11 Juli 2023

Kurt Batt: Anna Seghers – Versuch über Entwicklung und Werk

ANNA SEGHERS (geb. 1900), deren Leben von den wichtigsten Ereignissen des 20. Jahrhunderts häufig – unmittelbar – betroffen und geprägt wird, von den Nachwirkungen der sozialistischen Oktoberrevolution in Mitteleuropa über die Klassenkämpfe der zwanziger Jahre und die Terrorherrschaft des NS-Regimes bis hin zum Aufbau eines sozialistischen deutschen Staates, spiegelt in ihrer Schaffensentwicklung mit deutlichen Zäsuren den Weg der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung und deren Literatur, die sie Station um Station maßgeblich mitbestimmte: im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, während der Volksfrontperiode im französischen und mexikanischen Exil und, heimgekehrt als Autorin von Weltgeltung, als Mitbegründerin und Repräsentantin der DDR-Literatur. Das stofflich weitgespannte Oeuvre der Seghers konnte sich in Übereinstimmung mit der jeweiligen zeitgeschichtlichen Etappe bruchlos entwikkeln, weil es auf der Grundlage eines festen Weltbildes beruhte und sich zu keiner Stunde den mehr oder weniger kurzlebigen Stilrichtungen unterwarf, die das 20. Jahrhundert in großer Mannigfaltigkeit hervorbrachte (Kurt Batt).

Buchanfang
Auch ohne spezielle Biographie
Es gibt im 20. Jahrhundert nur wenige deutsche Schriftsteller von Rang, die mit solcher Ausschließlichkeit wie Anna Seghers Erzähler sind und dabei die Möglichkeiten des Erzählens nach allen Seiten ausgeschritten haben. Roman und Novelle, Anekdote und Skizze, Sage und Märchen, da ist kaum ein Erzählgenre, dessen sie sich nicht bedient hätte – mit einer allerdings für ihre Persönlichkeit und ihr Schaffen charakteristischen Ausnahme: dem autobiographischen Bericht. Erzählen bedeutet für sie strikt das, was es seinem Wesen und seinem Ursprung nach ist: Geschichtenerzählen. Ihm blieb sie über die Jahrzehnte treu, unberührt von den je wechselnden Trends zur Dokumentation, zum essayistischen Einschub, zum beschreibenden Exkurs. Reflexion und Betrachtung haben als selbständig gewordene Bauelemente des Epischen in der Architektur ihrer Romane und Erzählungen keinen Platz. Hier gilt nur ein bewegtes, oft vielfach verschlungenes Geschehen, das alles in allem die Schicksalsfülle des 20. Jahrhunderts, der Revolutionen und Kriege, birgt. Ein ungebrochenes, unbefragtes Erzählen also, in dessen Strukturen sich die Zweifel an seinen Möglichkeiten und seinem Sinn, wie sie Thomas Mann oder Musil zuzeiten beschlichen, ganz zu schweigen von Jüngeren, nicht eingenistet haben oder das in einem geschichtlichen Sinn eben diese Zweifel schon hinter sich gelassen hat. Noch ihr Spätwerk Überfahrt, in dem sie appellativ die Notwendigkeit des Erzählens verkündet, antwortet auf das spätbürgerlicherseits, besonders seit den fünfziger Jahren, programmierte Siechtum des fiktionalen Erzählens. – Das Selbstvertrauen der Erzählerin Anna Seghers gründet sich nicht zuletzt auf ein früh gewonnenes Wissen um Weg und Ziel des historischen Prozesses, den, wie sie selbst, ihre Figuren als Handelnde vollstrecken, .....

Inhalt
    5 ..... Auch ohne spezielle Biographie
  15 ..... Frühe Erfahrungen im Rückblick
  31 ..... Erste Erzählungen
  41 ..... Eine Sage vom Aufruhr
  53 ..... Die Kommunistin
  68 ..... Die Märtyrerchronik
  81 ..... Emigration
  92 ..... Ein Neubeginn: „Der Kopflohn“
102 ..... Heroisches Zwischenspiel
110 ..... Proletarischer Roman als nationaler Zeitgeschichtsroman
121 ..... Die Volksfront
138 ..... Das siebte Kreuz
152 ..... Transit
165 ..... In Mexiko
185 ..... Heimkehr
198 ..... Ein Epochenrückblick
212 ..... Rückblick und neue Erfahrung: Erzählungen
233 ..... Selbstverständigung im Dialog
247 ..... Die sozialistischen Zeitgeschichtsromane
274 ..... Summe des Schaffens

Anhang
287 ..... Anmerkungen
304 ..... Zeittafel
307 ..... Literaturverzeichnis
313 ..... Personenregister
318 ..... Bildquellen

Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig
Reclams-Universal-Bibliothek Band 531
BIOGRAFIEN UND DOKUMENTE

1. Auflage 1973
2. Auflage 1980 

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