28 Oktober 2022

Rudolf Hirsch: Patria Israel


 Haifa 1940. – Das Schicksal der „Patria“ hält verschiedene Menschen in höchster Erregung. Für Georg Samson – selbst ein nach Palästina Geflüchteter – beginnen Tage schwerster Prüfung. Mitten in diesem Krieg kommen Schiffe – voll mit Flüchtlingen, vor dem Zugriff der deutschen Faschisten gerettet. Was wird mit der „Patria“ geschehen? Ein Anschlag soll auf dieses Frachtschiff, übervoll beladen mit 1900 Flüchtlingen, verübt werden. Wird es gelingen, das mörderische Geschehen aufzuhalten? War Lore Spiro, der ihm teuerste Mensch, auf dem Schiff? Rudolf Hirsch enthüllt in diesem aktuellen und zugleich tief persönlichen Roman die Hintergründe eines Sprengstoffanschlags und vermittelt durch eigenes Erleben ein umfassendes Bild jener Zeit.

Zwei Motive aus dem Machsor Lipsiae sind für den Schutzumschlag ausgewählt worden, beide aus dem 2. Teil dieses Werkes. Auf der Vorderseite ist ein Motiv des Blattes 181 verwendet worden. Im Original ist darauf das Gebet zum 1. Tag des Laubhüttenfestes (Sukkoth). Die Gestalt neben dem Text trägt den traditionellen Feststrauß zu diesem Fest, bestehend aus Palmenzweig, Weidenzweig und dem Etrog, einer Zitrusfrucht. Unter dem Text die zwei biblischen Ungeheuer aus dem Buch Hiob, Leviathan und Behemoth, die zu Wasser und zu Land die Menschheit bedrohen.
Das bebilderte und hervorgehobene Anfangswort „Achtir“ bedeutet: „Ich werde bekränzen.“

Auf der Rückseite des Schutzumschlags ist das ganze Blatt 165 aus dem 2. Teil des Machsor Lipsiae abgebildet. Auf dem Blatt beginnt das Nachmittagsgebet zum höchsten Feiertag, zum Versöhnungsfest (Jom Kippur). Die untere Illustration zeigt Szenen aus dem Leben des Urvaters Abraham, seine wundersame Errettung von einem brennenden Scheiterhaufen. Ganz links bittet der Kerkermeister König Nimrod um Gnade für Abraham. In der Mitte Abraham mit seinem Bruder Nahor, die sich beide weigern, die Götzen Nimrods anzubeten. Das bebilderte Wort am Kopf des Blattes Ejtan bedeutet: „Ein Starker“.

Buchanfang
(An Edom!)
Ein Jahrtausend schon und länger
Dulden wir uns brüderlich,
Du, du duldest, daß ich athme,
Daß du rasest, dulde ich.
Manchmal nur, in dunkeln Zeiten,
Ward dir wunderlich zu Muth,
Und die liebefrommen Tätzchen
Färbtest du mit meinem Blut!
Jetzt wird unsre Freundschaft fester,
Und noch täglich nimmt sie zu;
Denn ich selbst begann zu rasen,
Und ich werde fast wie du.

Heinrich Heine
Aus einem Brief an Moses Moser vom 25. Oktober 1824

Epilog

Lea Grundig, die große Graphikerin, die große Erzählerin, war auf der „Patria“. Sie hat den Untergang miterlebt. Sie hat ihn beschrieben in ihrem Buch „Gesichte und Geschichte“. Mit ihr habe ich mich oft über ihre Erlebnisse auf der „Patria“ unterhalten.

„Da ging es wie ein Stoß durch den Körper des Schiffes. Siehe, es schwankt. Es legt sich, den elenden Kästen gleich, auf die Seite. Wir stehen und staunen. Und es ist fast komisch. Fast warten wir, daß der Kapitän rufen wird: ‚Alles auf die andere Seite!’ Aber auf einmal ist jeder für sich allein. Sucht jeder für sich nach Rettung. Das große Schiff legt sich um wie ein getroffenes Tier, etwas hat seine Eingeweide zerrissen.
Die Menschen, die es trägt, sind sie am unteren Bord, so sind sie verloren. Taue, Balken, Kessel, es stürzt auf sie herab und erschlägt sie. Ein wildes Schreien bricht aus. Wirre, schreckliche Bilder, die das Hirn kaum verarbeitet; nur ein klarer Gedanke, Leitmotiv für alles Tun: Rette dich, das Schiff geht unter.
Ruhig überlegte ich mir: Was tun? Zuerst fort vom Deck, über das Geländer hinüber. Damit war ich eigentlich in Sicherheit. Nur den aus dem Wasser herausragenden Rumpf hinunter. Der Mantel würde mich beim Schwimmen hindern – also weg mit ihm. Mit Staunen sah ich den feuchten, geteerten Schiffskörper, der sonst nicht sichtbar im Wasser liegt. Algen, Muscheln, kleine Tiere hatten ihn in eine lebende Wand verwandelt. Ich rutschte und glitt sie hinunter, und dann zogen mich helfende Arme ins Boot. So eilten viele Boote herbei und retteten die Überlebenden.
Im Hafen von Haifa, einem der schönsten Häfen, im Angesicht der Stadt, ging ein Schiff unter. Es wurde auf die Seite geworfen, die Treppen wurden unbegehbare Brücken, Stationen entsetzlichen Sterbens. Trauben verzweifelter Menschen hingen an den Geländern, bis sie hinabfielen. Stärkere drängten nach vorn, einander tretend und von Todesangst gequält, erstickten und ertranken sie in den eindringenden Wassern. Ich sah noch, wie einige sehr fromme Menschen, anstatt einen Ausweg zu suchen, sich in die Knie warfen und gellend beteten, ich sah die schreckliche Wirkung der panischen Angst, die den Menschen jegliche Besinnung raubte.
So starben 220 Menschen, gekommen, um zu leben es starben die Kranken in den Betten, es starben jene, die sich in den Kajüten verweilt hatten, es starben jene, die hinuntereilten, um ihre Habe zu retten."
In einem irrte Lea Grundig. Später hat es die Haganah veröffentlicht: 250 Menschen kamen beim Untergang der „Patria“ ums Leben.

Ich muß aus dem Versteck Georg Samson herausgehen. Vielleicht aber war Georg Samson gar keine Figur aus einem Versteckspiel. Er war eher der Mittler, der Vermittler, dem es erlaubt ist, Wunderliches als wunderlich, Schmerzhaftes als schmerzhaft zu benennen, Großes als groß und Kleines als klein zu bezeichnen in einer unaufdringlichen Art, die das Ich aus einer gewissen Scheu vor dem Lauten und vor den Ausrufezeichen: Seht her, ich bin's, aussparte.
Ja, ich sah dieses Land mit meinen Augen, als ein Beteiligter. Und so ist dieses Buch entstanden, das auch eigenes Leben beschreibt. Aber das Leben eines Menschen ist kein Roman. Es besteht aus vielen Tagen, und jeder Tag hat seine Erzählung. Aber nicht jeder Tag ist des Schreibens wert. So habe ich vieles verkürzt und verdichtet in beiden Bedeutungen des Wortes – Wahrheit und Phantasie.
Es ist ein sehr persönliches Buch, die Umstände sind so beschrieben, wie sie sich mir darstellten. Aber nicht alles kommt aus meinem Gedächtnis, geschweige denn aus meiner Phantasie.
Bei der Schilderung der Begebenheiten um die „Patria“, wie sie im Hafen vor Haifa lag, habe ich mich vor allem auf den Bericht von Munya M. Mardor gestützt, der sich seiner Mitwirkung am Untergang der „Patria“ rühmt, in seinem Buch „Haganah“, erschienen im Verlag The New American Library in New York. Mardor, nach seiner eigenen Darstellung, war es, der die beiden Höllenmaschinen auf die „Patria“ gebracht hat. Das Buch „Haganah“ wird mit einem Vorwort von David Ben Gurion eingeleitet, der in dem 1948 begründeten Staat Israel Ministerpräsident wurde.
Keiner der Männer, die an dem Untergang der „Patria“, an diesem Verbrechen, mitwirkten, ist je in Israel wegen Mord zur Verantwortung gezogen und verurteilt worden. Im Gegenteil, die Täter bekleideten und bekleiden noch heute in der legalen israelischen Armee und in ihrem Geheimdienst hohe Posten. Daß diese Untat von der höchsten Stelle des heutigen israelischen Staates gebilligt wurde, ja angeordnet, ist nie bestritten.
Nie aber darf man bei der Bewertung der Ereignisse vergessen, daß dieses Geschehen eine Folge der barbarischen Judenmordpolitik der deutschen Nazis war. Ungezählte jüdische Menschen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Holland, Belgien und Luxemburg, aus Polen, der Sowjetunion, aus Rumänien, Ungarn, der Tschechoslowakei, auch aus Griechenland, Italien, Jugoslawien und Bulgarien, den baltischen Staaten, aus Dänemark und Norwegen fielen der faschistischen Mordindustrie zum Opfer.
Nicht alle Ermordeten dieser nazistischen Verbrechen, nicht alle Opfer auf der „Patria“ waren Kämpfer. Sie waren in der Mehrheit Menschen des bürgerlichen Alltags. Keine Helden. Menschen mit unverwechselbaren Eigenschaften. Oft eigenwillig. Menschen mit dem Anspruch, ihr Leben nach ihrer Weise zu gestalten. Ihrer soll in diesem Buch liebevoll gedacht werden.
Ich habe mich bemüht, die Menschen, die mir begegnet sind, so zu schildern, wie sie waren oder richtiger, wie ich sie heute sehe. Viele von ihnen sind in den Vernichtungslagern umgekommen. Ich meine, daß es richtig ist, wenn ich sie nicht mit vollem Namen nenne. Genauso halte ich es mit den Personen, die heute noch leben. Wenn einige glauben, sie würden sich in diesem Buch wiedererkennen, mögen sie mir verzeihen. Einige wenige, die wesentlichen Anteil an meiner Entwicklung genommen haben, nenne ich mit vollem Namen.
Mein Freund und Genosse, der Chefredakteur der „Wochenpost", Kurt Neheimer, gab mir den Anstoß zu diesem Buch. Er, der selbst als Fünfzehnjähriger 1940 auf einem dieser Totenschiffe vor den Gaskammern gerettet wurde – durch eine Kommunistin, die illegal im Palästinaamt arbeitete –, hat durch seinen Rat, seine Erfahrungen und durch sein tiefes historisches Verständnis meine Arbeit gefördert.
Einige Erkenntnisse über die Entstehung des Leipziger „Machsor“ verdanke ich den Erläuterungen von Hauptrabbiner Elias Katz, Bratislava, und Dr. Bezalel Narkiss, Jerusalem, Erläuterungen, die der Ausgabe der achtundsechzig Faksimiletafeln von Edition Leipzig (1964) beiliegen. Das mit den eigenen Augen Gesehene prägt sich tiefer ein als das nur mit dem Verstand Erfaßte. Und mit den eigenen Augen sah ich: Seinen ursprünglichen Zweck konnte der Zionismus nicht erfüllen, er wollte dem Judenhaß oder dem modernen Antisemitismus etwas entgegensetzen, die Heimstatt für die verfolgten Juden, den Judenstaat.
Ich erkannte, der ursprüngliche Zweck konnte nicht erreicht werden, im Gegenteil, durch die Siedlungs- und Vertreibungspolitik wurden die großen arabischen Völker – selbst der Sprache nach Semiten – zu erbitterten Feinden des Staates Israel. Völker, die bisher einen Judenhaß nicht gekannt hatten. Ich sehe immer noch die Augen eines mir unbekannten, alten Arabers.
Nun, aus dem „Versteck Georg Samson“ getreten, sehe ich mich an einem engen, dunklen Platz stehen, vor einer alten, aber noch brauchbaren Schuhmacherkombinationsmaschine.
Der Staat Israel war inzwischen gegründet, arabisches Gebiet erobert. Noch herrschte Kriegszustand, eine Ausreiseerlaubnis war nicht zu bekommen.
Der Sandalenmacher Adam Siegel– in Georg Samsons Geschichte so benannt – hatte, wie in jedem Winter, seine Bude dicht gemacht. Keine Saison für Sandalen.
Bei einem kleinen Schuhfabrikanten, der seinen Betrieb in das von der israelischen Armee eroberte Jaffa verlegt hatte, fand ich Arbeit als Schuhfräser. Jaffa, Schwester- oder, besser gesagt, Mutterstadt von Tel Aviv.
Es war ein heller Dezembertag im Jahre 1948. Aber in dieser dunklen Werkstatt, diesem schmalen, tiefen, offnen Gewölbe, mußte ständig Licht brennen, sonst hätte ich meine Arbeit nicht sauber ausführen können, das Fräsen der Sohlen und der Absätze.
Da stand ich nun in diesem Gewölbe und fühlte mich plötzlich von draußen her beobachtet. Und ich sah vor mir, auf der Straße, einen alten Mann, einen Araber. Er trug die traditionelle Tracht, das große schwarz-weiße Tuch um den Kopf geschlungen. Er blieb lange stehen und schaute unverwandt meiner Arbeit zu. Schweigend.
War er es, der vor mir hier an dieser Maschine gestanden hatte? Nun aus seiner Werkstatt, dem Platz seiner Arbeit, vertrieben? Seiner Existenz beraubt? Auch durch mich verdrängt? Auch durch mich vertrieben, der ich selber ein Vertriebener war? Ein Deutscher, aus jüdischer Familie, von den Nazis aus seiner Heimat gejagt, macht er sich schuldig? Wird durch ihn ein palästinensischer Araber brotlos?
Müssen die Vertriebenen Vertreiber werden? Die Verfolgten Verfolger?
Die Augen des alten Arabers habe ich nie vergessen.

Greifenverla zu Rudolstadt
1. Auflage 1983
2. Auflage 1984
3. Auflage 1987

Karl Sewart: 99 Ehen und eine Scheidung. Literarische Miniaturen

"Eine Ehe mit einem Weihnachtsmann

Er brachte ihr schon neue Kleider zum Anziehen und neue Süßigkeiten zum Naschen und was sie sich sonst noch wünschte, und er hörte ihr schon so andächtig zu, wie brav sie wieder gewesen sei, als sie noch ein kleines Mädchen war.
Nun, mittlerweile ist sie groß geworden. Er aber, er aber ist ihr Weihnachtsmann geblieben."

Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig, 5. Auflage 1985

 

Richard Roht: Tiergeschichten


Buchbeginn

Der Dachs Brummelbart
In einem niedrigen Sandhügel, umgeben vom Sumpf, lebte der junge Dachs Brummelbart. Der Sumpf war groß, er war mehrere Kilometer lang und breit. Der Sandhügel bildete darin eine kleine Insel, worauf prächtige Sträucher und Bäume wuchsen: Birken, Espen, Erlen, Weiden. Im Sumpf dagegen standen nur kümmerliche Kiefern, denn dort war es stets feucht und naß, überall gab es weiche Stellen, morastige Kuhlen, mit Moos überwachsene gluckernde, blubbernde Tümpel. Wurden sie von Mensch oder Tier betreten, quoll aus ihnen kaltes, gelbes Wasser oder gar eine übelriechende rostfarbene Brühe hervor.

Tallinn Oerioodika 1988
Übersetzung aus dem Estnischen: V. Sepp
Gestaltung: P. Rea

Heinz Kahlow: Mir ist so, als ob wir uns kennen


 Leseprobe

Lied einer Geflügelfarmbrigadierin

Wenn der Abend sinkt auf Wald und Wiese,
steigt der Mond aus dem Holunderstrauch.
Jeder Hans nimmt sich dann seine Liese,
und mein Dieter kommt und nimmt mich auch.
Wenn wir beide durch das Dunkel wandern
und dann querfeldein zum Wäldchen ziehn,
dann erzählt er wenig von den andern,
und ich merke, sie verspotten ihn.
Ach, sie könnens einfach nicht verdauen,
Dieter liebt nur ganz alleine mich.
Seine Freunde haben je zwölf Frauen,
nur im Bett sind sie allein mit sich.


Die Rohrlegerballade

An der Pumpe vor dem Tore
stand die schöne Hannelore,
und ein Knabe stand dabei.
Das geschah so Anfang Mai.
Es war nämlich diesem Knaben –
möge Gott ihn selig haben,
denn er überlebte nicht
diesen Mai und dies Gedicht –
nämlich, es war ihm befohlen,
Wasser aus dem Brunn zu holen,
womit das Problem begann.
Denn das Mädchen sprach ihn an:
,,Schenk dein Herz, laß dich nicht lumpen –
oder wenigstens mal pumpen!"
Vor dem Tore – Einsamkeit –
Mai!! – Da war er tatbereit.


Inhalt

Romanzen in Soll
(Berufliche Gesänge)

Wir kennen uns doch! ..... 7
Lied einer Geflügelfarmbrigadierin ..... 9
Seemannslied ..... 11
Der Kybernet ..... 14
Leere Menge ..... 17
Die Rohrlegerballade ..... 20
Alte Schriftsteller-Verbands-Hymne ..... 23
Vorschlag ..... 25
Der alte Lehrer ..... 26
Mann auf dem Kran, seine Stullen aus wickelnd ..... 28

Leise zieht durch mein Gestüt...
(Salonstücke für Tierfreunde)
Krallen und Flügel ..... 33
Ballade vom feurigen Rappen ..... 34
Veraltete Weisheit der sanften Tauben ..... 36
Die Fliege Emma Meier ..... 37
Schlangenbeschwörung ..... 40
Erklärung eines Hundes ..... 41
Die im Dunkeln ..... 43
In Erwartung eines Katers ..... 44

Saure Gurken - frohe Feste
(Feiertags-Chöre)
Lied des Hoffestsängers ..... 49
Randbemerkung zum 8. März ..... 52
Schloß und Park ..... 53
Am Tag vor der Hochzeit ..... 56
Alles ist Zwang! ..... 59
Die Ostereierballade ..... 60
Seltsam ..... 63
Bierhymne ..... 64
Ballade über die erschrecklichen Ereignisse einer Silvesternacht ..... 66

Automobilmachung
(Innere Weisen)
Automobilmachung ..... 75
Kleiner Besuch ..... 76
Memorial auf eine Petroleumlampe ..... 78
Die alte Schule ..... 80
Erfahrung ..... 81
Lernt lernen! ..... 82
Großer Wunsch ..... 84
Lied über die sozialistische Frömmigkeit ..... 85
Poetisches Bekenntnis ..... 88

Bette sich, wer kann
(Minnelieder)
Die Gaslaterne ..... 91
Die Neuerung ..... 92
Es gibt immer eine zweite Möglichkeit ..... 93
Neujahrslied eines Ungetreuen ..... 94
Manchmal... ..... 96
Eine sucht einen ..... 97
Am Scheideweg ..... 100
Gewesen ..... 103
Liebesbrief trotz mehrjähriger Ehe ..... 106
Jahreszeiten ..... 109


Eulenspiegel Verlag, Berlin, 1. Auflage, 1976
Illustrationen von Eberhard Binder-Staßfurt

Ernst Krause: Oper A-Z

Ernst Krause, Jahrgang 1911, Dresdner, Musikwissenschaftler, seit 1951 Musikkritiker in Berlin, summiert in diesem Buch Erfahrungen und Kenntnisse eines Lebens mit der Oper. Sein Standardwerk OPER A-Z, das zuerst 1961 erschien und seitdem viele Neuauflagen erlebte, liegt jetzt in einer erweiterten, überarbeiteten, auch äußerlich veränderten Gestalt vor, die verschiedene Werke ausscheidet und eine weit größere Zahl hinzufügt. Entstanden ist so über große Buchteile ein neues Manuskript: vieles auf Grund historischer, ästhetischer und praktischer Einsichten durchdacht, revidiert, ausgebaut, anders formuliert. Der Charakter eines handbuchartigen Opernführers für Musikfreunde, zugleich eines Kompendiums praktischer Theaterarbeit ist erhalten geblieben. Krause begnügt sich nicht mit Lebensabrissen der Komponisten aus dreieinhalb Jahrhunderten; er verfolgt die Spur ihres Schaffens, den Stellenwert in Geschichte und Gegenwart. Der Inhalt der Werke wird aktweise erzählt. Hauptteil des Buchtextes sind Darlegungen des historischen und gesellschaftlichen Hintergrundes sowie kritische Analysen von Stoff, Libretto, Musik. Auch die Werkgeschichte erhält breiten Raum: sie behandelt am konkreten Objekt alle Stadien der Entstehung von der Werkidee bis zur Realisierung auf dem Musiktheater. Abschließende Bemerkungen sind als Anreiz und Anregung zur Aufführungspraxis gedacht. Werkverzeichnis, präzise Hinweise auf Solobesetzung, Chor, Ballett und Orchester, Daten über Dauer der einzelnen Akte und (neu hinzugekommen) erreichbarer Schallplatten bilden für jedes Werk die informative Ergänzung. Ein Opernbuch ungewöhnlicher Materialfülle, das sich trotz wissenschaftlicher Exaktheit "wie ein Novellenband liest".

Neu aufgenommene Werke

Berg: Lulu
Dessau: Einstein
Dittersdorf: Doktor und Apotheker
Einem: Der Besuch der alten Dame
Geißler: Der zerbrochene Krug
Gershwin: Porgy und Bess
Haydn: Untreue lohnt nicht
Kodály: Die Abenteuer des Háry János
Kunad: Maître Pathelin
Matthus: Der letzte Schuß
Meyer: Reiter der Nacht
Paisiello: Der Barbier von Sevilla
Penderecki: Die Teufel von Loudun
Prokofjew: Die Liebe zu den drei Orangen
Puccini: Das Mädchen aus dem goldenen Westen
Purcell: Dido und Aeneas
Ravel: Die spanische Stunde
Rimski-Korsakow: Der goldene Hahn
Rosenfeld: Das alltägliche Wunder
Schönberg: Moses und Aron
Strawinsky: Oedipus Rex
Suchon: Krutnava
Telemann: Pimpinone
Wagner-Régeny: Die Bürger von Calais
Wolf-Ferrari: Susannens Geheimnis
Zimmermann, Bernd Alois: Die Soldaten
Zimmermann, Udo: Levins Mühle

Vorbemerkung

Wer sich mit der Oper beschäftigt, muß sie ernst nehmen. Dieses Buch bemüht sich, das Erscheinungsbild von über 150 Dokumenten des musikalischen Theaters im Geiste ihrer besonderen Haltung möglichst allseitig und wahr darzustellen. Versucht wird, auf dem jeder Oper entsprechenden Raum das Nötige über den historisch-gesellschaftlichen Hintergrund des Werkes auszusagen, zugleich aber Text und Musik nach Eigenart und Stil kurz zu beschreiben und zu charakterisieren. Bei der Auswahl hat sich der Autor mit Ausnahme einiger Werke, die zur geschichtlichen Orientierung der Gattung Oper unerläßlich schienen, an solche Äußerungen der Weltoper gehalten, die heute mit einer gewissen Regelmäßigkeit im Opernrepertoire der Deutschen Demokratischen Republik anzutreffen sind oder sich wenigstens an einigen Bühnen bewährt haben. (Zwangsläufig gilt diese notwendige Begrenzung auch für die Werke der Gegenwart.) Nicht Vollständigkeit, sondern Wesentlichkeit wird angestrebt. Geschrieben aus der Praxis, wird die Praxis zweifellos den handbuchartigen Opernführer weiterhin verändern...

VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig, 2., verbesserte und erweiterte Auflage 1978
1. Auflage 1976

Peter Tille: Sommersprossen. 666 aphoristische Gesichtspunkte

»Ich bin gar nicht gegen Romane. Ich bin immer daran interessiert, daß sich die Konkurrenz umständlich ausdrückt«, behauptet Peter Tille augenzwinkernd. 666 zugespitzt formulierte Gesichtspunkte zu Zwischenmenschlichem, Politischem, Erotischem, Künstlerischem bietet dieser Band. Was wäre gewesen, wenn Adam schlechte Zähne gehabt hätte; was gehört zur Grundausstattung eines Büros; was passiert, wenn jemand seine Frau öffentlich küßt; was haben Eltern zu erwarten, die Respekt verlangen?

Die Antworten, die Peter Tille auf solche Fragen gibt, sind kurz. Der Leser hat bei 666 Nachdenkangeboten die Entscheidung: »Es stimmt. Nun prüfe, ob es wahr ist.«




Leseprobe

Der ist mir zu gescheit, sagte der Mann,
als ihm der Hammer zum dritten Male
aus der Hand gefallen war.

Warum rechnet man die Köche nicht zu
den Künstlern? Sie haben keinen
Künstlerverband.

Wenn der Koch ein Asket ist, hungern die Gäste.

Engel heute haben einen Terminkalender,
einen Werkzeugkasten und eine Vorliebe
für Marx auf blauen Scheinen.

Nur einer kann dir alle deine Pflichten nennen: du.

Man wird nichts Ordentliches
unternehmen, wenn man sich nicht ab
und an auch übernimmt.

Mitteldeutscher Verlag, 1. Auflage 1983
2. Auflage / 1985
3. Auflage / 1990
Illustrationen Hans Ticha

27 Oktober 2022

Eva Zeller: Nein und Amen

»Ein Buch soll nach Franz Kafka die Axt sein für das zugefrorene Meer in uns, für das zufrierende Meer der Erinnerung und für das zufrierende des Gewissens. Es ist meine feste Überzeugung, daß wir mit den Jahren nicht weniger, sondern immer mehr zu tun haben mit dem tragischsten Jahrzwölft unserer Geschichte. Gerade bei wachsendem geschichtlichem Abstand dürfen die unmenschlichen Geschehnisse im ›Dritten Reich‹, die Ausrottung aller politisch Andersdenkenden im Lande und die tief gestörten Beziehungen zu anderen Völkern nicht verharmlost und verdrängt werden.« Diese Überzeugung ist es, die Eva Zeller veranlaßte, zu ihrem autobiographischen Kindheitsroman »Solange ich denken kann« eine Fortsetzung zu schreiben, obwohl sie das ursprünglich unter keinen Umständen tun wollte. Sie fürchtete, das Übermaß an schmerzlicher Erinnerungsarbeit nicht leisten zu können, das für ein zweites Buch notwendig war – galt es doch, die Zeit des Krieges und das Ende der Naziherrschaft darzustellen. Daß sie es schließlich doch tat, geschah aus der Erkenntnis heraus, daß der Stoff sich seinen Autor sucht, sich ihm solange in den Weg stellt, bis dieser sich entschließt, ihn zur Sprache zu bringen.

So schildert Eva Zeller, ausgerüstet mit ihrem heutigen Erkenntnisstand und sich zugleich in ihre eigene Vergangenheit zurückversetzend, ihre Jugend unter der Naziherrschaft, Studium, Liebe, Heirat, die Geburt des Kindes und den Verlust des Ehemannes. Das persönlich-menschliche Erleben ist ständig konfrontiert mit den politischen Ereignissen – dem unaufhaltsamen Ende der Naziherrschaft – und wird bestimmt von einer Flucht nach innen, zugleich aber auch vom Wachsen der Erkenntnis über das Wesen der Hitlerdiktatur. Innerlich dachte man bereits »nein«, hielt aber still und sagte weiterhin »amen«. Die Autorin bemüht sich um konsequente Aufarbeitung ihrer Erinnerungen, und es gelingt ein packendes Bild von jener Welt mit ihren hohlen, die Köpfe vernebelnden Phrasen und ihrer grausamen Menschenverachtung. Es wird dabei deutlich, wie die alles beherrschende Propaganda die Menschen in ihren Strudel mitriß und wie schwer es vielen werden mußte, sich aus ihr zu befreien und zu eigenem Erkennen durchzudringen.

»Man war jung. Ein Satz, den man oft hört, wenn von jenen fatalen Zeitläufen die Rede ist. Man war jung. Ein Satz, der um Nachsicht bittet. Man war jung. Ein Satz, der besagt, jeder meiner Generation habe zwei Leben, eins vor, eins nach 1945, und das zweite ist eine ständige Rechtfertigung und Korrektur des ersten, ein Zurechtrücken von Mißverstandenem, ein Wegräumen von Verfälschtem. Daß eine ganze Generation die eigene Jugend widerlegen muß, ist ohne Vorbild, denn noch nie ist einer Jugend dermaßen viel versprochen und so wenig gehalten worden.«

Evangelische Verlagsanstalt GmbH Berlin, 1. Auflage 1988
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart © 1986

 

Rolf Floß: Bedenkzeit

"Der Zufall, mit dem alles begann, ist leicht zu erzählen...", so beginnt dieses Buch von Rolf Floß. Aber der Zufall, der da mit einem Unfall auf nächtlicher Straße beginnt, hat weitreichende Folgen. Für den Erzähler der Geschichte, der vom Schlosser über Mühen und Jahre zum Stellvertreter des Werkdirektors wuchs und nun sein Ziel erreicht zu haben glaubt, die Leitung eines großen Betriebes, wird erwartet, daß er sich für eine andere Funktion zur Verfügung stellt, die eben durch jenen Unfall vakant wurde. Bedenkzeit, das heißt für ihn Zeit, zu überdenken, wie er geworden ist, was ihn bewegt und verändert hat und auch, ob er mit wirklicher Verantwortung die neue Funktion antreten kann. Wie er sich auch entscheiden wird, die Geschichte zielt nicht nur auf diesen Fakt, sondern sie vermittelt ein eindrucksvolles Bild von der gewachsenen moralisch-ethischen Bewußtheit heutiger Menschen, sie zeigt in interessanten Episoden und Geschichten Probleme unserer Zeit, unserer Gesellschaft, und sie fordert in ihrem moralischen Anspruch die Mitentscheidung und Bewertung durch den Leser.

Mitteldeutscher Verlag Halle (Saale), 1975
 

Rolf Floß: Tanzstunden eines jungen Mannes

Einer will ausbrechen, raus aus dem täglichen Einerlei, endlich die Welt erleben. Tanzstunden eines jungen Mannes, wo absolviert er sie? Da ist das Mädchen Anke, das er liebt und das ihn für sich haben möchte, und da ist Brüderchen, der ihm ein abenteuerliches Leben auf den Baustellen bietet. Heiter und ernst, wie das Leben selbst, sind die Erfahrungen des jungen Mannes, die er macht, als er Brüderchen an die Existenz des Teufels glauben läßt, als er einen folgenschweren Montagefehler entdeckt und ihn nicht für sich behält, als er mit seinem Mädchen nach Westberlin fährt, um es nicht nur für sich zu gewinnen. In alltäglichen und außergewöhnlichen Situationen muß Hagen vieles durchstehen, bis er sich selber findet, als andere wiederum denken, er sei ein Versager. Rolf Floß hat den Roman eines jungen Arbeiters geschrieben, hat dessen Entwicklung differenziert, vielschichtig und aus den Widersprüchen heraus gestaltet. Es ist ein Buch, das sich durch eine realistische Betrachtung der Verhältnisse auszeichnet. Ein aufregender, literarisch bedeutsamer Roman. 


Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig, 2. Auflage 1980?
1. Auflage 1979

26 Oktober 2022

Kurt Steiniger: Melde mich vom Knast zurück

Mißtrauen gärt hinter den kessen Reden Gert Pauliks. Seine Strafe ist zu Ende – ist sie zu Ende? Schon im möblierten Zimmer findet er alles Wertvolle vorsichtig beiseite geräumt. Darüber zuckt er noch die Achseln. Aber auch die Geliebte mag ihn vorerst nicht aufnehmen und gönnt ihm kaum einen Blick auf sein Kind. Jeden, der ihm den Übergang in die Freiheit kameradschaftlich erleichtern will, sucht er abzuschütteln: Kein Bedarf an Schulmeistern! Langsam findet er die ersten kleinen Ansätze zu neuem Selbstvertrauen und schließt sich

zögernd ein, zwei Menschen an.... Da verschwindet Geld am Arbeitsplatz, und wer hat –? Natürlich, heißt es, wer sonst als der „Knastbruder“?! Die von ihm selbst mißbrauchte Geduld der Kollegen ist erschöpft; leider ein paar Tage zu früh, denn der Verdacht gründet sich auf bloßes Gerede. Noch einmal hat Gert um die geliebte Frau geworben, ohne volles Vertrauen zu finden. Und nun gibt er auf. Mit einem alten Bekannten aus dem Gefängnis unternimmt Gert wirklich einen Einbruch. Da erlebt er, was Freundschaft vermag.

Greifenverlag zu Rudolstadt, 3. Auflage 1979
1. Auflage 1974
2. Auflage 1976
3. Auflage 1979


25 Oktober 2022

Martin Andersen Nexö: Kinder der Zukunft - Skizzen und Novellen

In den ersten zehn Jahren seiner schriftstellerischen Tätigkeit schrieb Andersen Nexö die hier gesammelten Skizzen und Novellen, die neben „Pelle“ und „Ditte“ maßgeblich seinen literarischen Ruhm begründeten. Sie sind Widerspiegelungen der Wirklichkeit in einem natürlich proletarischen Temperament und also realistisch, kritisch und sozialistisch. Überall streben die Menschen nach Glück und nach Erfüllung ihres Lebens; ob auf der heimatlichen Insel Bornholm oder in den Höhlenwohnungen der spanischen Zigeuner, ob Fischer oder Bauer, jung oder alt von der Umwelt wird die Erscheinungsform bestimmt, und Nexö blickt mit Sympathie oder Abneigung darauf hin, doch nie mit der widermenschlichen Gefühlslosigkeit des „über den Dingen stehenden“ Poeten...

Dietz Verlag Berlin, 1959

Manfred Lemmer (Hg.): Jost Amman: Das Ständebuch

Von den zahlreichen Holzschnittfolgen, die aus der Werkstatt des seit 1561 in Nürnberg lebenden und 1577 mit dem Bürgerrecht dieser Stadt ausgestatteten Schweizer Künstlers Jost Amman (1539-1591) hervorgegangen sind, ist die ›Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden...‹, meist kurz ›Ständebuch‹ genannt, bis in die Gegenwart hinein breiten Kreisen noch wohlbekannt. Das haben mehrere Neudrucke zwischen 1884 und 1966 bewirkt. Weniger populär waren bis vor kurzem noch sein ›Frauentrachtenbuch‹ (1586) und das ›Kartenspielbuch‹ (1588). Darüber hinaus kennt der Laie aus der Fülle Ammanscher Druckgraphiken jedoch kaum noch einen Titel. Dabei handelt es sich durchweg um kulturhistorisch wertvolle Werke, um Kräuter-, Arznei-, Koch-, Tier- und Hebammenbücher, um Illustrationen von Schriften über Jagd- und Forstrecht, Ackerbau und Weidmannskunst, um Turnier-, Kriegs- und Wappenbücher. Neben solchen Realienwerken stehen ferner zahllose Holzschnitte zu Bibeldrucken und religiösen Schriften, zu Ausgaben antiker Klassiker und Werken der deutschen Literatur, zu Chroniken, zu historischen, juristischen und kunsttheoretischen Schriften – ein weites Feld, das der von erstaunlicher Schaffenskraft erfüllte Künstler bestellt hat.

Wenn das ›Ständebuch‹ hiermit wieder aufgelegt wird, so hat das seinen Grund nicht zuletzt in dem Wert, der diesem Werk unter verschiedenen Aspekten zukommt. Es darf zugleich als eine Art Musterbeispiel dafür gelten, welche Einsichten und Erkenntnisse solche von Texten begleiteten Realienwerke in historischer, kultur- und kunsthistorischer Hinsicht vermitteln können...

Buchtitel

Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden / Hoher und Nidriger / Geistlicher und Weltlicher / Aller Künsten / Handwercken und Händeln / u. vom grösten biß zum kleinesten /

-Auch von irem Ursprung / Erfindung und gebreuchen. -

Durch den weitberümpten Hans Sachsen

Ganz fleissig beschrieben / und in Teutsche Reimen gefaffet / Sehr nuzbarlich und lustig zu lesen / und auch mit künstreichen Figuren / deren gleichen zuvor niemands gesehen / allen Ständen so in diesem Buch begriffen / zu ehren und wolgefallen / Allen Künstlern aber / als Malern / Goldschmiden /u. zu sonderlichem dienst in Druck verfertigt.

Mit Röm. Keys. Maiest. Freyheit.

Gedruckt zu Franckfurt am Mayn.

M. D. LXVIII.


Aus dem Inhalt

Stände:

Der Brieffmaler.
Ein Brieffmaler bin aber ich/
Mit dem Pensel so nehr ich mich/
Anstreich die bildwerck so da stehnd
Auff Papyr oder Pergament/
Mit farben/und verhöchs mit gold/
Den Patronen bin ich nit hold/
Darmit man schlechte arbeit macht/
Darvon auch gringen lohn empfacht.

Der Buchbinder.

Ich bind allerley Bücher ein/
Geistlich und Weltlich/groß vnd klein/
In Perment oder Brette nur
Und beschlags mit guter Clausur
Und Spangen / und stempff sie zur zier/
Ich sie auch im anfang planier/
Etlich vergüld ich auff dem schnitt/
Da verdien ich viel geldes mit.


Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig, 5., erweiterte Auflage 1975
Insel-Bücherei Nr. 133

Die Wiedergabe der Holzschnitte erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Forschungsbibliothek Gotha und der Sächsischen Landesbibliothek Dresden.

1. Auflage / 1934 [1.-30. Tsd.]
2. Auflage / 1936 [31.-40. Tsd.]
3. Auflage / 19
4. Auflage / 1960 [61.-80. Tsd.]
5. Auflage erw. / 1975 (L)
5. Auflage / 1975 (F) [8.-9. Tsd. d. erw. Aufl. von 1975]
6. Auflage / 19
7. Auflage / 19
8. Auflage / 19
9. Auflage / 1989 (L) [107.-121. Tsd. d. erw. Aufl. von 1975]
10. Auflage / 1988 (F) [10.-11. Tsd. d. erw. Aufl. von 1975]
11. Auflage / 1995 (F) [12. Tsd. d. erw. Aufl. von 1975]

Mein ganzes Schönes Sanssouci Geschichten von uns - Eine Anthologie

Andreas Albrecht, Wolfgang de Bruyn, Wieland Förster, Harald Gerlach, Paul Gratzik, Fritz Hofmann, Manfred Jendryschik, Wolfgang Kohlhaase, Helga Königsdorf, Horst Matthies, Margarete Neumann, Erik Neutsch, Kristian Pech, Gunter Preuß, Günter Ross, Günther Rücker, Erich-Günther Sasse, Helga Schubert, Helmut H. Schulz, Maria Seidemann, Martin Stade, Beate Stanislau, Joachim Walther und Hartmut Zenker erzählen Geschichten von uns.

Da ist zuerst ein Zimmermann, der auf Montage arbeitet. Bei jedem Besuch zu Hause versucht er, „stückweise“, die Eltern an seine Braut zu gewöhnen – sie ist bereits Mutter von sechs Kindern. Ein Vierzehnjähriger fällt seine selbstbewußten Urteile über Lehrer, Eltern und die Zwillingsschwester; nur vor dem Großvater hat er Respekt, von dem läßt er sich etwas sagen. Wir geraten in den Sog von Massen, die zu einem Fußballspiel strömen, und begleiten zwei vom Wege abgewichene Journalisten in alte, schon verfallene Häuser, in denen vor gar nicht langer Zeit noch Menschen wohnten. Von Frauen wird erzählt, die zu erreichen suchen, was gut für sie ist, die dem Alltag ins Gesicht sehen, aber nicht daran denken, ihre Hoffnungen und Träume aufzugeben.

Die Geschichten dieses Bandes fordern zum Vergleich unterschiedlicher Lebensansprüche heraus. Manchmal treffen in einer Erzählung verschiedene Weisen, das Leben zu nehmen und zu meistern, aufeinander. Eine Köchin – ihr Tag beginnt früh um vier, und die Schule war für sie nach drei Klassen beendet – plaudert an Wochenenden mit ihrer Nachbarin, der Schriftstellerin. Und diese empfindet Geborgenheit bei ihr. „Sie würde mich wiegen und pflegen – da war ich mir plötzlich ganz sicher.“

Den unterschiedlichsten Leuten begegnen wir in den vierundzwanzig Geschichten, die eines gemeinsam haben: Sie erzählen unterhaltsam vom Leben hier und heute.

Inhalt

Wolfgang Kohlhaase - Lasset die Kindlein
Helga Königsdorf - Pi
Paul Gratzik - Schüler meiner Frau
Horst Matthies - Lehmann, Erdmann, Liebermann
Erik Neutsch - Hartholz
Wieland Förster - Der Transport
Margarete Neumann - Windflöte
Harald Gerlach - Staub
Günter Ross - Die schwarze Maria
Beate Stanislau - Dreißig
Manfred Jendryschik - Anna, das zweite Leben
Helmut H. Schulz - Blumen für den Frauentag
Joachim Walther - Beschreibung einer Veränderung
Maria Seidemann - Die tönernen Jungfrauen
Erich-Günther Sasse - Der Turm
Kristian Pech - Verlassene Bauernhäuser
Andreas Albrecht - Gegenüber
Wolfgang de Bruyn - Dort oben im Tal
Gunter Preuß - Die große Reise des alten Wieck
Fritz Hofmann - Die Freunde
Günther Rücker - Eine Geschichte aus dem mittleren Thüringen
Helga Schubert - Silberkrone
Hartmut Zenker - Nachhut
Martin Stade - Mein ganzes schönes Sanssouci
Quellennachweis 

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1986
bb-Reihe Nr. 569
Ausgewählt vom Lektorat DDR-Literatur

Elisabeth Schulz-Semrau: Jedes Leben hat auch seine Zeit

Eine Ehekrise nach zehn gemeinsam verlebten Jahren veranlaßt eine Journalistin, ihre Ehe auf ungewöhnliche Weise zu überprüfen. Sie verläßt ihren Mann, um mit ethisch-moralischen, beruflichen und intimen Fragestellungen zu wechselseitig tieferem Verstehen zu finden: "Ich bin nicht weggelaufen, um die Ehe zu beenden, sondern damit sie dauern kann."

Elisabeth Schulz-Semrau läßt in dieser Erzählung durch psychologisches Ausloten – selbst des individuell Unterbewußten, das in der Lebenspraxis eine nicht unwichtige Rolle spielt – die Möglichkeiten eines neuen Zusammenlebens auf einer neuen Stufe intimer Gemeinsamkeit und gesellschaftlicher Verantwortlichkeit deutlich werden. Die Autorin fordert den Leser ständig zum Mitdenken und Mitentscheiden bei dieser Überprüfung auf, und gerade das macht die Lektüre des Buches zu einem besonderen Gewinn.

Elisabeth Schulz-Semrau. Geboren 1931 in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad. Umgesiedelt in das große Anderswerden und die mittelalterliche Stadt Tangermünde. Verlassen der Oberschule ohne Abschluß und mit Allergien gegen Lehrer. Berufswunsch: Schauspielerin. Berufswirklichkeit: Lehrerbildungsinstitut, Lehrerprüfungen, Fernstudium und: wer braucht wen mehr? Die Schüler mich, ich sie? Dazwischen Lyrik; erste Veröffentlichungen, Preise im Marchwitza-Wettbewerb. Studium am Institut für Literatur J. R. Becher; heute ist Elisabeth Schulz-Semrau dort Assistentin. 1975 das erste Buch „Jedes Leben hat auch seine Zeit“, das nun schon in der 4. Auflage vorliegt! 1977 erschien ihr erster Roman „Ausstellung einer Prinzessin“.

Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig 1974
5. Auflage
Einbandillustration: Stafan Duda

 

Joachim Ringelnatz: Hafenkneipe - Neunundneunzig Gedichte

JOACHIM RINGELNATZ (1883-1934). Alle Mann an Bord, ihr Mühseligen und Geladenen, in meine himmlisch verschwimmende Hafenkneipe, komme, wer ein Gelüste hat auf Lust, in See zu stechen und anderswo. Verlaßt den schwanken Boden der Nüchternen, und kommt in das undichte Boot meiner Dichtung, zu einer Hafenrundfahrt um die Welt.

Kommt, ihr Sehleute (ein Blick ins Glas gibt mehr Sehschärfe als das beste Scherenfernrohr), und dann zwei Blicke ins Leben: einer von oben herab, vom Mastkorb, und einer von unten, auf die Planken hingestreckt, kühn der Zeit unter die Röcke geblinzelt.

Laßt uns eins zwitschern wie die Nachti-Galle, daß es an Herz und Nieren geht, ins Auge, und meistens ans Zwerchfell (2,5-53,7% Geist pro Gedicht werden garantiert).

Dies sagt euch der Ringelnatz, erfahren in allen Untiefen und in mehr als dreißig Berufen, darunter: Schlangenbändiger (die Schlangen werden sich bilden, wenn dies Büchlein erschienen ist – vor den Buchläden).

Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 3. Auflage 1983
Reclams Universal-Bibliothek Band 558
BELLETRISTIK

1. Auflage / 1974
2. Auflage / 1977
3. Auflage drchges. / 1983*
4. Auflage / 1985
5. Auflage / 1988

 

Josef Lawrezki: José Martí - Soldat mit Feder und Gewehr


 José Martí, der Held der antikolonialen und antiimperialistischen Unabhängigkeitsbewegung Kubas, wurde am 28. Januar 1853 als Sohn kleinbürgerlicher Eltern geboren. Sein Lebensweg ist einzigartig. Martí erweist sich schon in der Schule als außerordentlich intelligent; mit dreizehn Jahren beginnt er, Gedichte von Moore und Byron und Szenen aus Shakespeares „Hamlet“ zu übersetzen; mit fünfzehn gründet er eine eigene politische Zeitung; mit sechzehn wird er verhaftet und zu sechs Jahren Zwangsarbeit verurteilt; zwei Jahre später wird die Strafe in Verbannung nach Spanien umgewandelt; dort studiert er Jura, Philosophie und Literatur und gibt eine seiner bedeutendsten politischen Streitschriften heraus. Später übersiedelt er nach Mexiko, wo er als unermüdlicher Journalist tätig wird. Nach Aufenthalten in Guatemala und Kuba wird er erneut nach Spanien deportiert, von wo aus er über Frankreich in die Vereinigten Staaten flieht. Von dort wendet er sich nach Venezuela; hier arbeitet er als Lehrer und Publizist. Als Emigrant bereist er mit anderen Führern der kubanischen Revolution mehrere Länder des amerikanischen Kontinents und wirkt für den Kampf um die Unabhängigkeit seines kubanischen Vaterlandes von Spanien. Sein hervorragendes Rednertalent, sein scharfer Verstand und seine unerschütterliche revolutionäre Gesinnung machen ihn zum unbestrittenen Führer der Unabhängigkeitsbewegung. Noch keine dreißig Jahre alt, versucht er von New York aus eine Bewegung ins Leben zu rufen, die schließlich zur Gründung der Kubanischen Revolutionären Partei führt, deren grundlegende Dokumente Marti selbst verfaßt. Nach angestrengter politischer und militärischer Vorbereitung wird im Oktober 1894 in Kuba der erste Aufstandsversuch unternommen. Martí nimmt selbst an den revolutionären Feldzügen teil; er landet am 11. April 1895 in Playitas, unweit der Stelle, an der ein gutes halbes Jahrhundert später Fidel Castro mit einer Handvoll Revolutionäre an Land gehen wird. Am 19. Mai 1895 wird José Martí im Kampf gegen die spanischen Kolonialtruppen in Dos Ríos tödlich verwundet.

In der gesamten spanischsprechenden Welt findet man keinen Schriftsteller mit einem so umfassenden Repertoire an Themen und Problemen. Martí ist die reine Widerspiegelung seiner Welt und seiner Zeit.

Juan Marinello

Inhalt

Viva Cuba libre!
„Abdala“
Der Sträfling
Spanien läßt die Tränen nicht versiegen
Die Republik gegen Kuba
Die Rückkehr der Bourbonen
Im gastfreundlichen Mexiko
Auf der Suche nach einer Zuflucht
Joch und Stern
„Ich habe in dem Ungeheuer gelebt...“
Im Vorfeld
Eine revolutionäre Partei
Montecristi
Pflicht eines Revolutionärs ist die Revolution
Der Vorbote des sozialistischen Kuba
Zeittafel
Quellennachweis der Abbildungen

Verlag Neues Leben Berlin, 1983
Schutzumschlag: Gerhard Christian Schulz
Aus dem Russischen von Mathias Moll
Übersetzung von Zitaten aus dem Spanischen und Nachdichtungen: Manfred Schmitz
Die aus dem Werk José Martí, Mit Feder und Machete übernommenen Zitatübersetzungen und Nachdichtungen besorgten Hans-Otto Dill beziehungsweise Annemarie Bostroem

24 Oktober 2022

Harald Kretzschmar: Fabularium


Buchanfang

Geneigter, geschätzter und geliebter Leser!

Man kann jedes Buch von vorn oder von hinten lesen. So auch dieses. Vorwärts gelangt man von der Vergangenheit in die Zukunft. Und rückwärts umgekehrt. Das Gesicht jedoch das betrachtet der geneigte Leser am besten immer von vorn.

Um gleich mit dem Tier ins Haus zu fallen: Dies ist keine Tierwitze-Sammlung. Auch keine Fabelfibel nach Oberlehrerart. Hier wird Geschichte gemacht! Geschichte als Bildgeschichte. In lockerer Folge und loser Weise verfolgen wir die Entwicklung der Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Beziehungen muß man haben. Man hat diplomatische, gute, enge, freundschaftliche und schließlich brüderliche Beziehungen. Zum Tier. In jeder Beziehung gilt eins: Das Tier kann nicht lachen. Es ist zum Lachen – es hat nichts zu lachen. Der Mensch hat gut lachen. Hand aufs Herz, geschätzter Leser – auch Ihre Speisekarte und Ihr Kose- und Schimpfwortschatz lebt auf Kosten der Tiere!

Dieses Buch lebt auf Kosten von Mensch und Tier gleichermaßen. In meinem Fabularium tummeln sich mehr Lebe- und Fabelwesen als in jedem Aquarium. Fabularium hat etwas mit fabulieren zu tun. Spinnen kann man es auch nennen. Keine Angst – der Weberknecht und seine Artverwandten sind hier nicht anzutreffen. Von der Historie aus habe ich einfach weitergesponnen und immer wieder Fäden zur Gegenwart geknüpft.

Ich hoffe, geliebter Leser, auf Anknüpfungspunkte in dieser historischen Spinnstube und empfehle mich Ihnen als der

Verfasser

Eulenspiegel Verlag, Berlin, 1. Auflage, 1974
Buchgestaltung von Wolfgang Ritter

Czeslaw Chruszczewski: Die Nuancen der weißen Farbe

Im Grenzgebiet zwischen Märchen, wissenschaftlicher Phantastik und Groteske erzählt der polnische Autor Czeslaw Chruszczewski seine Geschichten: von der Raumexpedition, die auf einem fremden Planeten - im wörtlichen Sinne - unsterbliche irdische Dichter und Denker wiederfindet; von einem kybernetischen Haus, das die Liebe zu seinen Bewohnern ein wenig übertreibt; von einer neuen mißglückten Invasion aus dem All; von einem Schriftsteller, der wirklich immer "größer" wird; von einem fremden Raumschiff, das Stimmen der Erde abhört, um herauszufinden, ob dort vernunftbegabte Wesen leben...

Die Erzählungen und Hörspiele Chruszczewskis sind nie ganz ernsthaft in der Form und doch ernst zu nehmen im Inhalt, denn mag der Schauplatz der Handlung auch ein ferner Planet oder ein imaginäres Land sein, mag die Zeit Zukunft, Irgendwann oder Niemals heißen - es geht ums Hier und Heute.


Czeslaw Chruszczewski (geb. 1922) war während des Krieges Teilnehmer der polnischen Widerstandsbewegung und arbeitete danach als Journalist und Schriftsteller. 1958 wurde er literarischer Leiter von Polski Radio Poznan. Sein literarisches Werk umfaßt rund 100 Hör- und 9 Fernsehspiele, das Libretto zu seiner phantastischen Oper und 9 Bücher. Erzählungen und Hörspiele Cz. Chruszczewskis sind ins Russische, Tschechische, Ungarische und Deutsche übersetzt worden. 1966 wurde ihm der Preis des polnischen Rundfunkkomitees und 1968 der Literaturpreis der Stadt und Wojewodschaft Poznan verliehen; er erhielt mehrere Auszeichnungen internationaler Science-Fiction- und Phantastik-Symposien. In der DDR ist er durch drei Erzählungen in der Anthologie "Galaxisspatzen" bekannt geworden.

Verlag Das Neue Berlin, Berlin, 1. Auflage 1976
Aus dem Polnischen von Peter Ball und Ursula Ciupek

Wilhelm Bode: Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen 1 - 1749-1793

„Eine Frau von Welt, die ihn oft gesehen hat, hat mir gesagt, daß Goethe der schönste, lebhafteste, ursprünglichste, feurigste, stürmischste, sanfteste, verführerischste und für ein Frauenherz gefährlichste Mann sei, den sie in ihrem Leben gesehen habe.“ So berichtet der Hannoveraner Arzt und Schriftsteller Johann Georg Zimmermann Anfang 1775 nach Weimar. Empfänger dieses Briefes war Charlotte von Stein, die neugierig auf Nachricht über den Verfasser der damals in ganz Deutschland Furore machenden „Leiden des jungen Werthers“ wartete.

Das überschwengliche Urteil einer „Femme du monde“ ist indes nur ein winziges Bruchstück der vorliegenden Sammlung des Weimarer Goetheforschers und -kenners Wilhelm Bode, der mit Akribie die vielfältigsten Äußerungen von Zeitgenossen Goethes zusammengestellt hat. Die Skala reicht von schwärmerisch-enthusiastischer Zustimmung bis hin zu bornierter, kleinbürgerlich-moralisierender Ablehnung der Person und der Werke Goethes. Zu Wort kommen neben literarischen und gesellschaftlichen Größen der Zeit vor allem Familienangehörige, Jugendfreunde, den „Meister“ verehrende Frauen, hartnäckige Konkurrenten, strenge Kritiker und auch klatschsüchtige Mitglieder der Weimarer Hofgesellschaft. So bunt zusammengewürfelt wie der Kreis der Briefeschreiber und der sich erinnernden Besucher des Goetheschen Domizils in Weimar, so vielfältig und nuancenreich sind auch die einzelnen Beiträge der Sammlung. Vor unseren Augen entsteht ein widerspruchsvolles Bild von Goethes Charakter, Leben und Werk, von den zeitgenössischen Wirkungen seiner Person und seines gesamten literarischen, künstlerischen und naturwissenschaftlichen Schaffens. Auf unterhaltsame Weise, wie nebenbei, eröffnen sich in den Briefen interessante historische, soziologische und kulturgeschichtliche Einblicke in die Zeit von 1749 bis 1832. Für den Goethekenner und -liebhaber und für alle historisch und literarisch Interessierten ist diese Briefsammlung eine vergnügliche und kurzweilige Lektüre.

Buchanfang

Band 1

1749

EINTRAG IM FRANKFURTER TAUFBUCH

Frankfurt, 29. August 1749

1749

Augustus Getaufte hierüben in Frankfurt

Freitags, den 29. dito

p. Hrn. Dr. und Sen. Fresenium privatim Goethe. Der hochedelgeboren und hochgelahrte Herr Jobann Caspar: Ihro Röm. Kaiserl. Maj. würkl. Rat und beider Rechten Dokt. allhier; dann S. T. Frau Catarina Elisabeta, dessen Ehe-Consortin, geb. Textorin, einen gestrigen Donnerstags mittags zwischen zwölf und ein Uhr geborenen Sohn und erstes Kind Johann Wolfgang. Der hierzu erbetene Herr Gevatter war der Frau Kindbetterin leibl. Vater, der wohlgeborne Herr, Herr Johann Wolfgang Textor, hoch ansehnlicher Reichs-Gerichts-Schultheiß allhier, wie auch Ihro Röm. Kaiserl. Maj. würklicher Rat.

Goelb XXX, Faks. 

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1979
2. Auflage 1982


Band 1 (1749 - 1793)
Band 2 (1794 - 1816)
Band 3 (1817 - 1832)

Ruth Werner: In der Klinik




 „Unbefugten ist der Eintritt verboten“, steht an der Pforte der Klinik für Herzchirurgie. Marianne Mertens ist befugt und würde doch viel darum geben, es nicht zu sein. Die fünfundzwanzig Jahre alte Lehrerin, Mutter eines Mädchens, hat einen schweren Herzfehler und muß operiert werden. Sechs Wochen lang, bis zu Mariannes Entlassung, nehmen wir an ihren Erlebnissen und Gefühlen teil: Angst vor Schmerzen, Ungewißheit über den Ausgang der Operation, bohrende Gedanken über den Zusammenbruch ihrer Ehe, die so glücklich begonnen hatte. Wir lernen die anderen Patienten kennen: die schrullige Frau des Töpfermeisters Meier, die kummerbeladene Frau Weidlich, die prächtige Christa, die vor ihrer Erkrankung selbst Schwester in der Herzstation war, und Birgit, das schwerkranke Kind, das alle liebten.

Groß ist die Kunst Professor Ludwigs und seiner Mitarbeiter, aber ohne die Mithilfe der Kranken ist die Genesung nicht möglich. Woher nimmt Marianne ihren Willen zu gesunden, ihre Lebenskraft, die noch auf die anderen Patienten ausstrahlt?

Buchbeginn

Sie steht im Regen, der beinahe Schnee geworden wäre, vor der Seitentür des großen roten Gebäudes.
"Unbefugten ist der Eintritt verboten."
Sie ist befugt und würde sehr viel darum geben, es nicht zu sein.
Marianne zögert; sie möchte irgend etwas von draußen mit hineinnehmen. Der Busch neben dem Seiteneingang ist novemberkahl. Ein rosa Steinchen liegt in einer Pfütze. Sie bückt sich danach, wischt die rauhe Oberfläche mit den bloßen Händen trocken und steckt ihn ein.
Sie steht im Vorraum und mißt die Stufen, die vor ihr liegen, mit einem Blick. Darin hat sie Übung.
Vor der Treppe brauche ich mich auch nicht mehr zu fürchten, wenn ich hier wieder herauskomme.
Falls.
Marianne geht langsam aufwärts und bleibt auf dem ersten Treppenabsatz neben dem Fenster stehen. Als sie die Tropfen über die Scheiben rinnen sieht, fällt der Abschied vom Kind erneut über sie her.

Verlag Neues Leben, 4. Auflage 1983
1. Auflage 1968
Illustrationen von Horst Bartsch

Jean Villain: Die großen 72 Tage. Ein Report über die Pariser Kommunarden



Wie reagierte Napoleon III.? Wer war Adolphe Thiers? Welche Rolle spielte Bismarck zur Zeit der Pariser Kommune? Mit Aufzeichnungen von Augenzeugen und Beteiligten, mit Artikeln aus der zeitgenössischen Presse, mit Polizei- und Generalstabsberichten beantwortet der Schweizer Autor Jean Villain solche und ähnliche Fragen.
Diesem spannenden "Report" sind 292 Bilder und zeitgenössische Stiche, Photographien und Karikaturen beigefügt. Text und Bild zusammen ergeben ein lebendiges Bild jener 72 Tage, die das 19. Jahrhundert erschüttert haben und bis in unsere Gegenwart fortwirken. Jean Villains Buch wirkt sozusagen wie ein geschriebener Dokumentarfilm: Kein Geschichtswerk, aber historisch wahr, echt und erregend wie die Wirklichkeit.

Buchbeginn
So blendend weiß, als wäre sie aus Würfelzucker, dazu gigantisch - mit einem Wort: absolut unübersehbar, wuchtet auf dem höchsten der fünf Hügel, zwischen denen Frankreichs Kapitale liegt, eine Kirche. Meterhohe Goldlettern, tief in die Marmorquader ihrer byzantinisch-romanischen Frontfassade gemeißelt, verkünden, daß sie dem "Cor Jesu Sacratissimum" geweiht sei, dem heiligen Herzen des Gottes der christlichen Nächstenliebe.
Auf ihrer wenig beachteten Hinterseite dagegen prangte im Sommer 1969 die hastig mit schwarzer Teerfarbe hingepinselte Botschaft unversöhnlichen Hasses:
"Charognes, on vous crèvera!" -
"Verreckt, ihr Äser!"

Inhalt
Hoch über der Stadt, ungeheuer: ein Sühnemal
Ein Sturm zieht auf
Die September-Republik
Der Krieg schlägt um in Klassenkampf
Die neuen Fronten
Der 18. März oder Wie ein reaktionärer Putschversuch eine Revolution auslösen kann
Der Machtwechsel
"In Erwägung, daß das Volk..."
"Paris wünscht... Paris verlangt... Paris will..."
Der Antlitz der Hauptstadt
Bismarck macht es möglich
Die Front
Die Blutwoche
Das Erbe
Zwei rote Rosen und sonst nichts
Dokumentarischer Anhang
Quellennachweis



Verlag Volk und Welt Berlin, 2. Auflage 1975
1. Auflage 1971
Idee und Form des Buches entstanden in Zusammenarbeit mit Roland Links.
Bei der Erschließung der Quellen half Klaus Schlesinger.
Fachliche Beratung: Thea Mayer und Dr. Alfred Loesdau
Redaktion: Gerhard Böttcher
Gestaltung: Klaus Krüger
 

Marianne Fleischhack: Frauen als Partner. Drei Lebensbilder. Coretta King, Haruko Kagawa, Caroline von Humboldt

"Was Du in mir geschaffen, wozu Du mich erhoben, fühle ich so klar, weil ich mich jeder Periode der Vergangenheit so deutlich erinnere, so genau weiß, wie ich... war... Solange mein Dasein so allein dastand, fühlte ich immer jede meiner Ansichten so mangelhaft... Ja, daß ich eins bin in mir, daß ich bin, wozu ich Anlage hatte zu sein, daß ich Wahrheit sehe, daß ich harmonische Schönheit empfinde, das ist Dein, einzig Dein Werk." Dies Bekenntnis Wilhelm von Humboldts hätten auch Dr. Martin Luther King und Toyohiko Kagawa abgeben können. Es bringt zum Ausdruck, was als Leitgedanke dieses Buch durchzieht: Die Frauen dieser Männer hatten einen ganz wesentlichen Anteil an Idee und Ausführung des gemeinsamen Lebenszieles.

Hier wird über Frauen berichtet, die Arbeit und Leben ihrer Ehepartner entscheidend beeinflußten, ohne daß sie dabei selbst an eigener Persönlichkeit verloren hätten. Eher ist man geneigt, das Gegenteil zu sagen. Denn auch die Frauen haben in der Gemeinsamkeit gewonnen, weil sie sich in Übereinstimmung mit ihren Männern um Partnerschaft bemühten. Und sowohl Coretta King als auch Haruko Kagawa führen dann nach dem Tode ihrer Ehepartner die Arbeit weiter.

Mit großem Einfühlungsvermögen beschreibt die Autorin, die schon einige Bücher über Frauenschicksale verfaßt hat, die Lebenswege dieser drei bekannten christlichen Ehepaare aus verschiedenen Zeiten, um zu zeigen, wie Frauen die Möglichkeit gefunden haben, ein erfülltes Leben an der Seite ihrer Ehepartner zu führen. Dabei werden die verschiedenen Voraussetzungen und die unterschiedlichen Mittel deutlich. - Daneben sind alle drei Frauen als liebevolle Mütter dargestellt, die die große Belastung einer Familie und der Arbeit für andere mit der ihnen eigenen Kraft, Aufgeschlossenheit und nicht zuletzt mit der Liebe meisterten, die sie aus dem Glauben schöpften, der das tragende Element ihres Lebens ist.

Einleitung

"Die Frau eines Mannes, der das Evangelium predigt, kann seine Wirkung halbieren oder verdoppeln", sagte ein unbekannter Seelsorger. Ein Ausspruch, der sich im symbolischen Sinne durchaus nicht nur auf das geistliche Amt bezieht oder im religiösen Raum erschöpft. Er stellt einen Anspruch an die Frauen in allen Lebensbereichen und in jedem Wirkungskreis. Es ist ein Engagement der Frau in der Ehe, das ihr die große Verantwortung auflegt, sich an eben der Stelle und in der Lage zu bewähren, die ihr jeweils gewiesen ist. "Ich will ihm eine Gehilfin machen" - das ist die Zusage Gottes an den Adam aller Zeiten, ein Versprechen Gottes, das heute schwerer wiegt als vor Jahrhunderten. Heute ist diese Gehilfin nicht mehr nur die "teure Gattin" und "die treue Mutter" aus Schillers "Glocke". Heute gehört noch mehr dazu, der Aufforderung gerecht zu werden, die Wirkung der Arbeit des Mannes zu verdoppeln. Die verheiratete Frau steht in der Gegenwart selber weithin unter gleichen Forderungen in ihrer Leistung wie ihr Mann. Die Berufsstellungen beider sind dabei zumeist getrennte. Der Einfluß des einen Lebenspartners auf den Arbeitserfolg des anderen ist deshalb nicht immer ohne weiteres sichtbar. Er ist aber da oder kann fehlen, je nach der Haltung der Lebensgefährten. Der Anspruch bleibt: verdoppeln, nicht hemmen, was dem Halbieren gleichkäme. Die verdoppelnde oder lähmende Wirkung spielt sich heute - abgesehen von wenigen Berufsgruppen (Landwirtschaft, gemeinsames Geschäft u. ä.) - im geistigen Bereich ab. Die Freiheit, die einer dem anderen zugesteht, seiner Arbeit vollgültige Kräfte zu widmen, und die Anteilnahme am gegenseitigen Schaffen sichern die Wege zu höherer, vielleicht sogar doppelter Leistung beim einen wie beim anderen.

Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 2. Auflage 1979

21 Oktober 2022

Hans-Joachim Krause, Ernst Schubert (Hrsg.): Die Bronzetür der Sophienkathedrale in Nowgorod

Leseprobe

Den Westeingang der Sophienkirche in Nowgorod verschließen zwei monumentale Türflügel von 3,60 m Höhe und insgesamt 2,40 m Breite. Sie bestehen aus massiven Holzplatten, auf die gegossene Bronzeteile - Relieffelder und Rahmenleisten - aufgenagelt sind. Je einem breiten oberen Feld folgen auf jedem Flügel sechs Doppelfelder. Als Rahmung der Türflügel und der Bildfelder dienen kräftige, im Schnitt fast halbkreisförmige, ornamentierte Wülste. Das Innere der Doppelfelder in halber Türhöhe zeigt auf beiden Türflügeln einen Löwenkopf mit Türring zum Öffnen.

Die Anordnung wirkt auf den ersten Blick regelmäßig und ausgezeichnet in die Architektur eingepaßt, ist jedoch nicht ursprünglich. Die Bronzeteile waren nämlich nicht für das Portal der Sophienkirche in Nowgorod bestimmt und sind auch mehrfach verändert, repariert und ergänzt worden.


Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig, 1. Auflage 1968
Insel-Bücherei Nr. 910
mit 44 Bildtafeln

Die Abbildungen 1 bis 43 - sämtlich Aufnahmen des Bildarchivs Foto Marburg - wurden vom R. Piper & Co. Verlag, München, übernommen.
Abbildung 44 stammt von den Herausgebern.

1. Auflage / 1968 [1. - 30. Tsd.]
2. Auflage / 1976 [31. - 55. Tsd.]
3. Auflage / 1988

Sylvia Nagel: Die Eheschließung. Chinesische Erzählungen des 20. Jahrhunderts

Die Eheschließung, von den Alten nach überkommener Sitte eingefädelt, findet nicht statt. Die Jungen überlisten die "Heiratsvermittler", denn sie haben schon längst eine Glücksmünze von ihren Liebsten erhalten, und wählen sich sebst ihre Lebenspartner. Zhao Shuli, der Autor dieser heiteren Dorfgeschichte, gehört wie Lu Xun, Ye Shengtao, Mao Dun, Lao She, Ba Jin und Wang Meng zu den Repräsentanten der modernen chinesischen Literatur.

Der Niedergang der jahrtausendealten festgefügten Staatsordnung und der Bankrott des traditionellen konfuzianisch geprägten Systems bahnten etwa um 1917 der literarischen Revolution den Weg: Das klassische Chinesisch als Kunstsprache, das nur dem verschwindend kleinen Teil der Gebildeten zugänglich war, wurde durch die Umgangssprache abgelöst und das einfache Volk zum Handlungsträger der Literatur gemacht. Den Schriftstellern eröffneten sich bislang ungeahnte Wirkungsmöglichkeiten, die sie begeistert nutzten.

Dreizehn Erzählungen von sieben namhaften Autoren sollen einen kleinen Einblick geben in das fruchtbare literarische Schaffen im China der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Sie blenden die verschiedensten Lebensbereiche ein. Geschildert werden der harte Lebenskampf der Bauern, die um das gute Gedeihen ihrer Seidenraupen bangen, der Protest gegen den Terror der Reaktion in den dreißiger Jahren und gegen Bürokratismus und Karrierismus zu Beginn der sozialistischen Umgestaltung. Gezeigt werden die Konflikte und existenziellen Nöte des Intellektuellen in der vorrevolutionären Zeit. Gezeichnet wird ein anschauliches Bild von der Stellung der Frau im ersten Viertel dieses Jahrhunderts: von den Leiden, die sie durch die Zwangsheirat zu erdulden hatte, und von ihrer Prostitution als der ihr einzig verbliebenen Quelle des Broterwerbs. Und erzählt wird vom Ringen der Jugend um den Sieg über die seit alters tief im Volk verwurzelten feudalen Bräuche.

Inhalt

Lu Xun (1881-1936): Eine unbedeutende Begebenheit / Dorfopfer / Das Neujahrsopfer
Ye Shengtao (1894-?): Reis / Ein Leben
Mao Dun (1896-1981): Seidenraupen im Frühling
Lao She (1899-1966): Die Mondsichel / Eine aufopferungsvolle Frau
Ba Jin (geb. 1904): Regen / Der sprechende Baum / Am verwilderten Garten
Zhao Shuli (1906-1970): Die Eheschließung
Wang Meng (geb. 1934): Der Neue in der Organisationsabteilung

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1988
bb-Reihe Nr. 612

Aus dem Chinesischen übersetzt von Fritz Gruner, Johanna Herzfeldt, Sylvia Nagel und Irma Peters

Der Abdruck der Erzählungen „Eine unbedeutende Begebenheit“, „Dorfoper“ und „Das Neujahrsopfer“ von Lu Xun erfolgte mit Genehmigung des Verlages Rütten & Loening, Berlin; der Abdruck der Erzählung „Seidenraupen im Frühling“ von Mao Dun erfolgte mit Genehmigung des Verlages Volk und Welt, Berlin

Einbandgestaltung Zhou Xiufen/Regine Schmidt

Herbert Nachbar: Der Mond hat einen Hof

Wilhelm Stresow, der „Bootsmann“, ahnt noch nicht, welche Verwirrungen auf ihn warten, wie eng sein Schicksal sich mit Stines Schicksal verknüpfen wird. Und selbst wenn er etwas ahnte, selbst dann würde er nicht ausweichen. Und so ist er bald mitschuldig an dem Komplott, das Inspektor Bünning und Pastor Winkelmann gegen des Bootsmanns Freunde schmieden. Nichts weltbewegend Böses wollen die beiden, sie sind Menschen wie viele andere auch, und der Bootsmann fügt sich ihnen nicht ungern, als sie ihm Stine Wendland ins Haus geben wollen. Des Bootsmanns Frau ist krank. Inspektor Bünning kann ihm eine Vergünstigung beschaffen, die alle Sorgen für den Bootsmann auslöscht. Ein neues Haus will er bauen, Gemeindevorsteher will er werden – das Leben wird leichter für ihn sein. Aber er hat seine Freunde vergessen; er hat aufgehört, mit ihnen zu rechnen. Stine und alle Vergünstigungen bringen Verwirrung in sein Herz und sein Haus.

Buchanfang

ERSTER TEIL

Der Fluß durchzieht mooriges Land. Die Dämme, die ihn halten bei hohem Wasser, sind stellenweise mit Birken bewachsen, mit weißfleckig schimmernden Birken. Das Astwerk ist kahl und braun, grau ist das Gras über den Wurzeln. Der Fluß gurgelt dem Meer zu, dem Bodden. Wasser glitzert im Mond, ist gezeichnet von silbernen Spuren. Der Fluß, der von den Fischern bündig Tümpel genannt wird und eigentlich die Riecka heißt, stinkt. Er kommt von der Stadt und bringt viel Unrat mit, und der moorige Grund wirft Blasen nach oben.

Aber dann passiert er die holländische Holzbrücke, schleicht müde und träge am Dorf vorbei, geht ein in den großen Bodden, verliert so seine Selbständigkeit und ist nichts mehr, ist alles – hat mit einemmal die Weite gewonnen, ist stark geworden und mörderisch. Der Mond macht ihn ganz zu Silber und Ebenholz, kein Damm setzt ihm mehr Schranken.

Die Sonne liegt noch weit unter dem Horizont. Im Dorf glänzen frühe Lichter aus den Katen. Die Boote im kleinen Hafen reiben sich manchmal knarrend an den Pollern, an denen sie vertäut liegen. Wasser saugt schmatzend an Planken.

Und im Dorf ist kein Laut. Die Eichen, die vor Martin Bischs Krug seit undenklichen Zeiten stehen, scheinen Geheimnisse zu verbergen, die hölzernen Grabkreuze auf dem alten Friedhof unter der Kirche erzählen von all den vielen, die da waren und gegangen sind, von denen, die gingen und noch da sind. Die Fischer spucken dreimal gegen den Mond, wenn sie unabsichtlich so ein Kreuz oder gar den ganzen Friedhof zu sehen bekommen.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1959
bb-Reihe Nr. 31

 

Hans-Jürgen Momberg: Der Ausreißer. Geschichten aus Wald und Flur

Buchanfang

Wie ich meinen Wald entdeckte

Meine frühen Erinnerungen sind eng mit dem Leben meines Großvaters verbunden. Er war es, der mich in die Geheimnisse des Waldes einführte und mich hören und sehen lehrte. Durch und durch ein Schalk und Phantast, kam er mir oft wie einer aus Eulenspiegels fröhlicher Zunft vor oder wie jemand aus E. Th. A. Hoffmanns Raritätenkasten, aus jenem untersten Fach, wo die drolligsten Menschengeschöpfe stecken. Immer war er vergnügt, voller Humor und lustiger Einfälle, die durch die gestrenge Herrschaft meiner Großmutter nur wenig eingedämmt werden konnten. Seine gute Laune wurde durch nichts beeinträchtigt. Ich sehe ihn noch vor mir mit seinem freundlichen, faltigen Gesicht, als dessen wichtigstes Detail mir der grauweiße Zwirbelbart erschien.

Die Kenntnisse meines Großvaters beschränkten sich übrigens nicht nur auf Jagd und Wild, obwohl das bei seiner Tätigkeit als Jagdaufseher nahegelegen hätte. Ich hatte den Eindruck, daß er die Sprache der Bäume und der Tiere verstand. Keine Vogelstimme, auch nicht die seltenste, war ihm unbekannt.

Gebr. Knabe Verlag, Weimar, 1983
Knabes Jugendbücherei
Illustrationen und Umschlagentwurf von Hans Wiegandt
Für Leser von 8 Jahren an

 

20 Oktober 2022

Autorengemeinschaft: Das verhaßte Alter. Erzählungen

Sechs zeitgenössische Erzähler aus Japan, deren Bedeutung in ihrer Heimat unumstritten ist, kommen in diesem Band zu Wort. Gegenstand ihrer zwischen 1931 und 1970 erstmals veröffentlichten Prosatexte ist die gefährdete, zerrüttete oder eben erst entstehende Beziehung zwischen Menschen – Eheleuten, Liebenden, Jungen und Alten, Angestellten und Dienstherren. Charakter, Ton und Atmosphäre der sechs Erzählungen sind denkbar unterschiedlich. Neben der lyrisch verhaltenen Schilderung steht die klinisch nüchterne Bestandsaufnahme, die kritisch-realistische Beobachtung, die subtile, unterkühlte Beschreibung. Erstaunlich unsentimental und mit deutlichem Gespür für Zwischentöne gestalten die Autoren komplizierte psychische Situationen, wobei sie sich der Verletzlichkeit jeder menschlichen Beziehung bewußt sind. Die Gedanken und Gefühle der in der Wirklichkeit des modernen Japan verwurzelten Figuren sind für uns nicht immer nachvollziehbar, und ihre uns weitgehend unbekannte Welt mutet zuweilen exotisch an. Die Texte sind charakteristische Beispiele japanischer Erzählkunst, in ihnen haben sich die ästhetischen Auffassungen japanischer Autoren zur modernen Kurzprosa niedergeschlagen.


Buchanfang

Masuji Ibuse

Leben bei Herrn Tange

Herr Tange züchtigte seinen Diener. (Herr Tange ist siebenundsechzig, sein Diener siebenundfünfzig.) Der hinfällige Alte erlaubte sich fortwährend Nickerchen am hellichten Tage, und Herr Tange sagte, man müsse ihn dazu bringen, sich gründlich zu ändern. Nie zuvor hatte ich Herrn Tange so aufgebracht gesehen.

Um die Ecke des Badehauses spähend, beobachtete ich den Verlauf der Züchtigung. Herr Tange holte drei Strohmatten aus dem Schuppen und breitete sie unter dem Dattelpflaumenbaum auf dem Boden aus. "Leg dich auf die Matten!" herrschte er den Diener an.

Der klammerte sich fest an den Baumstamm; vor Aufregung stand ihm ein wenig Schaum vor dem Mund. Eine Züchtigung, selbst in einer so abgelegenen ländlichen Gegend, ist eine sehr ernste Sache. Herr Tange zog einen Tabaksbeutel aus der Schärpe des Dieners und legte ihn auf die Matte. Dann sagte er ernst: "Du legst dich hierher, auf den Rücken, und rauchst deine Pfeife. Wir sehen dir dabei zu. Das tust du ja ohnehin immer, nicht wahr – legst die linke Ferse oben auf den Knorren des Dattelpflaumenbaums, streckst dich aus, legst die rechte Ferse auf das linke Schienbein und schmauchst gemütlich bis zum Einbruch der Dämmerung. Wir werden uns also jetzt dorthin stellen und dir zusehen, wie du großartig deine Pfeife rauchst. Wagst du es etwa, dich nicht ganz schnell dorthin zu legen, obwohl ich es dich heiße?"

Der Diener, einen Arm dorthin pressend, wo der Tabaksbeutel in der Schärpe gesteckt hatte, und sich mit dem anderen an den Dattelpflaumenbaum klammernd, traf keine erkennbaren Anstalten, dem Befehl zu gehorchen ...


Über die Autoren:

Furui, Yoshikichi 1937 in Tokyo geboren. Studium der Germanistik an der Tokyo-Universität, 1960 Abschluß. Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Rikkyo-Universität, Übersetzung einiger Werke Brochs und Musils. Seit 1970 freiberuflicher Schriftsteller. Schrieb Romane ("Yoko", 1971; "Flammender Kamm", 1974 u. a.), Erzählungen und Kurzgeschichten.

Ibuse, Masuji 1898 in Hiroshima geboren. Studium der französischen Literatur an der Waseda-Universität und der Malerei an der Kunstakademie, Tokyo. Veröffentlichte seit 1923 zahlreiche Kurzgeschichten und Erzählungen sowie Romane ("Usaburo, der Schiffbrüchige", 1956; "Schwarzer Regen", 1965 u. a.), Essays, Gedichte. Wurde mit verschiedenen Literaturpreisen geehrt.

Kono, Taeko 1926 als Tochter eines Kaufmanns in Osaka geboren. Besuchte das College für Frauen in Osaka. Abbruch ihrer Ausbildung durch den Krieg, Arbeit in einem Rüstungsbetrieb. Begann nach Kriegsende zu schreiben. Veröffentlichte Romane (»Hinter den Mauern«, 1962; »Der Dunst des Grases«, 1969; »Die Drehtür«, 1970 u. a.) sowie fünf Kurzgeschichtenbände.

Niwa, Fumio 1904 als Sohn eines buddhistischen Priesters in Yotsukaichi, Präfektur Mie, geboren. Studierte 1926-1929 japanische Literatur an der Waseda-Universität. Wurde buddhistischer Priester in seiner Heimatstadt. Seit 1932 freiberuflicher Schriftsteller in Tokyo. Scheiterte an den faschistischen Zensurbestimmungen, seit Mitte der dreißiger Jahre bis 1945 keine Veröffentlichungen. Verfaßte Erzählungen, Kurzgeschichten und Romane (»Der Buddhabaum«, 1956; »Ein Weg«, 1966; »Shinran«, 1969 u. a.). Herausgeber der Literaturzeitschrift Bungakusha, Präsident der Japanischen Schriftstellervereinigung.

Oe, Kenzaburo 1935 in Ose, Präfektur Ehime, auf Shikoku geboren. Studierte französische Literatur an der Tokyo-Universität. Veröffentlichte als Student seine ersten Erzählungen (»Ein seltsamer Job«, 1957; »Der Stolz der Toten«, 1957). Sein umfangreiches, mehrfach preisgekröntes Werk umfaßt außer Kurzprosa Romane (»Knospen abreißen, Kinder erschießen«, 1958; »Unsere Zeit«, 1959; »Eine persönliche Erfahrung«, 1964; »Der stumme Schrei«, 1967 u. a.), die Reportage »Notizen über Hiroshima« (1965) sowie die Essaysammlung »Phantasien im Atomzeitalter« (1970).

Yasuoka, Shotaro 1920 in Kochi auf Shikoku als Sohn eines Militärarztes geboren. 1931 Übersiedelung nach Tokyo. Seit 1941 Studium an der Keio-Universität. 1944 Militärdienst, wegen Krankheit entlassen. Veröffentlichte Kurzgeschichten, Essays, literaturkritische Arbeiten sowie den Roman »Blick auf den Strand« (1969).


Inhalt

5 .... Masuji Ibuse - Leben bei Herrn Tange / Übersetzt von Ingrid Rönsch

22 .... Fumio Niwa - Das verhaßte Alter / Übersetzt von Monique Humbert

58 .... Shotaro Yasuoka - Die Frau des Pfandleihers / Übersetzt von Liane Wagner

69 .... Kenzaburo Oe - Agui, das Himmelsungeheuer / Übersetzt von Ingrid Rönsch

110 .... Taeko Kono - Fleischbröckchen / Übersetzt von Ingrid Rönsch

129 .... Yoshikichi Furui - Ehebande / Übersetzt von Ingrid Rönsch

192 .... Über die Autoren


Verlag Volk und Welt, Berlin 1981
Aus dem Englischen von Ingrid Rönsch, Monique Humbert und Liane Wagner
1. Auflage

Die Erzählungen wurden mit Genehmigung folgender Autoren und Verlage den nachstehenden Quellen entnommen:

Masuji Ibuse, Leben bei Herrn Tange aus: Masuji Ibuse, Lieutenant Lookeast, Kodan sha International LTD., Tokyo 1971; Copyright © 1971 by Kodansha International LTD. Fumio Nivea, Das verbaßte Alter aus: Nippon. Moderne Erzählungen aus Japan von Mori Ogai bis Mishima Yukio. Auswahl und Einleitung von Ivan Morris, Diogenes Verlag. Zürich 1956: UNESCO Collection of Represen- tative Works UNESCO (einschließlich deutscher Übersetzung). Shotaro Yasuoka, Die Frau des Pfandleibers aus: New Writing in Japan. Edited by Yukio Mishima and Geoffrey Bownas, Penguin Books Ltd., Harmondsworth 1972; Copyright © Geoffrey Bownas and the Estate of Yukio Mishima, 1972. Kenzaburo Oe, Agui, das Himmelsungeheuer, Tacko Kono, Fleischbückchen und Yoshikichi Fumi, Ele bande aus: Contemporary Japanese Literature. Edited by Howard Hibbett, Alfred A. Knopf, New York 1977; Copyright © 1977 by Alfred A. Knopf, Inc.

DDR 3,60 M
Spektrum Nr. 156

Ernst Wenig: Das Verhältnis

Was sich da unter einem lapidaren Titel verbirgt, ist nicht ein beliebiges Verhältnis, sondern eine Liebe, in der sich gesellschaftliche Widersprüche zeigen, die es auch noch für die jüngere Generation gibt: Stephan, der schon vor seinem Studium einiges vom Leben erfuhr, der es nicht immer leicht hatte im kleinbürgerlich-proletarischen Elternhaus, trifft mit Sanna zusammen, dem Mädchen aus sogenannter wohlsituierter Familie, für die Dinge und Anschauungen noch unklar, ja austauschbar sind. Daß sich hier zwei in ihrer Weltsuche Fragen stellen, die dem anderen unbequem sind, weil sie ihm Anstrengung abfordern und ihm seine jetzigen Grenzen zeigen, läßt ihre Liebe zeitweilig scheitern. Und wo sie neuen Wirklichkeitsbereichen – an der Universität, während des Praktikums, an künftigen Arbeitsplätzen, während einer Polenreise, in politischen Fragen – unvorbereitet gegenüberstehen, vermögen sie sich nur ungenügend zu helfen, sind sie einander nicht immer vollgültige Partner. Die oftmals von Komplikationen nicht freien Beziehungen junger Menschen weiß Ernst Wenig mit großer Sachkenntnis und Engagement zu beschreiben. Das Buch zeigt, daß sich jede Generation ihr Bild von der Zeit neu erobern muß.

Klappentext zum Autor
Ernst Wenig. Auskunft: Jahrgang 44, aus Dessau, auch heute noch dort wohnend, 1963 Abitur, zwischendurch fünf Jahre in Regensburg/Bayern, danach Buchhandel. Kohlearbeiter, NVA, Produktionsarbeiter: 1967-1971 Studium der Wirtschaftswissenschaften in Halle, Diplom-Ökonom, anschließend in einem Projektierungsbetrieb zuständig für Organisation.
Erste Schreibversuche 1963, vorher lediglich phantasievolle Aufsätze, begann nach einer gelungenen Kurzgeschichte den großen Roman. Das Manuskript liegt im Schrank ganz unten. Behauptet aber bis auf weiteres, daran viel gelernt zu haben, nicht zuletzt durch Werner Steinberg und Manfred Jendryschik, in deren Zirkel er seit zwölf Jahren mitarbeitet.
Projekte: gegenwärtig ein Filmszenarium, danach wieder einen Roman, zwischendurch immer Geschichten.

Buchanfang
Geliebte! Kind! Wie schön,
daß wir einander nicht verstehn!
Max Brod
Manchmal scheint mir auch, daß jedes Buch, so es sich nicht befaßt mit der Hinderung des Kriegs, mit der Schaffung einer besseren Gesellschaft und so weiter, sinnlos ist, müßig, unverantwortlich, langweilig, nicht wert, daß man es liest, unstatthaft. Es ist nicht die Zeit für Ich-Geschichten. Und doch vollzieht sich das menschliche Leben oder verfehlt sich am eigenen Ich, nirgends sonst.
Max Frisch, Gantenbein.

Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale), 3. Auflage
1. Auflage / 1975
2. Auflage / 1976
3. Auflage / 1978 - BuchClub 65*
4. Auflage / 1979
5. Auflage / 1983
6. Auflage / 1985