04 Juli 2020

Helga Königsdorf: Meine ungehörigen Träume



Schreiben wollte ich bereits als Kind. Mit sechzehn verfaßte ich ein blutrünstiges Drama, worüber alle gewaltig lachten. Es mangelte mir an menschlicher Reife, denn ich begriff nicht, daß mir damit etwas sehr Schwieriges gelungen war. Ich wandte mich anderen Dingen zu, über denen ich meine schriftstellerische Berufung aus den Augen verlor. Ich unterzog mich willig sämtlichen Frauenförderungsmaßnahmen, erwarb fast alle "Abzeichen für gutes Wissen" und leistete meinen Beitrag zur Reproduktion der DDR-Bevölkerung. Als ich mein altes Vorhaben längst endgültig vergessen hatte, brachen die vorliegenden Geschichten völlig ungerufen aus mir heraus. Damit möchte ich mich keineswegs vor der Verantwortung drücken, vielmehr sehe ich meinem unvermeidlichen Schicksal, nach Erscheinen dieser Geschichten ein unbemanntes Dasein fristen zu müssen, gefaßt ins Auge.
Helga Königsdorf

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 4. Auflage 1984
Edition Neue Texte
Schutzumschlagentwurf: Heinz Hellmis
Abbildung: Horst Sakulowski

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.