17 Juni 2023

Gerhard Scherfling: Konzeption für einen Mord

Kurz vor Weihnachten, nach der Hauptprobe zu »Hoffmanns Erzählungen«, fällt Oberspielleiter Pernwitz im Kreistheater Karlsberg in die Versenkung! Der Sturz endet tödlich. Ein Unfall? Hauptmann Markus und die Genossen der MUK sind skeptisch: Eine Bühnenversenkung muß gekennzeichnet und beleuchtet sein. Die Kriminalisten entdecken zwei Glühbirnen in der Nähe des Unfallortes. An beiden befinden sich keine Fingerabdrücke, aber die gleichen Fasern eines Leinentuchs. Angehörige des Theaters verhalten sich merkwürdig teilnahmslos oder nervös, mancher gibt nur widerstrebend Auskunft, manche Antwort entspricht nicht der Wahrheit. Welches ist das wirkliche Motiv für das Verbrechen: Eifersucht, Mißgunst, Willkür des Regisseurs, Requisitendiebstähle, Demütigung? Und dann diese skizzenhafte Zeichnung... Ist sie gar der Hinweis auf ein noch raffinierteres Verbrechen?

Buchanfang
Der schräge alte Riß im Garderobenspiegel zerschnitt das fettglänzende Gesicht Claudia Bordins in zwei ungleiche Hälften. Sie beugte sich vor, bewegte den Kopf. Grotesk, wie sich das Gesicht veränderte – verzerrte. Eine ideale Maske für ›Hoffmanns Erzählungen‹. Schade, daß man so nicht auf die Bühne konnte. Vielleicht wäre Eberhard dann endlich einmal zufrieden.
Das Abschminkpapier klitschte vor Fett.
Im Lautsprecher über der Tür krachte es, und im gleichen Augenblick war der enge Raum voll von pochenden und hämmernden Geräuschen. »Die Solisten sofort zur Kritik ins Konzimmer«, meldete sich Westhausens gehetzte Stimme. »Ich wiederhole: Alle Solisten sofort zur Kritik ins Konzimmer... Herr Pernwitz wartet schon!« Ein erneutes Krachen schnitt wie eine Schere den Lärm ab. Für einen Moment war das Graupeln des Schneeregens gegen die Fensterscheiben zu hören. »Unser guter Westhausen scheint wieder mal ganz schön mit den Nerven fertig zu sein. Das hörte sich ja an, als ob ein Hund bellt.«
Claudia Bordin war zusammengezuckt, sie hatte das Eintreten ihrer jüngeren Kollegin nicht bemerkt. »Seitdem er Inspizient ist, kann er nicht anders«, sagte sie gleichgültig und wischte sich das Fett aus den Augenwinkeln. »Vielleicht wären wir an seiner Stelle auch so.« Sie knüllte das schmutzige Abschminkpapier zusammen und warf es in den Papierkorb. »Du bist noch im Kostüm, willst du dich nicht auch fertigmachen?«
»Eberhard war so nett, meine Kritik vorzuziehen. Außerdem hatte er kaum etwas für mich.« Beritt Mansfeld trällerte ein paar Takte aus der Olympia-Arie und setzte sich vor ihren Spiegel.
Er hat dich zur Seite genommen, weil er seine neue Flamme nicht vor den Kollegen blamieren wollte, dachte Claudia.
»Wie schön für dich!«


Mitteldeutscher Verlag Halle - Leipzig
K-Reihe 

1. Auflage 1980
2. Auflage 1982
3. Auflage 1984

Umschlag: Stefan Duda

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