12 März 2021

Adalbert Stifter: Der Hochwald - Erzählungen

Adalbert Stifters Erzählung "Der Hochwald" (1844) bezeichnet den Ort in der Chronologie seines Werkes, an dem sich zum erstenmal jener unverwechselbare ruhig-maßvolle Erzählton rein und voll entfaltet, der das Schaffen des Dichters bis hin zum "Nachsommer" bestimmt. Standen seine erzählerischen Anfänge noch ganz im Zeichen Jean Pauls, Tiecks und E. T. A. Hoffmanns, so bildet sich von nun an mit der Ausprägung einer eigenen Welt-Anschauung, die das evolutionäre Prinzip betont, sein charakteristischer Erzählstil immer weiter aus. Später hat Stifter die Erzählung kritisch betrachtet: "Ich habe eigentlich einen gegebenen Stoff nie bearbeitet. Im ,Hochwalde' habe ich die Geschichte als leichtsinniger junger Mensch" - immerhin war er damals 35 Jahre alt - "über das Knie gebrochen und sie dann in die Schubfächer meiner Phantasie hineingepfropft. Ich schäme mich jetzt beinahe jenes kindischen Gebarens." Ohne es auszusprechen, spielt Stifter hier auf ein Faktum an, das erst mehr als 100 Jahre nach Erscheinen des Erstdrucks entdeckt wurde: er hatte tatsächlich nach einem "gegebenen Stoff" gearbeitet, nach einer literarischen Vorlage nämlich, der "Wildtöter"-Erzählung J. F. Coopers, die gerade in einer Übersetzung vorlag. Wie wenig freilich ein Plagiatsvorwurf berechtigt ist, macht nicht nur die späte Entdeckung dieser Anleihe klar, sondern auch die gänzlich anders geartete Motivierung. Stifter ging es um die Ächtung des Krieges als Mittel der Auseinandersetzung zwischen Menschen, und er entwickelte dieses Motiv in einer Kunstsage, der Sage vom Untergang der Burg Wittinghausen im Dreißigjährigen Krieg; deren Ruine nahe dem Geburtsort Oberplan beschäftigte schon die Phantasie des Kindes, der Student Stifter hat sie mehrmals gemalt. Die Figuren dieser Kunstsage sind freilich Zeitgenossen Stifters, besonders der alte Gregor, der Mythen auflöst, ohne die Natur zu entzaubern - oder wie er seine Schützlinge lehrt: der Hochwald und sein See seien wunderbar, "ohne daß die Menschen erst nötig hätten, ihre Fabeln hineinzuweben".
Auch die Geschichten derer von Scharnast knüpfen an Lokalgeographisches: Scharnstein im Almtal (Voralpenland), damals im Besitz des Stiftes Kremsmünster, kannte Stifter wohl schon aus seiner Schülerzeit; westlich des Traunsees zieht sich die grüne Fichtau dahin, dort liegt auch der Rothenstein. Beide Erzählungen waren gedacht als Teile einer Trilogie, in deren Mittelpunkt die "Mappe meines Urgroßvaters" (bb 390) stehen sollte. Der Obrist in den Aufzeichnungen des Doktors ist jener verschollene Julius von Scharnast, dessen Tochter der Doktor später zur Frau nimmt, womit der bürgerliche Zweig der Familie begründet wird. Später Nachkomme dieser Linie und Zeitgenosse des Erzählers ist Heinrich, der durch die Heirat mit Anna, der Tochter des Fichtau-Wirtes, das Kompromiß zwischen Burg und Tal herbeiführt oder anders die Feudalwelt ablöst. "Prokopus" (1847) wie "Die Narrenburg" (1844) umspielen so Themen, die für das Gesamtwerk Stifters prägend werden. Sie lehren den Sinn des Gesprächs zwischen Menschen und zeigen die verheerenden Folgen, wenn dieses Gespräch unterbleibt; sie verkünden Stifters Glauben an die sanfte Macht der Erziehung - sie führen das Walten des Stifterschen Sittengesetzes in schönen Bildern vor, dessen Extrakt ein Landsmann Stifters, Ernst Weiß, so wiedergab: "Laßt wachsen! Baut Häuser. Lehret die Kinder. Sammelt! Bedeckt die Wunden mit weicher Leinwand, faßt den Menschen mit Behutsamkeit, denn das Edelste ist das am leichtesten Verletzbare. Seid werktätig."

Adalbert Stifter (1805-1868); Sohn eines Leinewebers und Flachshändlers, nach dem frühen Tod des Vaters bei den Großeltern aufgewachsen; Besuch des Gymnasiums der Benediktinerabtei Kremsmünster, dort auch erste Versuche als Landschaftsmaler; 1826-1830 in Wien Studium der Rechte, dann der Naturwissenschaften und der Geschichte ohne Abschlußprüfung; dürftiges Leben als Hauslehrer in adligen Häusern; 1848 Umzug nach Linz; Zuschrückschrecken vor der (zuerst begrüßten) 48er Revolution; 1850 Inspektor des Volksschulwesens in Oberösterreich; Verständnislosigkeit der Behörden gegenüber seinen humanistischen Bildungsplänen und jahrelange schwere Krankheit zerrütteten den Dichter; am 28. Januar 1868 gab er sich in einem Anfall von Schmerzen selbst den Tod.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1982
bb-Reihe Band 483
 

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