10 April 2021

Clemens Brentano: Baron von Hüpfenstich

Clemens Brentano brennt in seinen Märchen ein Feuerwerk phantasievoller und witziger Einfälle ab, indem die satirischen Attacken auf die kleinstaatliche Fürstenherrlichkeit, den Adelsstolz heruntergekommener Geschlechter und die bezopfte Ehrwürdigkeit literarischer Autoritäten die prächtigsten Knallfrösche abgeben. Fabulierfreudige Ausschmückungen, geistreiche Wort- und Klangspiele überwuchern immer wieder üppig den Handlungsfaden. Er scheint sich zwischen den artistischen Arabesken zu verlieren und wird dann doch folgerichtig zu Ende geführt. Die Poesie der Natur findet im Märchenland vollendeten Ausdruck, der vertraute Umgang mit Tieren und hilfreichen Geistern wird zur schönen Selbstverständlichkeit, die Rückkehr in eine fröhliche, unbeschwerte Kinderwelt dichterische Wirklichkeit.

In der Verschmelzung so vielfältiger Elemente zu einer künstlerischen Einheit besteht der besondere Reiz des romantischen Kunstmärchens. Als „Kanon der Poesie“ (Novalis) war es vorbildhaft für das romantische Kunstschaffen, in dem eine phantastisch überhöhte, verklärte Welt dargestellt werden sollte. Die Besonderheit der Märchendichtungen Brentanos beruht auf der künstlerischen Eigenart ihres Autors, „jenem unbändigen Witz, der jede verborgene Narrheit der Welt instinktartig aufspürte und niemals unterlassen konnte, jedem Toren die ihm gebührende Schellenkappe aufzustülpen“ (Eichendorff). Die romantische Ironie dieser Kunstwerke wird nur von einem ihrer kritischen Bewunderer, von Heinrich Heine, übertroffen. Bedeutsamer noch aber ist eine andere Seite der Dichtungen, die ihre künstlerische Einmaligkeit und ihre Popularität begründet: der immer wieder angeschlagene schlichte Volkston, die immer neu gefundene Nähe zum Volksmärchen, das Aufspüren einer Poesie, in der „die schönsten Lieder wie Glockenklänge durch das Waldesrauschen herübertönen“ (Eichendorff).

In diesen Märchen verwirklicht sich das vielfältige poetische Talent Clemens Brentanos in einmaliger Geschlossenheit und Vollendung.


Clemens Brentano (1778-1842); Sohn eines Kaufmanns; nach dem Scheitern einer kaufmännischen Lehre Studien in Halle, Jena und Göttingen, dort 1801 Beginn der Freundschaft mit Arnim, 1802 gemeinsame Sängerfahrt auf dem Rhein; 1803 Heirat der Schriftstellerin Sophie Mereau, in Heidelberg mit Arnim Herausgabe der „Zeitung für Einsiedler“ und der berühmten Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn« (1806/08); seit 1809 in Berlin, Mitarbeit an Kleists „Berliner Abendblättern“, Teilnahme an der „Christlich-deutschen Tischgesellschaft“, nach den Befreiungskriegen unstetes Wanderleben zwischen Berlin, Prag, Wien; 1817 Rückwendung zur katholischen Kirche, völlige Bindung an religiöse Themen; ab 1833 in München „im Dienst der katholischen Propaganda“ (Heine).

Brentanos Verdienste als Sammler und Wiederentdecker literarischer Kostbarkeiten überragen seine eigenen bedeutenden lyrischen Schöpfungen. Mit seinen „Italienischen Märchen“ und den „Rheinmärchen“ schuf er meisterhafte romantische Kunstgebilde. Von seinen Erzählungen ist vor allem die „Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl“ (1817) von zeitüberdauerndem Rang.

Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar, 1. Auflage, 1975
bb-Reihe Nr. 315

 

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