29 Januar 2021

Fanny Lewald: Jenny

Aus Angst, den geliebten Mann zu verlieren, wagt die attraktive und verwöhnte Jenny, Tochter eines jüdischen Kaufmanns, den folgenschweren Schritt und tritt zum Christentum über. Einer Ehe Jennys mit ihrem Geliebten Reinhard steht nun nichts mehr im Wege. Für den begabten, geistreichen Maler Erlau ist damit entschieden, daß er Jenny niemals erringen kann. Er verläßt deshalb Deutschland und sucht in Italien Vollendung in seiner Kunst zu erreichen.

Vergebens bemüht sich Jennys Bruder, ein tüchtiger Arzt, um Fräulein Horn und sinnlos ist der Tod des Grafen Walter, der in einem Duell fällt. Ihm hätte Jenny gleichgestellte Partnerin sein können, nachdem sich ein ständiges Zusammenleben mit Reinhard, der ihre Persönlichkeit nicht zu schätzen wußte, für sie als unerträglich erwies. Sie vermochte nicht der "Efeu" zu sein, der sich um die "Eiche" rankt.

Nationale Überheblichkeit, Kastengeist und Vorurteil zerstörten das Glück des einzelnen - das in Zukunft zu verhindern, ist der Autorin eindringliches Anliegen.


Fanny Lewald (1811-1889) stammt aus einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie, trat 1828 zum Christentum über und nannte später diesen Schritt die einzige Lüge ihres Lebens. In ihrem Salon in Berlin verkehrten bekannte Persönlichkeiten: Liszt, Alexander von Humboldt, Spielhagen, Gottfried Keller, Fröbel, Fürst Pückler-Muskau, Ferdinand Lassalle, Franz Duncker, Marie von Ebner-Eschenbach.

Bewußt setzte sich Fanny Lewald mit den Fragen ihrer Zeit auseinander. Wie in dem 1842 erschienenen Roman "Jenny", so befaßte sie sich in ihrem Gesamtwerk (sie schreib u. a. "Clementine", "Wandlungen", "Die Familie Darner", "Benvenuto") immer wieder mit den beiden Problemkreisen, die sie persönlich sehr stark betrafen: Befreiung der Frau aus sozialer Mißachtung und Gleichberechtigung des Judentums. In ihrer Zeitkritik erreicht sie das Niveau liberaler Vormärz-Opposition, und "Jenny" wird mit Recht als der erste "engagierte Frauenroman" bezeichnet.

Buchverlag Der Morgen, 1. Auflage 1967

Günter Prodöhl: Kriminalfälle ohne Beispiel 3. Folge


 Buchbeginn

Wenn man abends bei Einbruch der Dunkelheit von San Francisco aus die große Autostraße in Richtung Los Angeles hinunterfährt, sieht man schon nach kurzer Zeit einen grellen Lichtschein am Nachthimmel, so hell, wie ihn nur große Städte oder riesige Vergnügungsparks ausstrahlen. Fährt man noch einige Meilen weiter, löst sich der Lichtschein in Tausende einzelner Lichter auf. Die besonders grellweißen sind Scheinwerferkegel. Die matteren gelblichen Punkte, die in endloser Reihe fünffach übereinander angeordnet sind, kommen aus den über neunhundert Zellen des Zuchthauses San Quentin...

Verlag Das Neue Berlin, 3. Auflage 1963
Illustriert von Klaus Poche


Nachschlag von Petra Stibane

"Vor reichlich vierzig Jahren war Günter Prodöhl während der damaligen "Woche des Buches" in der Glashütter Bibliothek zu Gast. Er stellte seine Bücher vor: u.a. "Solange die Spur warm ist", "Die im Dunkeln", " Der lieblose Tod des Bordellkönigs" und seine "Kriminalfälle ohne Beispiel" in fünf Bänden. Prodöhl war ein Chronist und Nachgestalter wirklicher Fälle der Kriminalgeschichte jener Zeit. Er stützte sich auf Faktenmaterial, Zusammenhänge und Hintergründe aus Prozessen. Spannend schilderte er auch Verbrechen aus der Welt, Justizirrtümer und -skandale, die in die Geschichte eingegangen sind. Es war eine interessante Begegnung mit dem Schriftsteller Günter Prodöhl aus Berlin."

Erich von Drygalski: Zum Kontinent des eisigen Südens

"Es war ein gewaltiger Anblick, wie in dem hellen Licht Eisberge geisterhaft aus der Nacht emportauchten und vorüberzogen. Wer konnte wissen, ob nicht der nächste Berg das Schiff treffen und zerdrücken würde? Fieberhaft arbeiteten die Mannschaften, um die Schraube zu heben und zu befreien. Um 3 Uhr morgens war es vollendet und zur richtigen Zeit; denn gerade tauchte ein mächtiger Koloß in unmittelbarer Nähe vom Bug aus dem Schneetreiben auf. Volldampf zurück! Wir waren frei. Der Sturm raste fort. Es war eine verhängnisvolle Nacht gewesen, aber gewaltig war der Anblick des mächtig treibenden Eises: Schollen in rasender Fahrt und die Berge dazwischen in langsamem, aber unaufhaltsamem Zuge."

Der das schreibt, ist Erich von Drygalski. Er gehört in jener Zeit zu den führenden Köpfen der Polarforschung und ist gerade 36 Jahre alt geworden, als ihm die Leitung der ersten Deutschen Antarktisexpedition übertragen wird. Einer Expedition, so glänzend ausgerüstet, umsichtig geplant, vielseitig in internationale Kooperation eingebaut wie noch keine bisher.

Sein Schiff, die "Gauß", verläßt am 11. August 1901 Kiel und dringt über Kapstadt und die Kerguelen bis zum antarktischen Festland vor. Es gelingt erstmals die Überwinterung im Stationsbetrieb - eine "Universitas antarctica" im ewigen Eis! 1903 kehrt die Expedition nach Deutschland zurück. Zwar wurden keine aufsehenerregenden Entdeckungen gemacht, aber die wissenschaftliche Ausbeute war groß.

"Wenn je ein Reisewerk das Zeug dazu gehabt hat, ein Lieblingsbuch des deutschen Volkes zu werden, so ist es dieses", schrieb nach Erscheinen des Expeditionsberichtes der bekannte Forschungsreisende Hans Meyer. Es verbleibt beim Leser, dieses Urteil nachzuprüfen.

Inhalt

Die Entstehung der Expedition

Über die Kapverden und Kapstadt zu den Kerguelen

Auf den Kerguelen

Zu unbekannten Küsten

Einrichtung und Betrieb der Winterstation

Gaußberg und Inlandeis

Freuden und Leiden der Winternacht

Frühjahrsschlittenreisen

Antarktischer Sommer

Drift im Scholleneis

Heimwärts

Nachwort des Herausgebers


VEB F.A. Brockhaus-Verlag Leipzig, DDR, 1989
Die Negative für die Textabbildungen stellte freundlicherweise das Institut für Geographie und Geoökologie der AdW in Leipzig aus seinem Archiv zur Verfügung.

26 Januar 2021

Karl-Heinz Günther: Marie Torhorst - Pfarrerstochter Pädagogin Kommunistin - Aus dem Leben der Schwestern Adelheid und Marie Torhorst


 Prof. Dr. Marie Torhorst begann, Erinnerungen aus ihrem Leben und dem ihrer Schwester Dr. Adelheid Torhorst niederzuschreiben, nachdem sie ihr 91. Lebensjahr vollendet hatte. Die Grundidee der Darstellung ist es, den Weg zweier bürgerlicher Mädchen - erzogen in sozialer Gesinnung und humanistischem Geist, in guten Traditionen des deutschen Bildungsbürgertums - zum Sozialismus zu beschreiben. Dieser komplizierte Weg nötigt Respekt ab, regt zum Nachdenken an, vermittelt aus ganz persönlicher Sicht Erkenntnis und Erfahrung aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Er ist zugleich ein eindrucksvoller Beleg für die Überzeugungskraft des Marxismus-Leninismus und die Ausstrahlungskraft des ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates in der Geschichte der Sowjetunion, die in der Biographie von Marie Torhorst eine Dominante bildet.
Marie Torhorst hat sich diese Aufgabe gestellt und sie mit beispielgebendem Engagement zu Ende geführt, um nachfolgenden Generationen, besonders der Jugend, an ihrem Lebensweg und dem ihrer Schwester zu zeigen, daß die Wege zum Sozialismus ganz unterschiedlich sein können, daß es des Mutes, des festen Standpunktes, der Beharrlichkeit und der Bereitschaft bedarf, zu jeder Zeit und an jedem Ort für die Ziele der Arbeiterklasse und ihrer Partei kämpferisch und entschlossen einzutreten, will man Kommunist sein. Zugleich steckt in dieser kleinen Schrift ein ansteckender Optimismus, die Zukunftsgewißheit einer kampferprobten und erfahrenen Kommunistin.

Dietz Verlag Berlin 1986

Wilhelm Busch: Zwiefach sind die Phantasien – Gedichte


 

Wilhelm Busch (1832 - 1908):

Ich kam in diese Welt herein,
mich baß zu amüsieren,
ich wollte gern was Rechtes sein
und musste mich immer genieren.
Oft war ich hoffnungsvoll und froh,
und später kam es doch nicht so.

Nun lauf ich manchen Donnerstag
hienieden schon herummer,
wie ich mich drehn und wenden mag,
's ist immer der alte Kummer.
Bald klopft vor Schmerz und bald vor Lust
das rote Ding in meiner Brust.

Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig, 5. Auflage, 1988
Band 203
Mit 28 Zeichnungen von Wilhelm Busch.

August Bebel: Die Frau und der Sozialismus


 Aus dem Buch

Frau und Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein. Die Formen dieser Unterdrückung haben im Laufe der Zeiten und in den verschiedenen Ländern gewechselt, aber die Unterdrückung blieb. Die Erkenntnis, unterdrückt zu sein, ist auch im Laufe der geschichtlichen Entwicklung öfter den Unterdrückten zum Bewußtsein gekommen und führte zu Änderungen und Milderungen ihrer Lage, aber eine Erkenntnis, die das eigentliche Wesen dieser Unterdrückung in ihren Ursachen erfaßte, ist bei der Frau wie bei dem Arbeiter erst das Resultat unserer Tage. Es mußte erst das eigentliche Wesen der Gesellschaft und die Gesetze, die ihrer Entwicklung zugrunde liegen, erkannt werden, ehe eine Bewegung für die Beseitigung der für ungerecht erkannten Zustände mit Aussicht auf Erfolg Platz greifen konnte...

Dietz Verlag Berlin 1953


25 Januar 2021

Mark Twain: Ein Yankee an König Artus‘ Hof


 Es war einmal ein Yankee aus Connecticut, ein schlauer Praktikus, der erwachte eines Tages im tiefen Mittelalter. Durch eine List entrinnt er dem Scheiterhaufen und gelangt nach Camelot, allwo König Artus und die tapfersten Ritter in der Tafelrunde sitzen. Mit einer Prise Dynamit übertrumpft er den bösen Magier Merlin und wird darob ins höchste Amt des Staates berufen. Heimlich will er das Land zivilisieren: Er lässt Schulen, Fabriken und eine Militärakademie errichten, Telefonleitungen legen und eine Zeitung drucken. Aber die höfische Sitte erheischt, dass er die unbequeme Rüstung anlegt und auf Abenteuersuche zieht. Mit Reklameplakaten, Lasso und Pistole ficht er wider Ungeheuer, kühne Recken, Dummheit und die Angst vor Dämonen. Das Schicksal verschlägt jedoch den Yankee und den König ins grausamste Elend ihrer Untertanen – in die Sklaverei. Wundersame Rettung unterm Galgen bringt ihnen eine Radfahrtruppe gepanzerter Helden, aber der Traum eines besseren Zeitalters bleibt noch ein Traum.

Der amerikanische Humorist Mark Twain erzählt eine moderne Satire im Gewande des Märchens. Es ist die bitterernste Verteidigung der Menschlichkeit gegen die Mächte des Rückschritts.

Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar, 1. Auflage, 1965
Übersetzt von Lore Krüger.
Einband und Schutzumschlag illustriert von Elisabeth Shaw und Erich Rohde.



Verlag Neues Leben, Berlin, 1974
Illustrationen von Manfred Bofinger

Zulfikar Ghose: Der Mord an Aziz Khan


 Aziz Khans Hände packen den Stacheldraht, der ihn von seinem Land trennt. Dann wendet er sich ab und geht langsam am Zaun entlang. Die Hitze drückt ihm die Kehle, aber er taumelt weiter, die Augen unverwandt auf den Boden gerichtet, der sein Leben war und der jetzt von Bulldozern zerrissen wird. Dieser poetisch-bildhafte Schluß des Romans zeigt Aziz Khan als gebrochenen, geistig zerrütteten Mann, der alles – seine Familie, sein Land, seinen Glauben an Gott und an sich selbst – verloren hat. Als argloser Mensch hat er die eigene Rechtschaffenheit auch bei anderen vorausgesetzt und daher erst jetzt seine Feinde erkannt. Nicht der Zorn Allahs, sondern die Brüder Shah haben sein Leben zerstört. Ihre jahrelange Verfolgung des Gutsbesitzers schildert der pakistanische Autor in einer fesselnden Handlung, in der Raub und Mord, Vergewaltigung und Totschlag dramatische Höhepunkte sind. Zügellose Leidenschaften und kalte Grausamkeit, Unsicherheit, Enttäuschung und Verzweiflung, aber auch Güte und Hilfsbereitschaft begegnen uns in diesem weitverzweigten Roman, der einen Einblick in das von islamischer Tradition und moderner Entwicklung geprägte Leben in Pakistan gewährt.

Verlag Volk und Welt Berlin, 1. Auflage 1974
Aus dem Englischen von Wolfgang Strauß

Gabriel García Márquez: Hundert Jahre Einsamkeit


 „Hundert Jahre Einsamkeit“ ist das Buch der puren Fabulierkunst, die ungehemmt aus vielen Quellen der Wirklichkeit, Literatur, Phantastik und Geschichte hervorbricht, aus alltäglichem Geschehen in den Tropen Kolumbiens, aus dem Leseerlebnis durch Ritter- und Abenteuerromane, aus den Mythen der antiken und der biblischen Welt, aus Wunderglauben, Spekulation, Humor und Witz. Die bis ins feinste durchdachte Verquickung von Realität und Mystisch-Phantastischem fesselt den Leser von der ersten Seite an. Mit gespannter Neugier vernimmt er die Geschichte des Buendía, einer mit genialen Fähigkeiten ausgestatteten kolumbianischen Familie, die – von ihrer sagenhaften Gründung in dem von Sumpf und Urwald umgebenen imaginären Ort Macondo bis zu ihrem völligen Ruin nach mehr als hundert Jahren – dem Magischen in ihrem Leben so selbstverständlich Raum gewährt, dass auch der Leser ohne sonderliche Verwunderung die Himmelfahrt von Remedios der Schönen oder den Fliegenden Teppich miterlebt. Merkwürdige Episoden, Legenden und Anekdoten folgen einander in unerschöpflicher Fülle und fügen sich zusammen zu einem riesigen kontrastreichen Fresko, das auf oft skurrile und überaus komische Weise Einblick gestattet in die geschichtliche Wirklichkeit Lateinamerikas.

Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar, 1. Auflage, 1980
TdW
Übersetzt von Curt Meyer-Clason.
Nachwort von Carlos Cerda (übersetzt von Christel Dobenecker).

22 Januar 2021

ohne Autor: Deutschsprachige Literatur im Überblick


 Von den Anfängen bis zur Gegenwart, von den Merseburger Zaubersprüchen bis zur zweiten Bitterfelder Konferenz werden die wesentlichen Strömungen der Literaturentwicklung erläutert, die wichtigen Dichterpersönlichkeiten genannt, ihre Hauptwerke in knapper Form gewürdigt. Die klassische Dichtung und die sozialistische Literatur des 20. Jahrhunderts werden ihrer kulturpolitischen Bedeutung gemäß relativ breit dargestellt. Zwei der mehr als zwanzig Kapitel sind den großen Schriftstellern der Schweiz und Österreichs im 19. und 20. Jahrhundert vorbehalten. Kenntnisreiche Ausführungen informieren über die Literatur Westdeutschlands. Ein Personenregister erleichtert die Handhabung. Diese populärwissenschaftliche kleine deutsche Literaturgeschichte kann zu einem Handbuch für Schüler und Studenten, für Lehrer und Kulturfunktionäre werden. Sie ermöglicht dem nicht speziell vorgebildeten Interessenten, sich rasch zu orientieren, und gibt dem Fachwissenschaftler Anregungen für die marxistische Lösung literaturhistorischer Fragen.

Reclams Universal-Bibliothek Band 94, 2. überarbeitete Auflage 1971
Sprache und Literatur
Literaturgeschichte

Der Metzger von Straßburg – Vierzehn Kriminalgeschichten


 Es treten keine alles wissenden Detektive auf, aber die Frage nach dem Motiv, dem Täter und – nicht zu vergessen – nach dem oder den Opfern spielt in den vorliegenden Kriminalgeschichten eine wichtige Rolle. Mysteriöse Fälle oder der Hergang eines Verbrechens stehen im Mittelpunkt der spannenden Erzählungen von vierzehn deutschsprachigen Autoren der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts; Beiträge zu einem immer wieder gefragten Genre, vor allem aber realistische Meisterwerke, die dem Liebhaber von Krimis wie dem Literaturinteressierten manche Entdeckung bieten.

Mit unbestechlichem Blick untersuchen die Erzähler eine Gesellschaft, in der das Verbrechen – verdeckt und oft auch unverhüllt – zum Alltag gehört; und dieser ist für viele mörderisch: für den Schlächter, der kein Blut sehen kann und der aus der Ehekrise keinen Ausweg findet; für den Koch Valnocha, dem man das Liebste nahm und der amoklaufend versucht, sich am Verführer seiner Freundin zu rächen; für die Geliebte des „anständigen“ Bürgers, die glaubt, über die Leiche einer Erpresserin gehen zu können.

Der „Ausweg Mord“ wird immer zum Weg ins Nichts, und der Ausgang der Geschichten belegt, daß auch die Täter selbst Opfer sind. Daß es dabei vor allem die Erniedrigten und die Beleidigten trifft, zeigen diese Kriminalerzählungen, die allesamt meisterliche Beispiele deutschsprachiger Erzählkunst sind.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1980
Ausgewählt von Wulf Kirsten und Konrad Paul
bb-Reihe Nr. 451

Wilhelm Busch: Die fromme Helene und andere Bildergeschichten

Wilhelm Busch wurde am 15. April 1832 in Wiedensahl bei Hannover geboren und starb am 9. Januar 1908 in Mechthausen am Harz. Er studierte zunächst am Polytechnikum in Hannover, wechselte aber nach drei Jahren zur Akademie der Künste in Düsseldorf über, um seinen künstlerischen Neigungen nachzugehen.

Wilhelm Busch, der Maler, Zeichner, Dichter und Philosoph, ist mit seinen Bildergeschichten eine der volkstümlichen Künstlergestalten des deutschen Volkes. Seine Verse sind als geflügelte Worte in den Volksmund eingegangen. Die großen Busch-Alben findet man in zahlreichen Bücherschränken, und er selbst ist bis heute gegenwärtig und lebendig geblieben.

Das, was ihn so volkstümlich machte und noch immer macht, ist seine liebevolle Beobachtung und Kenntnis des Menschen und die Gabe, dieses Wissen in Bild und Wort umzusetzen. Seine hervorragenden Zeichnungen – die übrigens gegenüber den Texten stets das Primäre waren – in ihrer naiv-derben, sparsamen Darstellungsform werden von Verszeilen begleitet, deren bestechende Einfachheit nicht über ihre Doppelbödigkeit und versteckte Ironie täuscht. Es ist auf knappste Form gebrachte Lebensweisheit, mit der er die Heuchelei, Frömmelei, Selbstgerechtigkeit und Philisterhaftigkeit seiner Zeit angreift. …

„Die fromme Helene“, das Hauptstück unserer Auswahl, ist mit 180 Zeichnungen die umfangreichste, aber wohl auch beliebteste Bildergeschichte von Busch. Auch hier sind es Frömmelei und spießerhafte Selbstgefälligkeit, die er mit seinem unwiderstehlichen Humor der Lächerlichkeit preisgibt…

Verlag der Nation, Berlin, 1960
Roman für alle, Band 92

Wera Panowa: Weggenossen


 Sie ist nicht mehr jung, die Operationsschwester Julia Dmitrijewna, und ihr Äußeres ist wenig anziehend; aber gibt es auf der Welt nicht viele häßliche Frauen, die geliebt und verwöhnt werden? Offensichtlich sucht der ehrgeizige Dr. Suprugow gern ihre Nähe. Vielleicht ist er der richtige Weggefährte? Was kümmert es Julia, daß der Arzt in schwierigen Situationen feige versagt, daß er stets bemüht ist, sich über das Kollektiv zu stellen?

In einem Lazarettzug, der Verwundete von der Front in die Heimat bringt, begegnen sich Julia und Suprugow. Im gleichen Zug trifft Danilow, der Leiter des Transportes, seine Jugendliebe Faina wieder, die er in langen Jahren der Trennung nicht vergessen konnte; hier findet die kleine Waska, vom Pflegepersonal unterwegs in einem brennenden Dorf aufgelesen, eine zweite Heimat, und der alte Dr. Below erlebt den größten Schmerz seines Lebens - den Verlust von Frau und Tochter. Ein Spiel des Zufalls hat die so verschiedenen Menschen zusammengeführt. Sie alle bewähren sich bei der selbstlosen Pflege der Verwundeten, die oft ihre Kräfte übersteigt. Wird es ihnen gelingen, auch ihre persönlichen Probleme zu meistern?

Aufbau-Verlag Berlin 1962
bb 125
Aus dem Russischen übersetzt von Veronica Ensslen

Arseni Wassiljewitsch Woroshejkin: Jagdflieger (Band 1 und 2)


Jagdflieger: Für jeden verbindet sich dieses Wort mit ganz persönlichen Vorstellungen. Haftet ihm nicht etwas Romantisches an, ein Hauch von Abenteuer? Viele träumten schon einmal davon, eines dieser eleganten, schnellen Flugzeuge zu steuern, die Erde unter sich zu lassen, in kürzester Frist große Entfernungen zu überwinden und kühne Taten zu vollbringen. Aber unter denen, die träumten, waren wohl nur einige wenige, die wirklich wußten, was es heißt, Jagdflieger zu sein. Einer, der das Leben eines Jagdfliegers unter den verschiedensten Bedingungen kennenlernte, ist der zweifache Held der Sowjetunion und Generalmajor der Luftstreitkräfte Arseni Wassiljewitsch Woroshejkin. Als die Regierung der UdSSR beschloß, die Luftstreitkräfte des Landes weiter auszubauen, folgte er dem Ruf der Partei und ging an die Fliegerschule. Die jungen Piloten gingen mit Feuereifer daran, sich theoretisches Wissen zu erwerben und die Technik zu meistern.

Militärverlag der DDR, Berlin (1976 / 1979), 1. Auflage;
251 / 452 Seiten
Ins Deutsche übertragen von  Arno Specht

21 Januar 2021

Pál Szabó: König der Kreuzfahrer


 

In seinem in den dreißiger Jahren entstandenen Roman beschreibt Pál Szabó (1893-1970) das Schicksal des ungarischen Volkshelden György Dózsa, eines Zeitgenossen Huttens und Müntzers. Nur zögernd betritt die Hauptgestalt die Szenerie dieses breiten Kultur- und Sittengemäldes vom Beginn des 16. Jahrhunderts. Ein Recke von Gestalt, fühlt sich der aus dem niederen Adel Siebenbürgens stammende Dózsa aus den unterdrückten leibeigenen Bauern mehr verbunden als den Magnaten, denen er als Söldnerhauptmann dient. Als sich die Bauern, die 1514 zum Kreuzzug gegen die Türken aufgerufen worden waren, gegen ihre Unterdrücker im eigenen Lande erheben, verzichtet Dózsa auf eine glanzvolle Feldherrnkarriere und setzt sich, immer noch im Glauben, dem ungarischen König zu dienen, an die Spitze der Bauernmassen. Die Niederschlagung des Aufstandes, die das Land in einen einzigen großen Friedhof verwandelt, begünstigt nicht zuletzt den türkischen Sieg bei Mohács 1526, wo für fast 400 Jahre die nationale Selbständigkeit Ungarns verlorengeht. 

Verlag der Nation Berlin, 3. Auflage 1984
Aus dem Ungarischen von Almos Csongár

Dezsö Kosztolányi: Nero


 Der ungarische Schriftsteller Dezsö Kosztolányi (1885-1936), feinfühliger Lyriker, Novellist, Romancier und Übersetzer, hat mit diesem bereits 1922 veröffentlichten Werk einen bemerkenswerten Beitrag zur historischen Belletristik seines Landes geleistet. Was den Roman auszeichnet, ist neben seiner geschliffenen sprachlichen Diktion die historische Sicht auf das Ende eines Zeitalters; und dieser ausgeprägte Sinn des damals 37jährigen für die Krisenhaftigkeit einer Epoche, die mancherlei Analogien mit den Zersetzungserscheinungen des spätbürgerlichen Zeitalters provozierte, mag es gewesen sein, der Thomas Mann zu seiner begeisterten Zustimmung veranlaßte, als er 1923 die deutsche Fassung des Manuskriptes kennenlernte. In einem Brief an den Autor rühmte er die eigentümliche Intimität des Romans, die "mit ganz leichter, anstrengungsloser Gebärde Bilder und Szenen aus dem Leben der antiken Weltstadt emporruft, die amüsante Gesellschaftskritik sind". Anders als Lion Feuchtwanger in seinem Schlüsselroman "Der falsche Nero" sucht Kosztolányi die hintergründige historische Aktualität ausschließlich durch die psychologische Ausleuchtung seiner Figuren zu erreichen. Ein Roman, der inzwischen in vielen Sprachen der Welt vorliegt, ein unterhaltsames, poetisches, ein ungewöhnliches Buch.

Gemeinschaftsausgabe des Corvina Kiadó, Budapest, und des Verlags der Nation Berlin, 1. Auflage 1979
Schutzumschlag: Volker Pfüller
Aus dem Ungarischen übertragen von Stefan J. Klein

Wolfgang Carlé: Lotte Werkmeister - Eenmal in der Woche muß ick weenen...


 Buchbeginn

"Eenmal in der Woche muß ick weenen..."

Die Zuschauer kichern, lachen, jubeln. Zwischen die Strophen prasselt Applaus. Auf der Bühne des Kulturhauses, angestrahlt vom grellen Scheinwerferlicht, steht eine kleine, rundliche Frau und singt Berliner Chansons.

Wollte man nach der nüchternen, unantastbaren Jahreszahl im Personalausweis urteilen, dann müßte man knapp und ohne höfliche Umschweife sagen: Diese Frau ist nicht mehr jung. Aber wenn man ihr zuhört, wenn man erlebt, wie sich oben auf den Brettern ihr Temperament humorig entlädt, dann vergißt man, ihre Lebensjahrzehnte nachzurechnen. Dann spürt man, über die Rampe hinweg, nur den unverwüstlichen Elan und das junggebliebene Herz...

Henschelverlag Berlin 1965

Claude Tillier: Mein Onkel Benjamin


 Wechselvoll wie das Schicksal des Schriftstellers Claude Tillier (1801 bis 1844) war auch das seines bedeutendsten Romans. Nach seinem Erscheinen 1843 durch die literarische Vorherrschaft der Romantiker und der kritischen Realisten in den Hintergrund gedrängt und dann völlig vergessen, wurde "Mein Onkel Benjamin" Jahrzehnte später in ganz Europa gelesen.

Was diesen Roman, den Gottfried Keller zu seinen Lieblingsbüchern zählte und den auch ein Romain Rolland bewunderte, so anziehend macht, ist vor allem die volkstümliche Gestalt des Helden Benjamin, der vor nichts und niemandem, höchstens vor der Ehe, Respekt hat. Von großem Reiz sind auch die an Rabelais gemahnenden pantagruelisch-derben Schilderungen von Sauf- und Freßgelagen, die liebevollen Beschreibungen der herrlichen burgundischen Landschaft sowie all die Betrachtungen über das Leben und die Übel der Zeit, in denen sich der zeitkritische Geist des Verfassers, aber auch sein Glaube an die unerschöpfliche Kraft des Volkes kundtut.

Insel-Verlag, 5. Aufl., 1973

Uwe Kant: Der kleine Zauberer und die große 5


 Zauberschüler Oliver Schneidewind hat die Kontrollarbeit kräftig verhauen. Nun steht er da mit seiner dicken Fünf und hat nur einen Gedanken; Wie lasse ich die verschwinden! Wegzaubern wäre gut. Oliver kann zwar rotblaukarierte Meerschweinchen zaubern und Gummibälle, die ein bisschen eiern..., aber Zensuren zu verzaubern, das ist zu schwer für einen kleinen Zauberer. Ob es ihm dennoch gelingt, erzählt diese witzige Geschichte

Der Kinderbuchverlag Berlin (1974), 8. Auflage 1983
77 Seiten
Mit Illustrationen von Manfred Bofinger

Jaroslav Hašek: Meine Beichte


 Jaroslav Hašek (1883-1923) nannte sich in einem ironischen Selbstporträt den "größten tschechischen Schriftsteller", und wir nennen ihn den größten tschechischen Satiriker des 20. Jahrhunderts.
Sein Leben war unstet, das eines Bohemien und das eines Kämpfers. Aus der Schule wurde er vorzeitig entlassen, ähnliches widerfuhr ihm später auch anderenorts. Er war Drogistenlehrling, Bankangestellter, wanderte durch die Länder Österreich-Ungarns, war verheiratet, war Inhaber einer Hundehandlung und auch Soldat (1915). Die Armee verließ er freiwillig. Er lief zur russischen Seite über und kämpfte später, von 1918 an, in der Roten Armee. 1920 war Hašek wieder in Prag, später in Lipnice, wo er an seinem "Švejk" arbeiteteEinige Skizzen zu diesem Werk enthält das vorliegende Bändchen und eine Reihe weiterer unterhaltsamer Geschichten über Noahs Sohn und andere Heilige, über Mörder, Selbstmörder, finanzielle Schwierigkeiten und dergleichen Angenehmes und Erheiterndes. Am Schlusse, fast, steht dann seine Reue bekundende Beichte.

Reclams Universal-Bibliothek Band 229
1. Auflage 1965
Erzählende Prosa
Erzählungen

20 Januar 2021

Ernst Bartsch: Koloniale Welt im Aufbruch


 

Ausblick

Fast 3 Milliarden Menschen  leben gegenwärtig auf unserem Planeten. Seit der Jahrhundertwende hat sich ihre Zahl nahezu verdoppelt. Nach den Angaben der Vereinten Nationen wächst die Erdbevölkerung jährlich um 40 Millionen. Dank der modernen Hygiene und der Fortschritten der Medizin sinken die Sterberaten; im Vergleich zu früheren Jahrhunderten, im zarten Kindesalter. Täglich kommen über 100.000 Neugeborene in aller Welt hinzu. Im Jahre 2000, einem gar nicht mehr so fernen Zeitpunkt, wenn die heute Geborenen nicht einmal vierzig Jahre alt sein werden, wird es 5 bis 6 Milliarden Menschen auf der Erde geben. Im Laufe unseres Jahrhunderts wird sich die Menschheit um das Dreifache vermehren, während sie sich im 19. Jahrhundert nicht einmal verdoppelt hat, von früheren Jahrhunderten ganz zu schweigen. Eine wahrhaft erregende Entwicklung von ungeheurer Dynamik...

Verlag Neues Leben, 1. Auflage 1960
Die deutsche Übersetzung des arabischen Schriftzuges auf dem Schutzumschlag heißt Befreiung
Die verwendete Grafik wurde aus dem Werk "Charles White" entnommen
Illustrationen: Gerhard Goßmann

Lieselotte Scherffig: Das Huhn, die Ente und die Maus

 


Buchbeginn

Es waren einmal ein Huhn, eine Ente
und eine Maus, die gingen draußen
im Hof spazieren. Da fand das Huhn
ein paar Weizenkörner.

VEB Postreiter-Verlag Halle, 2. Auflage
Illustrationen: Lieselotte Scherffig

Gentscho Stoew: Preis des Goldes


 Was kann man für tausend Pfund reinen Goldes alles kaufen? So beginnt der Roman, und es klingt fast wie: Was kostet die Welt? Aber schon nach wenigen Sätzen steckt man mitten in den Wirren des April-Aufstandes 1876 gegen die Türkenherrschaft. Verlag der Nation, Berlin, 1. Auflage 1985 155 Seiten Original: "Zenata na slatoto" Aus dem Bulgarischen von Egon Hartmann

Erika Thiel; Mechthild Frick: Kunstfibel


 

Diese Publikation ist ein allgemeinverständliches Elementarbuch über Architektur, Plastik, Malerei, Graphik und angewandte Kunst. Als Fibel, die im Lexikon als "bebildertes Lesebuch für Anfänger" definiert ist, will sie breite Käuferkreise, vor allem Jugendliche, für die künstlerischen Leistungen aus Vergangenheit und Gegenwart interessieren und Verständnis für ein kulturelles Erbe wecken, das - seit Entstehen der Klassengesellschaft den herrschenden Schichten vorbehalten - heute unser aller Leben bereichern kann. Viele Kunstwerke erschließen sich dem Betrachter aber erst, wenn er weiß, wann, wie, warum und für wen sie entstanden sind. Kunstgeschichte wird deshalb nicht nur als Stilgeschichte interpretiert, sondern als Spiegelbild der sich wandelnden Gesellschaft.
Um das Wesentliche anschaulich zu vermitteln, sind Text und Bild eng miteinander verbunden. Dabei wurden die Abbildungen unter dem Gesichtspunkt ausgewählt, Hauptwerke der europäischen Kunstgeschichte zusammenzutragen und die künstlerischen Merkmale der jeweiligen Epoche überzeugend zu dokumentieren. An die 750 reproduzierte Kunstwerke sollen dem Betrachter "augenscheinlich" machen, was der Text dem Leser erschließt. Jedem Kapitel sind außerdem Bildreihen angefügt, deren knappe Kommentierung den Inhalt noch einmal zusammenfaßt und zur vergleichenden Betrachtung und darüber hinaus zur tieferen Beschäftigung mit Kunst anregen will.
Die vorliegende Edition fußt auf der 1966 erstmals erschienenen "Kunstfibel" von Erika Thiel, die grundlegend überarbeitet, aktualisiert, neu gestaltet und beträchtlich erweitert wurde, um den gewachsenen Ansprüchen an ein "Lehrbuch" über Kunst nachzukommen.

Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin, 2. Aufl., 1989

Samuil Marschak: Bärtig und gestreift

 


Buchbeginn

Es war einmal ein Mädchen, das war noch sehr klein
In welchem Lande? Wo konnte das sein?
Wie hieß das Mädchen? Wer kann mir das sagen? ...
Das beste ist's, mal die Mutter zu fragen...

Der Kinderbuchverlag Berlin, Erstausgabe 1967
Bilder von Hildegard Haller

Zofia Dzierzynska: Jahre großer Kämpfe


 Feliks Edmundowitsch Dzierzynski. Die einen liebten und verehrten ihn, die anderen haßten ihn. Aber selbst die, die seinen Namen fürchteten, konnten dem glühenden Revolutionär und konsequenten Kämpfer für die Sache der Arbeiterklasse den Respekt nicht versagen.
Viele Seiten seines Lebens und Wirkens sind uns bekannt, vielen ist sein Handeln zur Richtschnur geworden. Die Autorin erschließt uns mit ihrem Buch Dzierzynski auf eine neue, emotionelle Weise - als Mensch, Ehemann und Vater.
Zofia Dzierzynska stammt aus einer kleinbürgerlichen polnischen Familie. Ihre patriotische Erziehung, ihre Umwelt und ihr feines Gespür für die Ungleichheiten im damaligen Polen führen sie an die Seite der polnischen Sozialdemokraten. Die von Rosa Luxemburg, Julian Marchlewski, Feliks Dzierzynski und anderen gegründete Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauens (SDKPiL) wird zu ihrer geistigen Heimat. Im Kampf gegen Ausbeutung und Zarismus lernt sie ihren Mann kennen und lieben. Tief beeindrucken sie seine Prinzipienfestigkeit und seine Arbeitsdisziplin, und sie beschließt, ihm stets eine ebenbürtige Partnerin zu sein. Nur kurze Zeit kann das Ehepaar gemeinsam verbringen. Verhaftungen, Gefängnismauern, Verbannung und Emigration trennen sie für viele Jahre. Nur Briefe halten die Verbindung aufrecht. Sie erschließen Zofia die Gefühlwelt ihres Mannes, halten in ihr die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wach und bestärken sie in ihrem Kampf. Von einer neuen Revolution in Rußland erhoffen sie sich nicht nur ihre eigene Freiheit und ihr persönliches Glück, sondern auch Freiheit für ihre polnische Heimat. Die Februarrevolution befreit Feliks Edmundowitsch aus dem zaristischen Kerker. An der Seite Lenins führt er das russische Proletariat in die Große Sozialistische Oktoberrevolution, kämpft als Vorsitzender der Tscheka gegen die innere und äußere Reaktion, gibt seine ganze Kraft dem Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung. Zofia Dzierzynska tritt nach der Emigration mit ihrem Sohn die Reise nach Moskau an. Wenig Zeit bleibt den Dzierzynskis für ihr privates Glück. Trotzdem sind sie glücklich, denn sie beide verbindet die Idee des Großen Oktobers, der sie ihr ganzes Leben gewidmet haben.

Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1977
Ins Deutsche übertragen von hans-Joachim Lambrecht

19 Januar 2021

ohne Autor: Der Pfannkuchen


 Buchbeginn

Einst lebten ein alter Mann und eine alte Frau. Einmal sagte der alte Mann zu seiner Frau: 
"Hör, Alte, feg doch mal den Kasten und wisch die Lade aus, ob du nicht Mehl für einen Pfannkuchen zusammenkriegst!"
Die Alte nahm einen Federwisch, fegte den Kasten und wischte die Lade aus, und es kamen zwei Handvoll Mehl zusammen...

Verlag Malysch Moskau
Illustrationen: W. Andriewitsch

K.S. Moskalenko: In der Südwestrichtung


 In der Memoirenreihe wird mit diesem Band eine weitere Arbeit vorgelegt, die sich mit den Kampfhandlungen im Südabschnitt der deutsch-sowjetischen Front befaßt.

Der heutige Stellvertreter des Verteidigungsministers der UdSSR, Marschall der Sowjetunion Moskalenko, erlebte den faschistischen Überfall als Kommandeur einer Panzerabwehrartilleriebrigade in der Ukraine.

Die Spanne des Bandes reicht vom Sommer des Jahres 1941 bis zum Frühjahr 1943, bis zur Herausbildung des Kursker Bogens. Dazwischen lagen die schweren Kämpfe des Sommers 1941, in den Rotarmisten in der Südwestrichtung starke Kräfte des Gegners banden und ihn sogar zwangen, Panzerverbände von der auf Moskau vorstoßenden Heerestruppe Mitte abzuziehen.

Im Winter 1941 gehörte der Autor zu denen, die an der linken Flanke die Verteidiger von Moskau entlasteten.

Das Frühjahr 1942 erlebte er mit seiner ganzen Härte, seinem ganzen Ernst in der Charkower Operation. Als Oberbefehlshaber der 38. Armee kämpft er im Sommer 1942 vor Stalingrad. Auf dem Höhepunkt der Kämpfe übernimmt er die 1. Panzerarmee.

Sie ringt dem Gegner zwei Wochen ab, die für die Vorbereitung auf die Verteidigung der Stadt dringend gebraucht werden.

Während der Stalingrader Schlacht werden nördlich der Stadt weiter Operationen vorbereitet, in denen die 2. ungarische und die 2. deutsche Armee zerschlagen werden.

Im September 1942 wurde Moskalenko Oberbefehlshaber der 40. Armee und mit dieser Armee nimmt er an der Operation von Ostrogoshsk-Rossosch und Woronesh-Kastornoje teil.

Militärverlag der DDR, Berlin (1975), 1. Auflage
435 Seiten
Ins Deutsche übertragen von  Irmgard Zeisler

Hans-Günter Krack: Kein Zurück für Elke


 In jedem Jahr verbringt Elke erlebnisreiche Ferien auf dem Elbfrachter "Österberg". In diesem Sommer jedoch ist ihr unbehaglich zumute, als sie an Bord geht: Ein Verdacht gegen ihren Bruder läßt sie nicht los.

Verlag Neues Leben, 2. Auflage 1971
Illustrationen Harri Förster

18 Januar 2021

Helga Schütz: Vorgeschichten oder Schöne Gegend Probstein

 

Mann Heinrich aus Probstein hat sozusagen Schwein: er nimmt seine Enkelin Jette ins Haus und darf dafür eine ganze Sau halten. Freilich wird es noch eine Weile dauern, bis das Ferkel schlachtfett ist. Inzwischen wird sich Großvater Mann wegen einer alten Schachtel Pralinés, weiß und rosa Nelken drauf, mit Tante Selma entzwein, der Polenjunge Adam wird im Garten wie ein Apfel vom Baum fallen, und Jette wird ihre Zimtkuchen-Freunde Christoph und Gabriel an den Krieg verlieren. Und als am Ende der Großvater die Holzbrücke über den Mühlgraben repariert, obwohl er weiß, daß sie alle Probstein verlassen müssen, da hat Brinkfriede Kunze, verwitwete Hahn, mit einer Deutschen Rheinmetallflinte schon ihr Federvieh erschossen, und der Schuster Petzold ist von vier Männern aus Schönau verhaftet und im Auto abtransportiert worden. Verwirrende Ereignisse für Jette, das Kind; doch Großvater Mann hat begriffen, was zu tun war, und mit ihm der Leser dieses eigenwillig und sehr poetisch geschriebenen ersten Buches von Helga Schütz.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1971

Heinar Kipphardt: Bruder Eichmann


 In diesem Adolf Eichmann zeigt Heinar Kipphardt einen Verbrecher, der mit der Disziplin eines durchschnittlichen Buchhalters die "Endlösung der Judenfrage" ausführte. Ebenso routiniert spielte "Bruder Eichmann" seine Rolle in jenem israelischen Schauprozeß, der vor dem Hintergrund der beginnenden "Lösung des Palästinenserproblems" stattfand. Die Bezüge zur Gegenwart machen betroffen, denn: "Das Monster, es scheint, ist der gewöhnliche funktionale Mensch, der jede Maschine ölt..."

Heinar Kipphardt starb im November 1982, kurz vor der Uraufführung seines dokumentarischen, psychologisch eindrucksvollen Schauspiels, das an unser Gewissen rührt.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1985
Edition Neue Texte

Andreas Albrecht: Unter Umständen die Liebe


 Andreas Albrecht schreibt Geschichten über die erotische Beziehung zwischen Mann und Frau, über die ständige Bewährung in der Arbeit und im Alltag. Er erzählt unter anderem von der ersten Annäherung zweier Schüler, den spätpubertären Problemen eines jungen Mannes, der Prüfung einer Liebe auf einer anstrengenden Radtour durch die Rhodopen.
Satirische Akzente setzen Geschichten über seltsame Käuze, die mit Arbeit und Erotik ihre Schwierigkeiten haben.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1981
Edition Neue Texte

17 Januar 2021

Helga Schubert: Lauter Leben - Geschichten


 Lauter Leben, nichts als Leben verspricht dieser Band - und lauter Leben begegnet Ihnen in den Geschichten, Leben, das Sie kennen und das doch neu für Sie ist. Sie können lachen und werden nachdenklich, wenn Helga Schubert von alleinstehenden Freundinnen erzählt, die so allein gar nicht stehen, von einem späten Mädchen, das unverhofft einen Mann findet, "weil sie einmal war wie vorher noch nie", von der Polin Anna, die nicht allzu genau ist, "mehr so, wie es Spaß macht", und Anna kann Deutsch, damit hat es seine eigene Bewandtnis.

Vielleicht geht bei Ihnen auch alles drunter und drüber, weil das Kind einen Hund will, gewiß waren auch Sie schon auf einer schönen Reise am südlichen Meer oder Teilnehmer jener großen Tagungen, die alljährlich in landschaftlich reizvollen Gegenden stattfinden. Doch haben Sie schon einmal eine Töpferin in ihrer Wohnung besucht und die Geschichte einer Figur erfahren? Oder zugehört, wie ein alter Mann, der seinen Schimmel malen ließ, sein Leben erzählt?

Lauter Leben - selbst wenn vom Friedhof die Rede ist. Mit Anteilnahme und Gespür erzählt Helga Schubert Lebensgeschichten und davon, was alles an einem Tag passieren kann.

Buchbeginn
Meine alleinstehenden Freundinnen kann man unangemeldet besuchen. Meistens ist schon jemand da. Man kann zu ihnen jemand mitbringen. Meine alleinstehenden Freundinnen kommen nie unangemeldet, und wenn sie vorher von der Ecke anrufen. Sie wollen, daß man dann allein ist. Sie bringen niemand mit.
Meine alleinstehenden Freundinnen wohnen in Altbauwohnungen. Entweder im vierten Stock oder zu ebener Erde in einem Laden. Sie sagen, daß sie nicht jeden Dienstag auf dem Wohnungsamt sitzen wollen. Aber in Wirklichkeit wollen sie keine Neubauwohnung. Ihre Wohnungen sind nämlich unverwechselbar...

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 3. Auflage 1981
Edition Neue Texte

Marie Cardinal: Schattenmund oder Die Worte, um es zu sagen


 Zusammengekrümmt kauert Marie auf dem Sofa, angstgeschüttelt lauscht sie in sich hinein, beobachtet sie ihren Körper. Schon lange ist sie unfähig, zu leben wie andere, zu arbeiten, ihre Kinder zu betreuen. Was ist dieses Unbekannte, Unfaßbare, das sie bedrängt? Ein ganzes Heer von Ärzten hat sie bereits konsultiert - niemand konnte ihr helfen. Da entschließt sie sich zu einer psychoanalytischen Behandlung: dreimal in der Woche ein quälendes Gespräch, bis sie nach Jahren endlich das Haus des Therapeuten, das sie als zerstörter Mensch betreten hat, selbstbewußt und neugierig auf das Leben verlassen kann, für immer. Bis weit in ihre Kinderzeit im französischen Algerien der dreißiger Jahre hat sie zurückgehen müssen auf ihrer Suche nach sich selbst. Sie war von einer hochmütigen, traditionsbewußten Mutter in borniertem Standesdünkel erzogen worden, Verbotsschilder versperren ihr allenthalben den Weg. Das impulsive, eigenwillige Mädchen litt unter der Dressur und bäumte sich auf; doch es kam der Tag, da ihr Wille gebrochen, ihre Widerstandskraft aufgezehrt war - und fortan funktionierte sie wie eine Puppe. So lange, bis die Selbstverleugnung sie an den Rand des Wahnsinns trieb.

Mit schonungsloser Offenheit spricht hier eine Frau fast ausschließlich über sich selbst; aber sie hat einen wachen Blick für ihre Umwelt, für die Bedingungen, unter denen sie lebt und ohne die ihre individuelle Geschichte letztlich nicht entschlüsselbar ist.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1983
Edition Neue Texte
Deutsch von Gabriele Forberg und Asma El Moutei Semler
Mit einer Nachbemerkung von Johannes Helm

Susan Hill: Seltsame Begegnung


 1916 - mitten in einem Weltkrieg, von dem niemand ahnt, daß man ihn einst den ersten nennen wird. In der englischen Armee in Frankreich begegnen sich zwei junge Offiziere, deren sehr unterschiedliche Naturen sich seltsam ergänzen und anziehen. Zwischen den beiden Männern, die einander viel zu geben haben, entwickelt sich eine tiefe Freundschaft, die selbst über die Qualen und Schrecknisse des Schützengrabens triumphiert. Bis das Inferno an der Somme erneut losbricht und der Tod tausendfach zuschlägt - wahllos, wie es den Überlebenden scheint. Auch sie sind verwandelt, müssen einen neuen Anfang suchen.
Ein Kriegsroman? Ja, aber nicht nur das. Vor dem grausigen Hintergrund des Krieges vollziehen sich meisterhaft beschriebene psychische Prozesse, vermögen Menschen ihre Vorurteile und Hemmungen zu überwinden, sich zu Haltungen durchzuringen, die es ihnen möglich machen, auch unter extremen Bedingungen Mensch zu bleiben.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1982
Edition Neue Texte
Deutsch von Ana Maria Brock

16 Januar 2021

Christa Wolf: Lesen und Schreiben


 Eine Vielfalt von Anregungen, Kenntnissen, Erfahrungen - fruchtbaren Fragestellungen vermitteln diese "Aufsätze und Betrachtungen" Christa Wolfs aus den Jahren 1964-1972. Ihre Fähigkeit zu gründlicher Analyse bestätigt sich hier auf der Ebene der Theorie, des Essays, des Porträts, des Werkstattberichtes, des direkten politischen Engagements. Welches "Deutsch" spricht man in der BRD? Wie kann man den Gefahren der modernen Genetik begegnen? Was vermag Prosa heute? Immer mit dem Blick auf das Wesentliche, über den unmittelbaren Anlaß Hinausweisende stellt sich Christa Wolf konsequent und aufrichtig den sie bewegenden Fragen, und immer findet sie jenen Fixpunkt, der ihr selbst bei der Deutung der Anna Seghers am wichtigsten erschien: den "Glauben an Irdisches", an die "denkende, mitfühlende, verstehende und handelnde Vernunft".  So verbinden sich genaue Analyse politischer Zustände, einfühlsame Interpretation fremder Werke und die Darlegung eigener Schaffens- und Lebensprobleme zu einem differenzierten Bild politischer und literarischer Verhältnisse der Gegenwart und ihrer möglichen Weiterungen in die Zukunft.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1973
Mit einer Nachbemerkung von Hans Stubbe

Sarah Kirsch: Die Pantherfrau - Fünf unfrisierte Erzählungen aus dem Kassetten-Recorder


 "Sie trägt flache Schuhe, Jeans, einen roten Pullover, eine Kette mit goldenem Medaillon, die Peitsche in der Hand. Die Käfigtür wird hinter ihr geschlossen. Unsere Heldin hat sich verwandelt. Obwohl sie vorher nicht alt war, erscheint sie uns an ihrem Arbeitsplatz bedeutend jünger als noch vor Augenblicken. Die schwarzen Schönheiten knurren und schlagen mit den Pfoten, verweigern auch wohl den Gehorsam. Wir sind nicht vom Bau. Aber wir könnten in diesem Augenblick, wenn wir den Arm ausstrecken, so ein Mordsvieh mit dem Finger berühren."
Fünf Frauen geben Auskunft. Fünf Tonband-Erzählungen halten ihre Auskünfte fest: die im Augenblick gesprochene, lebendige, über den Augenblick hinausreichende Sprache. Die alle Nuancen des Momentanen festhält: Dialekte, Emotion und vor allem die Anschaulichkeit und Bedeutung der sogenannten Details. Fünf Lebensgeschichten erscheinen in der gebotenen Kürze wie fünf Teilansichten des Lebens von Menschen unserer Zeit. Biographien oder Erzählungen: diese Selbstbeschreibungen wollen als subjektive Dokumente gelesen sein. Frauen unterschiedlichen Alters und Berufs geben Auskunft - ob Wissenschaftlerin, Dompteuse, Arbeiterin; Sarah Kirsch forscht einfühlsam, um Authentizität und eigenen Duktus gleichermaßen bemüht.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 2. Auflage 1974
Edition Neue Texte

Cristina Peri Rossi: Der Abend des Dinosauriers


 Das Überraschende in den Büchern Cristina Peri Rossis ist das kluge Wechselspiel zweier Dimensionen der schöpferischen Arbeit: der konsequente, kritische Blick auf die soziale Umwelt und die unverzichtbare Treue gegenüber den vielgestaltigen, scharfsinnigen individuellen Motivationen, gegenüber dem persönlichen Bereich, der den Schriftsteller zum Wagnis des Wortes ermutigt. Ob das Kind beim Sammeln bunter Steine am Strand der Jungfrau Maria begegnet, ob das Mädchen mit ihrem Vater allein lebt und die Herausforderung des Exils erfährt, ob sich die Phantasie eines Schülers verzweifelt gegen die phantsiefeindlichen Methoden der Erwachsenen verteidigt - immer handelt es sich um entscheidende Situationen, mitunter auch um poetische Intuitionen, um die Ahnung einer möglichen Metapher. Für Cristina Peri Rossi ist die Erzählung eine Art Trompetensolo, ein Abenteuer, bis die Metapher geformt ist, eine Aufforderung an den Leser, das Spiel zu akzeptieren, die phantasiereiche und freie Sprache zu entdecken, die die unzähligen Variationen über ein und dasselbe Thema hervorbringt, die einzige Form, diesem gerecht zu werden. - Carlos Cerda

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1982
Edition Neue Texte
Mit einem Vorwort von Julio Cortázar
Deutsch von Ursula Roth

15 Januar 2021

Christine Wolter: Meine italienische Reise


 Diese Städte- und Menschenbilder zeigen ein fremdes Land: behutsam, um diesen und jenen Nachweis bemüht, besorgt, den rechten Eindruck nicht zu verpassen, auf den es uns ankommt aus guten Gründen. Reisen, das modische Zauberwort, ist in unserem Beispiel ohne Belang, Reisen in Vollpension, mit Feriengefühlen und verzückt aufgeblendeter Kamera vor Strand und Stein. Reisen als Dolmetscherin ist ein Wald von Terminen, holzig und tief, mit Lichtungen, Schneisen und Bächen...

Da ist Venedig, die dunkle Stadt, Lichter spielen auf dem Wasser, Gondeln gleiten vorbei, geheimnistragende Schatten. Im Opernhaus der verklingende Glanz schöner Stimmen vor Italiens Reichen, die angetreten sind wie zu einem Festschmaus. Die Nacht versinkt, auf die leeren Plätze schleicht Ruhe ein. In dieser erwartungsvollen Stille erleben zwei Menschen das Wunder ihrer Gegenwart, die von Premierenlärm, vom großen Theater der verwöhnten Stadt nicht zu betäuben war. Da gehen zwei, als seien sie eben zur Welt gekommen, als hätte es dieses Abends bedurft, um ihnen zu zeigen, was sie vergessen haben. Das Licht der Nüchternheit strahlt aus dem Dunkel der Kulisse, die durchsichtig wird für sie, deren Wege sich trennen.

Beginn

Abschiede, Bildfragmente. Mein Gesicht ist naß, nicht von Tränen, von Schweiß, die große Bahnhofshalle kocht, das Wollkostüm umklammert mich. Gleich zwei Freundinnen haben sich erboten, mich zum Zug zu bringen, kommen mit Apfelsinen, Schallplatten, Küssen. Was fürchten Sie? Glauben sie, ich würde auf dem Petersplatz in die Knie sinken und sagen: Ich will hierbleiben? Sie sind besorgt, sie kennen den Zauber ihres schönen häßlichen Landes, und sie wissen nicht, welche Liebe mich heimwärts zieht. Und während der Zug langsam aus der Halle rückt, beginne ich schon zu vermissen und sehe noch einmal gierig hinaus: die Sonne, vorspringende Gesimse, Fensterläden, Schatten, Madonnen auf den Bildern und in den Straßen, offenes Lachen, Wutgeschrei, Geselligkeit der Plätze, gedeckte Tische unter Weinranken, Parmesan, Valpolicella... Da beginnt das Bedauern um alles, was verloren und verpaßt ist, der unaufhaltsame Verschleiß der Erinnerungen, das Vergessen...

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 2. Auflage 1975

Gisela Kraft: Katze und Derwisch


 

Was ist das, ein Derwisch?
Einer, der sucht, den es umtreibt, von Bleibe zu Bleibe.

Wen oder was sucht er, der Derwisch?
Den Sinn. Den Geliebten.

Wer soll das sein, der Geliebte?
Schwierig zu sagen. Er ist niemals gesehen worden. Bücher und Mütter berichten von ihm.

Stellt der Geliebte Bedingungen?
Ja. Loslassen, weitergehen. Singen. Sich nützlich machen.

Wie denn - singen?
In einfacher Weise und klaren Worten. Vom Aufstehn am Morgen. Vom Lächeln am Abend. Von der Erddrehung. Geheimnisse braucht er nicht, er ist ja geheim.

Gibt es einen Fehler, den der Geliebte vergibt?
Verwechselt werden - mit jedem Gegenstand am Weg.

Aber was soll, bei alledem, noch die Katze?
Den Geliebten anzweifeln. Die Reise verschlafen. Ihr Fell herleihen. Nachrichten schnurren.

Und am Ende?
Es gibt keins. Nur Dauer, Wiederholung, Neuanfang.

Eine letzte Frage: Könnten Sie sich vorstellen, selber Derwisch zu sein?
Was sonst, da ich Mensch bin.

G. K


Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1985
Edition Neue Texte

Maja Ganina: Im Sternbild der Zwillinge


 Krankheit stößt "normale" Wertmaßstäbe um, stellt bisher Gültiges in Frage. Diese Erfahrung, so banal wie wahr, hätte der Kunsthistorikerin Wera noch bis vor kurzem allenfalls ein überlegenes Lächeln entlockt. Nun macht sie sie buchstäblich am eigenen Leib. In einer Herzklinik wartet sie auf ihr Urteil: den ärztlichen Befund. Die knappe Zeitspanne wird ihr, der Beherrschten und Starken, zur Ewigkeit zwischen Hoffnung und elementarer Angst. Der Unzulänglichkeit des eigenen Körpers ausgeliefert und ringsum von Krankheit umgeben, die selbst Jugend und Schönheit nicht verschont, wird sie zunehmender unsicherer. Hat sie recht daran getan, dem Verstand im menschlichen Dasein den Vorrang zu geben? Kann sie, falls sich der schreckliche Verdacht auf eine bösartige Geschwulst bestätigt, ein erfülltes Leben beschließen? Viele Jahre hat sie in Indien verbracht und sich ausschließlich ihren Kunststudien gewidmet, sogar die einzige Liebe hat sie ihrem Hochmut und elitären Anspruch geopfert. Wera ist ratlos, und unter dem übergroßen Leidensdruck entwickelt sie erstmals Verständnis für ihre Mitmenschen. Doch da wendet sich alles zum Guten: Sie wird die Klinik als geheilt verlassen. Mitnehmen wird sie das Wissen um eigene Ohnmacht und fremden Schmerz...

Die russ. Schriftstellerin Maja Ganina (*1927) scheint bei uns recht unbekannt zu sein. Sie arbeitete als Technologin u studierte gleichzeitig am Literaturinstitut "Maxim Gorki". Sie reiste durch die Sowjetunion zu Großbaustellen in Sibirien und im Fernen Osten und besuchte Indien. Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte sie in literarischen Zeitschriften. 

Beginn
Mir hatte etwas geträumt: Lang zog es sich hin, ein herrliches Grün, noch immer wogte es vor meinen Augen, als ich sie aufschlug und blicklos die Zimmerdecke abtastete. Ein grünlicher Himmel, Wolkenstreifen im letzten Sonnenlicht, davor die grünen rauhen Wipfel der Toddypalmen: Indien oder Ceylon.
"Lebt Alka noch?" fragte Anja vom Nebenbett laut.
Anja senkte ihre Stimme nicht, obwohl es erst sieben war und alle versuchten, noch rasch etwas Schlaf aufzuholen: Es war eine schlechte Nacht gewesen. In unserem Zimmer war Anja der schwerste Fall: Mitralfehler, Aortenstenose, dazu noch eine absolute Arrhythmie. Sie lag oft und lange hier, deshalb fühlte sie sich als Hausherrin...

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1977
Edition Neue Texte
Aus dem Russischen übersetzt von Brigitta Schröder.
Mit einer Nachbemerkung von Herbert Krempien.

14 Januar 2021

Mariama Bâ: Ein so langer Brief


 "Wenn auch die Träume im Laufe der Jahre und der Realitäten sterben, so bewahre ich doch meine Erinnerungen, Salz meines Gedächtnisses, unversehrt" - Worte einer Frau, die sich in einem langen Brief an die Freundin wendet und ihr bisheriges Leben überdenkt. Doch geht es hier um mehr als nur um Rückbesinnung und bloße Mitteilung, für sie erweist sich die Niederschrift als eine Möglichkeit, die Lebenskrise zu bewältigen, sich neu zu orientieren.
Mariama Bâ erzählt die Geschichte einer modernen Afrikanerin aus Dakar, deren Ehemann sich nach langen Jahren eine jüngere Nebenfrau nimmt, eine schmerzliche Tatsache, der sie sich wie viele Afrikanerinnen beugen muß. Traurigkeit und Zorn überkommen sie, wenn sie daran denkt, daß sie diesen Mann leidenschaftlich geliebt, ihm dreißig Jahre ihres Lebens geopfert und ihm zwölf Kinder geboren hat. Das genügte ihm nicht, er mußte ihr unbedingt eine Zweitfrau zugesellen; als er dieser anderen den absoluten Vorzug gab, verriet er seine einstigen Ideale. Sie, Ramatoulaye, ließ er im Stich. Mit dem plötzlichen Tod des Mannes bricht die Katastrophe über sie herein, sie muß mit der Enttäuschung, der Mißachtung und dem Alleinsein fertig werden und macht sich auf den mühevollen Weg, ihren Anspruch auf Menschlichkeit durchzusetzen.

Verlag Neues Leben Berlin und Weimar, 1. Auflage 1982
Edition Neue Texte
Deutsch von Irmgard Rathke

Helga Schubert: Blickwinkel


 Helga Schubert, die von sich sagt: "Über mich selbst schreibe ich, seitdem ich schreibe...", berichtet Erfahrungen ihres Lebens. Verschieden sind die Blickwinkel, unter denen sie Privates und Zeitgeschehen betrachtet. Sie begibt sich auf die Suche nach der Vätergeneration, geht diffizilen Mutter-Sohn-Beziehungen nach, ironisiert den Aberglauben eines Sonntagskindes und unternimmt einen Ausflug in das verbotene Zimmer. Fragen von Leben und Tod gehören immer wieder zu ihren Themen. Unprätentiös und genau wird Alltägliches beschrieben: die Probenarbeit einer berühmten Tänzerin, der desolate Zustand einer Ehe, das gar nicht einfache Leben einer einfachen Frau.
Geschichten, Porträts, Träume laden den Leser zur Identifizierung und zur Auseinandersetzung ein.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1984
Edition Neue Texte

Angela Krauß: Das Vergnügen


 An einem durchsichtigen Tag im September wird eine Brikettfabrik siebzig Jahre alt, und eine ledige Mutter - Teilfacharbeiterin auf dem Kohleboden - wird mündig. Beide Ereignisse feiert man gleichzeitig auf dem abendlichen Vergnügen.
Angela Krauß meint aber mehr als ein Betriebsfest, wenn sie von Vergnügen spricht. Klug, warmherzig und mit Humor erzählt sie, wo überall im Leben Vergnügen sein kann "zwischen Arbeit und Feier, Brikett und Bier, Ernst und Spiel, Staub und Philosophie, alter Fabrik und neuen Ansprüchen, zwischen Reden und Schweigen" (Joachim Nowotny).

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1984
Edition Neue Text
Mit einer Nachbemerkung von Joachim Nowotny

Colette Basile: So ist das Leben

 Am Tag steht sie am Fließband und drückt Kirschen in heiße Schokolade - zweitausendmal in der Stunde derselbe Handgriff. Unerträglich langsam vergeht die Zeit, und dann dieses Geschwätz der anderen, mein Gott, können sie denn nicht das Maul halten, aber was will ich schon, ich rede ja genauso, und auch immer wieder dasselbe. In ihren freien Stunden geht sie schwabbelnd durch ihre kleine Wohnung, das Bett in Eile glättend, hie und da liebevoll einen Gegenstand zurechtrückend, und sinnt über ihr Leben nach, das sie nicht hat leben können, trotz all ihrer Kraft und Bereitschaft zum Glücklichwerden, die rotblonde, kraushaarige Berthe, nach der einst auf dem dörflichen Tanzboden die jungen Kerls sich umdrehten. War sie glücklicher damals, als sie jung war, aber am Montag oft mit noch waschfeuchter Bluse zur Arbeit ging, weil sie nur die eine hatte? ... Es ist kein ungewöhnliches Schicksal und wird doch eigenwillig erzählt: ein naiv gemalter großer Monolog. "Wer wird wohl eines Tages die ,Geschichte einer Backwarenarbeiterin' schreiben", bemerkt sie einmal; schon der Gedanke mag ihr kurios erschienen sein. Am Ende aber hat sie sie selbst geschrieben - und dabei ein Stück uns wenig bekannter französischer Lebenswirklichkeit erhellt.

Beginn
Halb sechs klingelte der Wecker, sie hätte ihn am liebsten gepackt und durchs Fenster gefeuert, wenn sie das fertiggebracht hätte, statt dessen sagte sie sich ... ich kann noch eine halbe Stunde im Bett bleiben ... nach einem Monat Urlaub fällt's schwer, wieder arbeiten zu gehen. Dennoch, ein- oder zweimal war ihr im Urlaub, sie wußte nicht wieso und wie sie sich das erklären sollte, der Gedanke gekommen, ich möchte gerne in der Fabrik sein. Dabei ist es kein Vergnügen, sondern geradezuz stumpfsinnig, immer denselben Handgriff zu machen, zweitausendmal in der Stunde, sich immer dieselben Gespräche mit anzuhören, sie schwätzte genauso wie die anderen, und was sie sagte, war nicht viel anders als das Gerede ihrer Kolleginnen. Nun ja, jetzt mußte sie wieder hin; sie stand auf, trödelte ein bißchen, sah durchs Fenster; es war neblig. Dann ging sie in die Küche, sah wieder durchs Fenster, doch draußen hatte sich nichts verändert, nur der Nebel begann sich zu verziehen. Mechanisch machte sie das Radio an, ihre Bewegungen waren schleppend, es gelang ihr nicht, sich ein bißchen zu beeilen. Gleich am ersten Tag zu spät zu kommen ging nicht...

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1977
Aus dem Französischen übersetzt von Anna Mudry
Mit einer Nachbemerkung von Waltraud Schwarze

Ntozake Shange: Schwarze Schwestern


 "Die mit ihren eigenen Dingen kommt und sich wie eine Löwin bewegt", so etwa läßt sich der Name der Autorin Ntozake Shange aus der Zulu-Sprache ins Deutsche übersetzen. Mit ebensoviel Kreativität und Selbstbewußtsein, wie aus der Wahl dieses Namens spricht, rüstet die Autorin die Heldinnen ihres ersten Romans aus: Sassafras, Cypress und Indigo, die Töchter der Weberin Hilda Effania, benannt nach Farben der prächtigen Stoffe, die Hilda in alter Familientradition herstellt.
Nicht zuletzt angeregt durch ihre Mutter, suchen die Schwestern auf recht eigenwillige Weise nach ihrem Platz im Leben. Sassafras fertigt wie Hilda Webarbeiten an. Ihr Freund, ein zum Rauschgift neigender Hornist und Maler, möchte aber, daß sie sich schriftstellerisch betätigt. Schließlich "kaufen" sich beide in eine Kommune "ein", die sich afrikanischen Riten verschrieben hat. Cypress tritt nach einem dornenreichen Weg durch verschiedene Tanzensembles einer Truppe bei, die mit ihren Tänzen die Bürgerrechtsbewegung unterstützt. Die jüngste, Indigo, sorgte bereits als Halbwüchsige mit ihrem sehr individuell geprägten, disharmonischen Geigenspiel für viel Aufregung. Sie wendet sich der alten Heilkunst zu und wird Hebamme. Eingestreut in die poetischen, von afroamerikanischer und afrikanischer Folklore durchdrungenen Geschichten der drei Schwestern sind kuriose Proben schwarzer Heilkunde von Indigo und allerlei exotische Kochrezepte.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1988
Edition Neue Texte
Deutsch von Uta Goridis
Mit einem Nachwort von Friederike Hajek

Bertolt Brecht: Kalendergeschichten


 „Kalendergeschichten“ ist eine literarische Sammlung in Versform und Prosa des deutschen Dramatikers und Dichters Bertolt Brecht, alle vom Typus der Kalendergeschichte. Den Plan zu der Sammlung erwähnte Brecht erstmals im April 1948. Im Januar 1949 erschienen die „Kalendergeschichten“ im Verlag Gebrüder Weiß, Berlin. Brecht schrieb hierfür weder eine Erzählung noch ein Gedicht neu, er griff auf vorhandenes Material zurück. Die Geschichten vom Herrn Keuner tauchen hier erstmals auf, sind aber auch nicht für die Sammlung geschrieben worden. Die Literaturkritik nahm die Sammlung zunächst zurückhaltend auf. Wegen der 1949 in der kulturpolitischen Szene der DDR einsetzenden Diskussionen über Formalismus und Realismus war Brecht teilweise heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Weitere Ausgaben der „Kalendergeschichten“ erschienen dann erst 1954 und 1955, die alsbald vergriffen waren. Sie werden bis heute regelmäßig aufgelegt. (wikipedia)

Mitteldeutscher Verlag Halle/Saale 1948

13 Januar 2021

Beate Morgenstern: Jenseits der Allee


 Beate Morgenstern erzählt in ihrem Debütroman mit Sinn für Milieu und Atmosphäre von jungen und alten Leuten aus ihrer Nachbarschaft: von Renzoni, der seinen 90. Geburtstag feiert, und von Gemüse-Erna, die um ihr Recht kämpft, von der Freundschaft zwischen zwei jungen Frauen und der Liebe eines Mädchen zu einem älteren Mann, von Mutterliebe und Fremdheit zwischen Ehepartnern. Die Autorin, geboren 1946, will erfahren und mitteilen, wie Menschen miteinander umgehen, was ihre geheimen Sehnsüchte sind und wie Frauen in der DDR leben.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1979
Edition Neue Texte

Elisabeth Reichart: Februarschatten


 "So stimmt es ... Daß alles erlebte, Erfahrene, einfach alles, in unserem Gehirn gespeichert wird. Kein Löschband stünde uns zur Verfügung. Außer zeitbegrenztes Vergessen."
Hilde, eine Frau um die Fünfzig, hatte vergessen können, was in einer Februarnacht des Jahres 45 geschah. Nachdem ihr Mann gestorben ist, bedrängen aber die Schatten jener Nacht sie wieder, in der die Einwohner ihres Dorfes Kriegsgefangene gejagt, mit Mistgabeln erstochen haben. Jetzt fühlt sie sich allein, den Schatten hilflos ausgeliefert, obwohl da noch die Tochter Erika ist. Doch Erikas Fragen galten immer nur dem Vater.
Die Österreicherin Elisabeth Reichart erzählt, wie diese zwei Frauen, Mutter und Tochter, einander verstehen wollen, wie sie tastend aufeinander zugehen und sich dennoch fremd bleiben. Dichte und Intensität ihrer Sprache erzeugen Betroffenheit. Die Schicksale, die vor uns entstehen, sind Teil einer Geschichte, die noch nicht zu den Akten gehört.

Buchbeginn
Nachts hatte das Telefon geläutet.
Die Tochter, die in diesen Tagen bei ihr war, stand auf. Hilde ging in das Stiegenhaus. Schickte die Tochter in ihr Zimmer zurück.
Dieses Wort hören - das ist wohl meine Pflicht. 
Hilde sah sich zu. Wie sie die Stiegen hinunter ging. Die rechte Hand auf den Apparat legte. Weiße Haut. Tiefe Falten. Tiefer als sonst. Wie sich diese Hand um den Hörer krallte. Den Hörer von der Gabel nahm. Den Hörer näher brachte...

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1985
Mit einem Nachsatz von Christa Wolf
Edition Neue Texte