05 Juli 2023

Jaroslav Putik: Der Fall Oppenheimer

Prof. R. J. Oppenheimer vor dem Security Council, dem Sicherheitsausschuß der USA! Ist der „geistige Sohn Einsteins“ ein Hochverräter? Seine Weigerung, die Wasserstoffbombe herzustellen, erweckt den Verdacht der Unterstützung der Sowjetunion. Sabotage und Hochverrat also? Die Verhandlung vor dem Security Council soll Klarheit bringen.
Der Autor gestaltet dichterisch frei die Aussagen der drei Hauptzeugen und des Angeklagten Prof. Oppenheimer.
Das Gewissen Oppenheimers, des „Vaters der Atombombe“, beginnt sich zu regen, als er vom grauenhaften Tod und Siechtum ungezählter Menschen in Hiroshima und Nagasaki erfährt; er fühlt sich mitschuldig, denn es war „seine“ Bombe. Deshalb versucht er mit allen Mitteln, die Herstellung der noch schrecklicheren Wasserstoffbombe zu verhindern.
Mit starkem psychologischem Einfühlungsvermögen zeichnet der Autor die vier Hauptpersonen und läßt dem Leser die mit fesselnder Dramatik geladene Verhandlung miterleben. Sie zeigt nicht nur die Personen, sie enthüllt auch viele bisher kaum bekanntgewordene Tatsachen und gewährt manchen Blick hinter die Kulissen der amerikanischen Nachkriegspolitik.

Buchanfang
Diese Geschichte begann im Frühjahr des Jahres 1954. Es war eine sonderbare Angelegenheit. J. R. Oppenheimer, der mit Lorbeer gekrönte Schöpfer der ersten Atombombe, sah sich urplötzlich auf der Anklagebank. Die sorgsam aufgestellte Anklage legte ihm ein umfangreiches Verzeichnis von Vergehen gegen Amerika vor; in Kreisen, wo kein diplomatisches Wörterbuch benötigt wird. sprach man unumwunden von Spionage und Sabotage. Die Affäre erregte ungewöhnliches Aufsehen. Sensationell waren sowohl die Person des Angeklagten als auch die Anklagebehörde. Oppenheimer stand vor keinem Gericht, sondern vor dem eigens geschaffenen Sicherheitsausschuß der Atomenergiekommission (Security Council of the Atomic Energy Commission). Der Fall entzog sich dem Straf- und dem Zivilrecht; es war weder ein Hochverratsprozeß noch eine freundschaftliche Unterredung noch ein akademisches Streitgespräch; vielmehr stellte die Verhandlung, die doch eigentlich wieder gar keine Verhandlung war, ein Gemisch von alledem dar. Die Geheimpolizei FBI hatte Tausende schriftlicher Dokumente und Fotokopien, Kilometer von Tonbandaufnahmen ......

Nachwort zur deutschen Ausgabe
Das tschechische Original dieses Buches schildert die Ereignisse um Professor Oppenheimer bis zum Juni 1958. Seltsam rasch verläuft die Entwicklung. Vieles, was unlängst nur als unklare Vermutung erschien, wurde inzwischen unabänderliche Wirklichkeit. Zahlreiche Heucheleien fallen aus ihrer erhabenen Verbrämung, und die dahineilende Zeit trennt unerbittlich Wahrheit und Lüge.
Erst einige Jahre sind vergangen, seit die Geister Mac Carthys in ihrem Lande Angst und Finsternis verbreiteten, in der vergeblichen Annahme, sie könnten die Wissenschaft mit der militärischen Peitsche vorantreiben. Der Lunik, der den Mond erreichte, spricht anstelle umfangreicher wissenschaftlicher Abhandlungen darüber, wohin sich die Waagschale der Entwicklung in der Welt neigt.
In unglaublich kurzer Zeit zeigte sich die Unhaltbarkeit der strategischen Konzeption, die der verstorbene amerikanische Außenminister J. F. Dulles verkörperte. Nur selten glaubt jemand heute noch, daß man die sozialistischen Länder einschüchtern könne, daß man ihnen der Politik der Stärke einen fremden Willen aufnötigen und sie in die Knie zwingen könne. Auch früher dauerte es Generationen, bis festverwurzelte Irrtümer und Vorurteile widerlegt wurden. Zur Zeit des Prozesses gegen Oppenheimer konnte man noch überzeugend damit argumentieren, daß jede Schwächung der amerikanischen militärischen Macht die Sowjetunion zu einem Überfall ermutigen würde. Wer hätte aber erwartet, daß jene, die dies behaupteten, binnen kurzem der Lüge überführt würden? Gerade in dem Augenblick, da die Menschheit die militärische Überlegenheit der Sowjetunion als bewiesene Tatsache erkannte, unterbreitete die Sowjetregierung ihren großartigen Vorschlag zur allgemeinen Abrüstung und sogar zur völligen Auflösung der Armeen.
Wunschträume und Illusionen brachen zusammen. Dadurch wurden die Positionen der aggressivsten Kräfte erschüttert – gerade jener, die hinter den Kulissen des Oppenheimer-Prozesses standen.
L. L. Strauss behielt nach seiner Demission im Juni 1958 nur die unbedeutende Funktion eines persönlichen Beraters des Präsidenten Eisenhower. Die amerikanische Presse ließ damals die wahren Ursachen für Strauss' Abgang durchblicken. Es waren dies seine allgemeine Unbeliebtheit bei den amerikanischen Wissenschaftlern, der Fall Oppenheimer, Strauss' Geheimniskrämerei, seine Aufgeblasenheit und seine dunklen Geschäfte, mit denen es dieser unerschrockene Kämpfer für die „wahre amerikanische Lebensweise“ verstand, sein ohnehin schon ansehnliches Konto auf Kosten anderer noch zu vergrößern.
Präsident Eisenhower ernannte später seinen Günstling zum Handelsminister. Es ereignete sich aber eine in den Vereinigten Staaten unerhörte Sache: Der Kongreß billigte die Entscheidung des Präsidenten nicht, und Strauss mußte aus der Regierung ausscheiden. Natürlich bedeutete dieser Abgang noch nicht seinen endgültigen Fall. Strauss hört man heute überall dort, wo gegen die Idee der Zusammenarbeit und der friedlichen Lösung internationaler Fragen gekämpft wird. Er wird alt, aber seine Herrschsucht steigert sich mit zunehmendem Alter.
Auch Edward Teller wurde von der Entwicklung etwas in den Hintergrund geschoben. Er wirkt gegenwärtig als Professor an der Kalifornischen Universität und arbeitet noch immer eng mit seinen alten Schirmherren – den Rockefellers zusammen. Die Psychose eines wütenden Antikommunisten hat ihn nicht im geringsten verlassen. Teller ist einer der Hauptvertreter der Theorie eines „begrenzten Atomkrieges“, die er gemeinsam mit dem amerikanischen Militärtheoretiker Kiessinger ausbrütete. Gegenwärtig entwickelt er seine eigene Theorie von der Notwendigkeit der Vorbereitung auf einen allgemeinen nuklearen Krieg und entwirft Pläne zur Errichtung von unterirdischen Städten und Fabriken, die es den Vereinigten Staaten ermöglichen sollen, den Kommunismus zu besiegen. Er möchte ihn mit allen Mitteln – einschließlich des Atomkrieges – vernichten.
Professor Oppenheimer hält weiterhin Vorlesungen in Princeton. Es wurden Stimmen laut, daß man Oppenheimer alle seine ehemaligen Funktionen zurückgeben sollte. Der Einfluß jener Kreise, die Oppenheimer in die Einsamkeit verbannten, ist jedoch immer noch stark.
Im Herbst 1959 besuchte ich Hiroshima. Im Museum, das man unweit vom Epizentrum der einstigen Explosion errichtet hat, werden in einem Raum Steine, Ziegel, Glas und menschliche Knochen gezeigt, die – miteinander verschmort wie wahnsinnig abstrakte Statuen – aussehen. Ich fand dort die große Fotografie eines der geistigen Urheber dieses Verbrechens – J. R. Oppenheimers. Der Fotograf fing das interessante Gesicht des Mannes in einem Augenblick ein, da er sich um ein Lächeln bemühte. Sein linker Mundwinkel ist jedoch verzogen, es ist ein sardonisches, spöttisches, bitteres und absolut unfrohes Hohnlachen.
Die Leute kommen von dem schlichten Denkmal der Opfer von Hiroshima und blicken in das Antlitz jenes Mannes, dessen Gehirn und schöpferische Energie zu solch einem unseligen Zweck mobilisiert wurden. Einige gehen schnell und gleichgültig vorbei; nichts, überhaupt nichts sagt ihnen sein Name und sein Gesicht. Andere aber schauen ihn lange und aufmerksam an. Ich möchte, daß die Zahl eben dieser Blicke wachse. Gerade deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
Prag, Januar 1960

Titel der tschechischen Originalausgabe: „Svědomi"
Übersetzt von Ben Budar
Schutzumschlag und Einband: Rolf F. Müller

Domowina Verlag, Bautzen

1. Auflage 1960
2. durchges. Auflage 1961

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