In sinnlosen, kaum noch erklärbaren Bewegungen geht es dem Ende zu. Die Ehe ist längst brüchig geworden. Die Erzählerin gesteht es sich ein und auch das: Gefühle dem Bemühen geopfert zu haben, Worte zu erfüllen: immer, ewig, niemals. Hoffnung und Panik durchkreuzen sich, bedrängen sie in einem ausweglosen Kreis, als sei es ihr Schicksal, in den eigenen Fesseln gebannt zu sein.
Diese Prosa ist eine Geschichte der Selbstfindung. Eine Geschichte der Konstruktion von Schuld, vom Herauswachsen aus alten Rollenmustern, vom zähen Alltag, der angenommen und bewältigt werden will. Eine Geschichte von der alles bezwingenden und alles verwirrenden Phantasie, eine Geschichte in Geschichten, die zurückreichen in die Kindheit, geborgen und gefährdet zugleich, und in Lebensumstände der fünfziger Jahre.
Buchanfang
»Könnte ich bei Ihnen Patientin sein?« fragte ich den Arzt. Er packte seine Tasche, er hatte die letzte Vorlesung gehalten, der Lehrgang war zu Ende.
»Leben Sie hier?«
»Nein, in Berlin.«
»Dann ist das schwierig, es gäbe doch in Berlin auch eine Möglichkeit.«
Nein, nicht in Berlin, mit ihm wollte ich reden. Schon während seiner ersten Vorlesung hatte ich Vertrauen zu ihm gefaßt. Und nach dem einen Jahr wußte ich, daß ich krank war, manisch depressiver Pykniker, von Ängsten gequält, zu den zwanghaft Handelnden gehörend, die mehr als zweimal nachsehen, ob sie abgeschlossen haben.
Wenn ich die Werkstatt verlassen wollte, stellte ich mich vor den Brennofen, sprach laut, du hast abgeschaltet, du kannst jetzt gehen, es ist alles in Ordnung. Dann ging ich zur Tür, zog mich an, von der Tür aus ging ich zurück zum Ofen, sah auf den Zeiger, der auf Null stand, strengte mein Gehör an, bemühte mich um Konzentration. Kein brummendes Geräusch. Ich konnte gehen. Vor der Gartentür blieb ich stehen, kehrte noch einmal um, und die ganze Zeremonie begann von neuem. Ich war verrückt, das war nicht normal. In der S-Bahn versuchte ich, mich abzulenken, sah aus dem Fenster auf die großen Bäume des Parks, suchte mit den Augen die Plastik auf dem Friedhof, an dem ich vorbeifuhr. Wenn ich zu Hause angekommen war, ging ich sofort ans Telefon, rief meine ehemalige Lehrmeisterin an, die in dem Haus über der Werkstatt wohnte. Etwas albern lachend sagte ich: »Ich bin gerade zu Hause angekommen, bitte, ich bin sicher, ich habe den Ofen abgeschaltet, aber Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie nachsähen. Nur wenn es Ihnen nichts ausmacht, sonst fahre ich noch einmal hin. Sie wissen ja, wie das ist.«
Ja, sie kannte das Gefühl der Unruhe und hatte mir davon erzählt, .....
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1987
2. Auflage 1988
3. Auflage 1989
Bücher und Schriftsteller, die in der DDR gelesen wurden. Schaut bitte nicht nur danach, ob hier jeden Tag Beiträge auflaufen, nutzt diesen Blog auch wie ein Lexikon. Er ist ein Langzeitprojekt, da ist es sicherlich verständlich, wenn zwischendurch immer mal wieder pausiert wird. Sei es, um nicht die Lust daran zu verlieren, aber auch, weil die Beiträge auch regelmäßig vorbereitet werden müssen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Stöbern und Erinnern oder neu entdecken.
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