22 Juni 2023

Helmut Baierl: Die Köpfe oder Das noch kleinere Organon

"Man soll es nicht tun! Wirklich, man soll alte Geschichten nicht aufwärmen, das führt zu nichts." Das jedenfalls meinte der Autor dieses vergnüglich zu lesenden Buches nach der Wiederbegegnung mit einer Jugendliebe.
Sicher, aufwärmen soll man nicht. Aber es gibt alte Geschichten, die nicht vergänglich sind und nicht vergessen werden dürfen. Deshalb ist ein dichtender Parteisekretär einfach gezwungen, über ein großes Kapitel Theatergeschichte zu erzählen, das er als "Politischer Kopf" in einem weltberühmten Ensemble erlebte. Zumal es der Abstand der Jahre ermöglicht, mit Spaß und Ironie, selbstverständlich verfremdet, über bekannte "Mitköpfe" zu fabulieren und dem Publikum den begehrten Blick hinter die Kulissen zu gestatten.
Also: Man soll alte Geschichten lebendig machen, und das führt zu etwas, nämlich dazu, daß der Leser in den Genuß einer fröhlichen Lektion kommt über "Einfühlungen", "V-Effekt", "Probenarbeit", "Fabelfindung", "Gestus" (?) und auch "Geschichtenerzählen" und daß er einbezogen wird in einen Prozeß heiterer Selbstverständigung über eine bewegte Zeit am "Theater des Großen Rauchers".

Vorrede
Obschon in dem Augenblick, da der ahnungslose Leser diese Zeilen liest, die Tragödie nicht mehr aufzuhalten sein wird, weil das Buch bereits in seiner Hand ruht, möchte ich trotzdem, sozusagen als experimentum finale, es nicht unterlassen, ihn mit allem Nachdruck vor der Lektüre des folgenden zu warnen oder, falls auch die Warnung nichts fruchtet, doch wenigstens zu bitten, das, was da an Faktenmaterial geschrieben steht, als das zu nehmen, was es ist: Erlebnisse eines Politischen Kopfes, der gar nicht anders kann, als alles durch seine ihm eigens zugemessene Brille zu sehen, und tatsächlich nur das Theater des Großen Rauchers und kein anderes beschreibt, weswegen jeder Bezug zu lebenden oder verstorbenen Personen, zu hiesigen Orten und Handlungen, soweit sie nicht mit ihrem wirklichen Namen benannt sind, schon a priori als absurd abgelehnt werden muß.
Hinzu kommt, daß sich alle Geschichten um einen Zeitraum von zehn Jahren ranken, der längst tiefer Vergangenheit angehört, so daß das hier vorliegende Bild eines erfundenen Theaters, selbst dort, wo es trotzdem zum realen Vergleich provoziert, durch Hegels List der Vernunft so sehr an der Realität vorbeigeht, daß das P. P. Publikum, das ich, wie gewohnt, auch hier vor mir sehe, höchstens aus der Nichtübereinstimmung des Gezeichneten mit dem Wirklichen ästhetisches Vergnügen, sofern solches überhaupt eintritt, ziehen kann und das
große, schöne, in der Realität unserer Tage wirkende Theater, vieler Menschen künstlerische Heimat, nur um so blendender abschneiden muß. Das ist, in kurzem gesagt, der mich hoffentlich rechtfertigende Grund zur Veröffentlichung jener Blätter, die ihren Weg nunmehr in Ihre Hand nahmen.
Obige Einschränkung vorausgesetzt, Herrschaften, versichere ich, daß ich nichts geschrieben habe als die einfache, reine, verschlungene, harte, schöne, traurige, lustige und ehrliche Wahrheit.

Autor:
Helmut Baierl
Jahrgang 1926, Oberschüler, Luftwaffenhelfer, Soldat, Landarbeiter, Demontagearbeiter, externer Abiturient, Student, Russischlehrer, wieder Student, Dozent an verschiedenen Instituten der Erwachsenenbildung, Laienspielautor, Theaterkritiker, Stückeschreiber, Absolvent des Literaturinstitutes, Verlagslektor, Dramaturg, Dramatiker, Übersetzer, Filmszenarist. Er schrieb u. a. die Stücke „Die Feststellung“ (1957); „Frau Flinz“ (1961); „Szenen vom Dreizehnten“ (1962); „Johanna von Döbeln“ (1968); „... stolz auf 18 Stunden“ (1975); „Die Lachtaube“ (1975); „Leo und Rosa“ (1983) und die Geschichten „Die Köpfe oder Das noch kleinere Organan“ (1974).

Inhalt:
Vorrede ...... 7
Der V-Effekt ...... 9
Gestus ...... 16
Fabelfindung ...... 23
Klassenkampf ...... 34
Widersprüche ...... 43
Einfühlungen ...... 49
Beobachtungen ...... 52
Antagonismen I ...... 58
Probenarbeit ...... 71
Antagonismen II ...... 74
Geschichtenerzählen ...... 83
Abbilder ...... 93
Schauspielkunst ...... 98
Witze ...... 102
Nicht-Antagonismen ...... 111
Haltungen ...... 129
Nachrede ...... 139

Schutzumschlagentwurf Heinz Hellmis
Schutzumschlagzeichnung Herbert Sandberg

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
Reihe: Edition Neue Texte
1. Auflage 1973
2. Auflage 1974
3. Auflage 1986

 

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