Unterschiedlichen Berichten zufolge ist es 1991 insgesamt zur Zerstörung von 30 000 bis 70 000 Tonnen Büchern gekommen, das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel sprach 1991 gar von möglicherweise 500 000 Tonnen.

Mehrmalige „Bereinigungen“ der Lagerbestände der Buchhandlungen führten zudem zu Müllbergen aus Büchern. Teilweise wurde zuvor noch versucht die alten DDR-Bestände zu Tiefstpreisen zu „verrammschen“, doch ein zu geringes Kaufinteresse machte den kartonweisen Abtransport der Bücher in die Papiermühlen vordergründig unumgänglich.

Die Unabhängige Autorengemeinschaft „Als Zeitzeugen erlebt“ sieht die Büchervernichtung als Indiz für die bewusste Vereinnahmung der DDR durch die BRD. Der Verband deutscher Schriftsteller wurde erst nach 1991 auf die Dimensionen der Vernichtung aufmerksam und reagierte (leider viel zu spät) mit Protest, während in der Presse die Problematik weitgehend unbeachtet blieb.

Nach meiner Auffassung war diese Vernichtung von Kultur eine große Marktbereinigung. Schlicht und einfach und dabei rein sachlich. Über das moralische Erheben vieler Zeitgenossen, wie schlimm waren z.B. Büchervernichtungen oder Bücherverbrennungen in anderen Zeiten, kann ich nur müde lächeln und für mich ist es eine fadenscheinige Doppelmoral. Ich will nichts relativieren, klein reden oder entschuldigen. Wie sagte schon Heinrich Heine:

„Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“

Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Hans-Georg Fischer, Naumburg (Beitrag vom 6. November 2018)

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