28 Oktober 2025

Marianne Bruns: Die Lichtung – Erzählungen aus neun Jahrhunderten

Cover 5. bis 7. Auflage / Ausgewählte Werke
Klappentext:
Vom Jahre 1150 – als noch menschenleerer Urwald das Bergland zwischen Sachsen und Böhmen bis nach Pirna hinab bedeckte – bis in unsere Zeit führt Marianne Bruns den Leser. Sie läßt uns die Schicksale von Menschen jener Gegend miterleben: Das Land wird besiedelt; die Hussiten brechen ein; mit den großen Silberfunden entbrennt der erste Streik; im 30jährigen Krieg rauben und morden die Schweden; immer sprengen Jagdzüge durch das Dickicht und über die Felder; die verschwenderischen Machtkämpfe August des Starken und seiner Mätressen wirken sich bis in Dörfer und Wälder aus; Napoleons Marschall verliert eine entscheidende Schlacht; Revolutionäre flüchten über die Grenze; Geschäfte werden getätigt; das Sozialistengesetz knebelt den kleinen Mann; Hitler bedroht und vernichtet Leben und Liebe; Bauern von heute gründen ihre Genossenschaften.
Immer geht es hier um Menschen, wie sie leidend, liebend, aufbegehrend und kämpfend ihre Einzelschicksale zu bestehen suchen und damit bewußt oder unbewußt auch das allgemeine Menschenschicksal mitgestalten. Lebensfülle und Spannkraft dieses Buches werden jeden Leser fesseln und zugleich sein historisches Wissen vertiefen.

Buchanfang:
Ein Abschied fürs Leben.
Der Lokator, der die Franken angeworben hatte, im Gau Daziane zu siedeln, gab das Zeichen, und sie brachen auf.
Zur Seite des ersten Wagens, der unter seiner derben Plane Vorräte, Saatgut und Hausrat barg, schritt eine sehr junge Frau. Sie hatte unter ihren vielen Kleidern kräftige, gerade Schultern, ein breites Becken, Beine und Hüften aus festem Fleisch und unter der Weiberhaube armstarke Zöpfe.
Sie lachte. Sie lachte auch, als sie an einem Burschen vorüberkam, der hinter dem Wegkreuz stand und ihr den Rücken kehrte, um ihr später nachzublicken. Wer nicht weinen will, muß lachen können.
Auch ihr Mann war jung und stark: jüngster Sohn aus einem Hofe, der ohne Schaden nicht mehr geteilt werden konnte. Von seinen sechs Brüdern waren zwei mit dem Kaiser auf dem Wege nach Jerusalem. Ihm, dem Jüngsten, hatte der Vater das stärkste Mädchen im Dorfe erworben. Sie hatte einen Ochsen eingebracht, Kleinvieh, Leinen, Wolle und Hausrat. Der Sohn war zufrieden.
Es war bestimmt worden, daß sie siedeln sollten. Weit weg. In einem Wald an der Grenze, wo Böhmen lag. Es war ihm recht.
Zwölf Wagen krochen langsam, von Ochsen gezogen, über Straßen, in denen Steine lagen und Löcher sich breiteten. Es wurde oft haltgemacht. Das Vieh mußte weiden, eine Frau gebar, Zoll mußte entrichtet werden, ein Wagen fiel um, eine bewaffnete Begleitung wurde angeworben und später entlassen. Entlaufene Kriegsknechte, die einen Überfall versuchten, wurden in die Flucht geschlagen.
Bei diesen Kämpfen zeigte sich, daß es dem jungen Bauern Heribert zwar an Zornmut und Körperstärke nicht fehlte, aber daß er im Waffenhandwerk weniger geschickt war als mit Pflug und Axt.
Er war es, der schon beim Auszug gefragt hatte, ob man werde Wein bauen können, dort, im fernen Lande Daziane. Es kommt auf euch an, sagte der Lokator, warum nicht! Als der Wein im Schlauch zur Neige ging, fragte er dringlicher: Werden wir Wein bauen? Mäßige Berge, sagst du, breiten sich. Es wird Südhänge geben... Erst rodet! war die Antwort.
Die Welt, durch die sie zogen, war sehr weit, sehr geräumig: viel ausgedehnter, als irgendein Mensch in der Heimat es sich vorstellen konnte. Warum nicht bleiben, wo die Wiesen fett sind?
Aber alles Land war schon vergeben: Klosterland, Königsland, Herrenland, Bauernland. Bestellt oder brach – alles Land eignete irgendwem und wäre verteidigt worden, hätte man es besiedelt.
Nach Wein fragte der Bauer nicht mehr, als sie ankamen in ihrer künftigen Heimat. Da war keine Sonne für Wein; da war kein Platz für Wein, heut nicht und nicht in den Jahren zwischen heut und dem Grabe.

Inhalt:
Die Lichtung im Urwald .. .. .. 5
Die Hilflosen .. .. .. 19
Stadt ohne Kinder .. .. .. 31
Der verlorene Sohn .. .. .. 57
Berggenossen .. .. .. 67
Die drei Versuchungen .. .. .. 81
Kein Halali .. .. .. 99
Lastträger .. .. .. 105
Schuldner der Gräfin Cosel .. .. .. 121
Der Dragoner mit dem Sprung .. .. .. 145
Die Sängerin und der Kammerdiener .. .. .. 163
Das verlassene Dorf .. .. .. 195
Tuffeln? .. .. .. 201
Brief aus der Verbannung .. .. .. 209
Sturmnächte .. .. .. 231
Auf dem Wege .. .. .. 267
Geschäfte .. .. .. 287
Der Kleine und der Große .. .. .. 295
Rote Schuhe .. .. .. 331
Über die Grenze .. .. .. 353
Liebe in dieser Zeit .. .. .. 371
Unser Land .. .. .. 391
Besuch .. .. .. 403
Das Bündnis .. .. .. 421
Nachbemerkung .. .. .. 447

** Schutzumschlag: Klaus Nitsch
** Illustration: Susanne Tischewski

Cover 1. bis 4. Auflage

Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig

1. Auflage 1965 *
2. Auflage 1967 *
3. Auflage 1972 *
4. Auflage 1977*
5. Auflage 1980 **
6. Auflage 1983 **
7. Auflage 1987 **

*Einzelausgabe
**Ausgewählte Werke | Herausgeber Gerd Noglik

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