07 November 2025

Magda Szabó: Geburtstag

Klappentext:
Erwartungsvoll sieht Bori ihrem vierzehnten Geburtstag entgegen. Ihr heißer Wunsch ist es, erwachsen zu sein, nicht mehr als ein Schulmädchen gelten zu müssen, das sich mit den Zöpfen plagen und lächerliche Kleider tragen muß. Und dann taucht Rudolf auf, für den Bori augenblicklich zu schwärmen beginnt.
Aber der Geburtstag bringt nichts als Enttäuschung. Statt des gewünschten schönen Kleides liegt ein Wintermantel auf dem Gabentisch. Die Eltern haben auch nicht an die ersehnten modernen Schuhe gedacht, Versteht sie denn niemand? Bori beschließt, sich selber zu helfen. Sie nimmt eine Arbeit an, leiht das verdiente Geld aber an die beste Freundin aus, die den Betrag unterschlägt.
Ein Unfall der Mutter leitet schließlich die Wende ein. Bori erkennt, was ihre Eltern für sie tun, wie sehr sie von ihnen geliebt wird. Der richtige Geburtstag fällt nicht mit dem Geburtstag auf dem Kalender zusammen. Er ist da, als Bori zu sich selber findet und mit den Menschen an ihrer Seite zu leben beginnt. „Bori, endlich geht die auch das Schicksal anderer Leute durch deinen Kopf. nicht nur dein eigenes kleines Leben. Du kennst neue Wörter. Wenn du sie auch nicht aussprichst und nicht ahnst, daß du sie gelernt hast, du weißt, was Mitleid, Fleiß und Anteilnahme sind. Allmählich wirst du selber entscheiden, was gut und. was schlecht ist. Du willst nicht immerzu etwas haben. Du arbeitest und denkst nach. Einmal mußte das ja kommen: Du bist erwachsen, Bori!“
Die Bezeichnung „Mädchenbuch“ verdient dieser Titel dadurch, daß alle Ereignisse mit den Augen Boris gesehen werden, die als Mittelpunkt der Handlung eine intensive Ausstrahlung besitzt. Die Offenheit ihrer Gedanken und die Echtheit ihres spontanen Gefühls geben diesem Buch den Rang einer poetischen Studie, in der sich die junge Leserin von heute glücklich wiederfinden wird.

Buchanfang:
Benjamin Eperjes
Bori Illés schrieb sehr ungern Aufsätze.
Angenehm war am Aufsatzschreiben nur das Verteilen der Hefte. Wenn Fräulein Ipolyi mit dem Packen blau eingebundener Hefte in die Klasse kam, meldete sich Bori immer als erste zum Austeilen, und meistens kam sie auch vor Kucses am Katheder an, was gar keine Kleinigkeit war, denn Kucses beeilte sich auch immer sehr, ebenso Várkonyi.
Die Klasse fand sich damit ab, daß das Herumtragen der Hefte das Vorrecht der drei war; es war ja schon seit Jahren so. Die drei wiederum nahmen zur Kenntnis, daß nicht sie, sondern drei andere die Hefte einsammeln würden: Istvánfi, Holly und Hegedüs. Jede Klasse hat ihre Traditionen, diese Heftsache war in der siebenten Klasse Tradition. Hefte austeilen oder einsammeln ist angenehm; man geht von Bank zu Bank, bückt sich, kann jeder Schülerin etwas zuflüstern, das Hin- und Hergehen in der Klasse, was man sonst nicht darf, ist dann sogar Pflicht, und wenn man Glück hat, bekommt man in seinem Stoß Hefte gerade die in die Hand, die in die letzte und in die erste Bank gehören, man hat also einen weiten Weg zu machen. Und diese Bewegung macht Spaß, ist ein Genuß, man sitzt ja soviel! Aber nachher das Schreiben!
Ungarisch wäre ein schönes Fach, wenn man nicht die Grammatik zu lernen, keine Aufsätze zu schreiben und nicht Werke zu zergliedern brauchte. Ungarisch müßte anders unterrichtet werden, die Sprache dürfte man nur hören, aber nicht ochsen. Wenn Fräulein Ipolyi ein Gedicht oder einen Teil aus einem Roman vorliest, passen alle auf, auch wenn sie aus Toldi liest, was man schon hundertmal gehört hat. Aber auf Fragen antworten, schreiben, zerlegen ...
VIII. Aufsatz. Die Benjamin-Eperjes-Straße
Seit Wochen konnte man schon ahnen, daß dieses Thema kommt. Bisher hat noch jede siebente Klasse in dieser Schule das Leben Benjamin Eperjes' oder die Geschichte der Benjamin-Eperjes-Straße schreiben müssen. Schon vor gut einem Monat hat Fräulein Ipolyi die Vorbereitungen angefangen, sie mußten in den Hausaufsätzen Beschreibungen von Straßen, Plätzen und Gebäuden geben. Zuerst bekamen sie auf, die Frankstraße zu schildern, dann das Honvéd-Denkmal, den Fischplatz, schließlich als letztes das Gymnasium an der Ecke des Forgácsplatzes. Von Benjamin Eperjes war da zwar noch nicht die Rede, aber wozu hätten sie denn wochenlang üben müssen, wie man einen Platz, ein Denkmal und eine Schule durch Worte anschaulich macht? ‚Wir werden einen Aufsatz über Benjamin Eperjes schreiben’, hat Jutka Mikes prophezeit. ‚Oh, fein!’, hat sie noch hinzugefügt. Jutka kann sich auch über so etwas freuen.
Die Schülerinnen der siebenten Klasse legten das Konzeptpapier zurecht. Sie hatten wöchentlich einmal eine Doppelstunde Ungarisch, das war eigens zum Aufsatzschreiben so eingerichtet, so standen zum Schreiben rund hundert Minuten zur Verfügung. Sie müssen auch immer einen Entwurf machen ein – widerlicher Brauch. Gräßlich, daß man den Platz dafür nicht leer lassen und den Entwurf nicht nachträglich einschreiben kann, wenn man mit dem Aufsatz fertig ist! In der sechsten haben sie es so gemacht, aber Fräulein Ipolyi ist leider dahintergekommen, und diese Methode hat ihr – unbegreiflicherweise – nicht gefallen. Seitdem kommt sie, sowie sie das Thema an die Tafel geschrieben hat, zwischen die Bankreihen, guckt nach rechts und nach links und überzeugt sich, ob jede Schülerin die einzelnen Punkte des Entwurfs zuerst schreibt.
Kucses, die neben Bori saß, stieß einen Seufzer aus, dann begann sie zu schreiben. Bori drehte sich nach der hinter ihr sitzenden Jutka Mikes um. Jutka hatte ihren Entwurf schon fast fertig. Na ja, für die ist das nicht schwer, sie liebt ja diese unmögliche Straße, in der es kein einziges Gebäude gibt, das den schönen, neuen Häusern der Üllőer Straße oder des Großen Rings ähnlich wäre. Bori hätte am liebsten in einem Wolkenkratzer oder zumindest in einer ganz modernen Siedlung gewohnt. Benjamin-Eperjes-Straße ... Sie wurde jetzt ganz und gar bekümmert, denn ihr fiel ein, daß von ihr sicher etwas Besonderes erwartet werde, weil sie das Pech hatte, im Benjamin-Eperjes-Haus zu wohnen sie war dort geboren worden, innerhalb der Mauern, wo einst der Mann, nach dem die Straße benannt war, gewohnt hatte.

Titel der Originalausgabe: „Születésnap“
Übertragung aus dem Ungarischen von Mirza Schüching
Schutzumschlag und Einband von Jochen Baltzer

Gemeinschaftsausgabe des Corvina Verlages, Budapest und des Altberliner Verlages Lucie Groszer, Berlin

Altberliner Verlag Lucie Groszer, Berlin
1. Auflage 1966
2. Auflage 1968
3. Auflage 1971

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