31 Juli 2023

Elisabeth Kumpf: Das Nebelkloster – Sagen und Legenden aus Thüringen

Buchanfang
Siechenhaus
und Limpertstein in Gerstungen

Die Gerstunger mußten an jedem Fleischtag dem Grafen von Brandenburg als Taxe kostenlos einige der schönsten Fleischstücke überlassen. Nun war der Bote, der vom Brandenburger geschickt wurde und wegen seines Gebrechens der lahme Limpert hieß, nicht sehr erfreut über den Auftrag. Er ließ sich deshalb stets viel Zeit und gönnte seinem Esel, der rechts und links die Körbe für den Fleischzoll trug, reichlich Ruhepausen. Die Gerstunger mußten ja warten, bis er erschien.
So wuchs der Groll der Fleischer von Jahr zu Jahr, bis sie schließlich grausam an dem säumigen Steuereinnehmer Rache übten. Dann schickten sie dessen zerstückelten Leib statt der geforderten Fleischstücke dem Brandenburger zurück.
Als der erste blindwütige Zorn verraucht war, fürchteten die Gerstunger mit Recht eine unbarmherzige Strafe des Brandenburgers. Sie sandten deshalb den Redegewandtesten aus dem Rat als Mittelsmann zum Grafen von Brandenburg. Nach langem, vergeblichem Bemühen sagte der Unterhändler schließlich, die Stadt sei bereit, jede Art von Buße zu zahlen, so der Graf sie von Krieg und Brandschatzung verschone.
Der Graf dachte sich eine Buße aus, von der er meinte, die Gerstunger könnten sie nie erbringen. Und wirklich waren die Ratsmitglieder und die Bewohner der Stadt vor Verzweiflung wie gelähmt, als der Unterhändler die Forderungen des Brandenburgers verkündete: Ein Scheffel Silberlinge im Wert eines Pfennigs, drei Windhunde von himmelblauer Farbe und drei Eichenstöcke, ebensogroß wie er, die glatt und ohne Knoten gewachsen waren. .....

Nachwort
»Es wird dem Menschen von heimatswegen ein guter Engel beigegeben, der ihn, wenn er ins Leben auszieht, unter der vertraulichen Gestalt eines Mitwandernden begleitet. Diese wohltätige Begleitung ist das unerschöpfliche Gut der Märchen, Sagen und Geschichten, welche nebeneinander stehen und nacheinander die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist uns nahezubringen streben.«
Diese Worte der Gebrüder Grimm sind nicht nur ein Loblied auf Sage und Märchen, sie weisen hin auf eine ihrer wichtigen Aufgaben, uns die Vorzeit nahezubringen. Das ist auch das Anliegen dieses Buches. Die Sagen und Legenden aus dem thüringischen Raum sind nur ein geringer Teil seines reichen Sagenschatzes und auch nur eine Auswahl aus den Sagen mit christlichem Bezug. Da die Abgrenzung zwischen Sage und Legende nicht immer eindeutig festzulegen ist, wurde im Text auf den Begriff Legende verzichtet und nur die Bezeichnung Sage verwendet.
Von der kirchlichen Organisation her sind die Sagen und Legenden vorwiegend in dem Bereich des Jurisdiktionsgebietes Erfurt-Meiningen angesiedelt, aber auch Randgebiete des Bistums Dresden-Meißen und nach Thüringen gehörige Bezirke des Bischöflichen Amtes Magdeburg sind mit erfaßt.
Die Gliederung des Buches erfolgte nach landschaftlichen Gesichtspunkten, wobei Grenzgebiete zwischen den geographischen und damit meist auch einzelnen Kulturkreisen besonders reich an Sagengut sind. Es sind Landstriche, in denen eine exakte Grenzziehung oder Zuordnung oft schwerfällt.
Im Gegensatz zum sächsischen Sagengut fallen im Thüringer Gebiet die gehäuften Burg- und Geschlechtersagen auf, dagegen gibt es relativ wenig Hexen- und Zauberersagen. Bei den Teufelssagen überwiegen häufig märchenhafte Züge.
Die Auseinandersetzung zwischen der »Alten« und der »Neuen« Lehre, die Ausbreitung und Durchsetzung der Reformation, die im Dresden-Meißner Raum verdeckt oder offen einen großen Platz einnimmt, tritt hier nicht so stark in Erscheinung, ja, man findet fast schon etwas wie frühe Hinweise auf ein ökumenisches Denken. Im sächsischen Raum spielen die Hussitenkriege eine große Rolle. Oft stellen sie den Martyrertod um des Glaubens willen in den Mittelpunkt. Im Thüringer Raum ist es vor allem der Dreißigjährige Krieg, der einen Teil des Sagengutes prägte, und häufig ist dieses von einer starken Friedenssehnsucht durchdrungen.
Auch finden wir bei den Sagen, wie könnte es anders sein, Unstimmigkeiten, die sich entweder auf Zeitraum, Ort oder Personen beziehen, z. B. die Angabe des Geburtsortes von Dr. Faust. Manche der dargestellten Episoden gleichen rein historischen Berichten, und es sind oft nur kleine Einschübe, erläuternder oder deutender Art, die sie zur Sage oder Legende stempeln. Diese der geschichtlichen Forschung widersprechenden Züge zu korrigieren würde aber einen Eingriff in das Wesen von Sage und Legende bedeuten.
Bei den Erklärungen von Ortsnamen dominiert die Volksdeutung. Vergessene Namensursprünge finden eine dem Klangbild angepaßte Erklärung. Ein Musterbeispiel dafür ist die Sage über die Entstehung der Namen Hörselberg und Sättelstädt, in denen die Behauptung aufgestellt wird, daß die vom Volksglauben geprägte Deutung die ursprüngliche sei und diese erst im Laufe der Geschichte vergessen und verändert wurde.
Deutlich spürbar sind in den einzelnen Sagenquellen die Anliegen der jeweiligen Sammler, die offene oder verborgene Tendenzen stärker hervorheben, so z. B. Bechstein, der sich fast wie ein »Hofberichterstatter« liest. Andere Quellen verraten teilweise eine überbetonte Heimatliebe. Es fehlen vor allem nicht die vom Wunsch der einfachen Menschen geprägten Sagen, in denen Strafe und Vergeltung, die Sehnsucht nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit ihren Ausdruck finden. Viele der »Vergeltungssagen« wirken für unser Empfinden übertrieben und sind es wohl auch, wie die Sage über die Gräfin Henneberg, die so vielen Kindern das Leben schenken mußte, wie ein Jahr Tage hat.
So sind diese Sagen nicht nur ein unterhaltender Lesestoff, sondern sie vermögen es, uns in das Leben, die Sorgen und Nöte, die Wünsche und die Vorstellungen der Menschen früherer Zeiten Einblick zu geben, in ihren Glauben und ihre sittlichen Normen.
Ich möchte nicht versäumen, all denen zu danken, die mir mit Hinweisen halfen oder Material zur Verfügung stellten.
Elisabeth Kumpf

Illustrationen und Typografie: Ino Zimmermann
Einband und Umschlaggestaltung: Paul Zimmermann

St.-Benno-Verlag GmbH Leipzig

1. Auflage 1990 

Peter Karvas: Teufeleien

„Man muß feststellen, daß sich viele Menschen danach sehnen, Schriftsteller zu sein. Warum, ahnen sie selbst nicht. Vielleicht imponiert ihnen, in Stammbücher Gedankensplitter und volkstümliche Sprichwörter zu schreiben, Gratulationen und Sympathiekundgebungen von Menschen entgegenzunehmen, die einen mit einem anderen verwechseln, Lobeshymnen von Lesern zu erhalten, die nicht einmal den Klappentext eines ihrer Bücher gelesen haben. Ich gebe zu, all das ist anziehend und verführerisch, wenn auch vergänglich und eher kleinlich als großartig.
Und doch – der Teufel mag wissen, warum: Ich möchte auch Schriftsteller werden oder wenigstens ein junger Autor – aber das ist etwas ganz anderes!“
Natürlich, Herr Karvaš. Aber glauben Sie, daß Sie mit diesen diabolischen Späßen auf Gegenliebe bei Ihren Kollegen in Bratislava oder anderswo stoßen werden? Und noch dazu, wenn Sie es nicht bei den Sticheleien gegenüber Schriftstellern belassen, sondern sich auch mit Journalisten, Bereichsleitern, Buchhaltern, Pfaffen und gar Managern anlegen? Meinen Sie denn, daß Ihre „Teufeleien“ einen Zweck haben?
Bitte, wie war das? Was zitierten Sie von Aristophanes?
Schlechte Bürger zu verspotten ist gewiß nicht tadelnswert.
Hohn auf sie ist Lob der Guten.


Buchanfang
Über die Satire
Etwa eine Stunde nach Mitternacht klingelte das Telefon. Bekanntlich scheppert es nachts ungefähr zehnmal lauter als tagsüber. Ich erwachte sofort. Mit einem Gefühl des Abscheus, ja der erbitterten Feindschaft gegen moderne Fernsprechanlagen meldete ich mich.
„Hallo“, ließ sich eine muntere und resolute Stimme aus der Muschel vernehmen. „Bist du es? Ich rufe in einer wichtigen Sache an.“
Ich war es. „Hallo“, meinte ich verschlafen, weil man das gewöhnlich am Telefon sagt, „wer ist am Apparat, und worum handelt es sich?“
Ein mir bekannter Redakteur meldete sich. Ich hatte ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Morgen früh wären es fünf Jahre und sechs Stunden gewesen. Um es offen und ehrlich zu gestehen – ich hätte es bis dahin ausgehalten.
„Ich muß dich unbedingt sprechen!“ kam es derart kategorisch und laut aus dem Hörer, daß ich ihn ein ganzes Stück vom Ohr weghalten mußte. „In einer äußerst wichtigen, unaufschiebbaren Angelegenheit!“
„Ich lasse morgen von mir hören“, sagte ich und gähnte nachdrücklich, wobei ich besonderes Gewicht auf die akustische Wirkung legte.
„Warum erst morgen?“ wunderte sich der Redakteur geradezu beleidigt. „In einer Minute bin ich bei dir! Hast du Kaffee?“

Inhalt
Über die Satire
Konfetti
  Äußerst peinlich
  Die angehaltene Zeit
  Der Druckfehler
Romanzen und Tragödien
  Bereichsleiter Barometer
  Ein trauriger junger Mann
  Der Riese
Comics
  Die Klienten des Abbé Richter
  Leutnant Clifford und die heilige Anna
  Eine Botschaft aus dem Weltall
In den Armen der Muse
  Schriftsteller
  Das Fernsehinterview
  Der gesellschaftliche Aktionsradius
  Aufstieg und Fall des Barnabáš Kos

Herausgegeben von Dr. Günther Jarosch
Titel der Originalausgaben: Čertoviny und Konfety a leporela
Aus dem Slowakischen von Dr. Günther Jarosch und Frido Bunzl
Schutzumschlag und Einband: Gerhard Milewski

Eulenspiegel Verlag, Berlin

1. Auflage 1968

30 Juli 2023

Li v. Lieres: Pilze und Blumen – Geschenke des Waldes

Ingrid und Hans-Joachim v. Lieres zugeeignet
und allen, die den Wald lieb haben.
Li v. Lieres
Rößuits im Vogtland


O wunderbares, tiefes Schweigen!
Wie einsam ist's noch auf der Welt!
Die Wälder nur sich leise neigen,
Als ging der Herr durch's stille Feld.

Ich fühl mich recht wie neugeschaffen,
Wo ist die Sorge nun und Not?
Was mich noch gestern wollt erschlaffen,
Ich schäm mich des im Morgenrot...
J. Fr. o. Eichendorff


Beispiel einer Seite:
Der Steinpilz

(Bolelus edulis)
Wer kennt ihn nicht? Wohl der bekannteste deutsche Edelpilz. Kommt dir ein einziger der ihm täuschend ähnlichen Gallenpilze dazwischen, so ist dein ganzes Steinpilzgericht ungenießbar, gallebitter! Vergleiche dessen geaderten Stiel, das rosa Futter mit dem erst weißen, dann grüngelben Steinpilzfutter. Wirf Hutfutter nie fort, es sei denn alt und schlecht, es enthält große Nährwerte. Gebraten ist der Steinpilz eine Delikatesse.
Gemüse: Der Pilz wird mit spitzem Messer geputzt, ganz kurz gewaschen, wenn unbedingt nötig, und im eigenen Saft, nie über eine Viertelstunde, gedünstet. Nur den Topfboden mit Wasser bedecken. Nimm mit Milch oder Wasser verquirltes Mehl zum Dicken, schmecke mit Pfeffer und Salz ab und vergiß nicht, ganz zuletzt fein gehackte Petersilie daran zu geben.
Rühemichichtan; Springkraut
(Impatiens nolimelangere)
Der Schweizer sagt: „Schleckerli.“ Es ist Kindern immer neues Ergötzen, wenn die Fruchtwände sich spiralig zusammenrollen und dem Ahnungslosen die Samen ins Gesicht schleudern! Es wächst an Waldbächen und im Erlengebüsch.
Derlgras
(Melica mulans)
die graziöse Verwandte des Zittergrases.
„Feuerfalter“

Carl Marhold Verlagsbuchhandlung Halle (Saale)

1. Auflage 1947
2. Auflage 1950

Matthias Geske: Johannes Gutenberg

Gutenberg zerschnitt das beschriebene Blatt in viele Streifen. Jeder bekam einen und betrachtete ihn gespannt. „Andreas und Hans Riffe, seid so gut und tretet ans Fenster“, bat Gutenberg. „Und nun legt die Streifen aufeinander gegen die Scheibe!“ Sie taten es, und was ihnen die Sonne enthüllte, war ungeheuerlich: Die Buchstaben deckten sich völlig! Es schien, als habe ein Abschreiber sich den Spaß gemacht, an derselben Stelle die gleichen Ungenauigkeiten anzubringen. Das war doch unmöglich! „Was Ihr da seht, ist eine Probe meiner Kunst!“ sagte Gutenberg. Matthias Geske zeichnet Leben und Werk Johannes Gutenbergs nach, dessen Erfindung beweglicher Lettern dem Buchdruck Bahn brach und den Weg aus dem Mittelalter in eine neue Zeit bereitete.

Buchanfang
ERSTES KAPITEL
Die Ruhe war trügerisch, und Gutenberg hatte sein Versteck mit Bedacht gewählt. Halb im Schatten der Tannen war sein Pferd vor neugierigen Blicken geschützt.
Gutenberg wartete geduldig. Er war selber lange genug Soldat bei den Engländern gewesen, um zu wissen, daß jeder unüberlegte Schritt gefährlich werden konnte. Deshalb hatten sie auch entschieden, daß Waldfhogel allein in die Stadt ritt, ohne Gepäck, staubig von der Reise und mit harmlosem Blick. Er sollte Proviant kaufen und herausfinden, ob der Weg nach Paris frei sei. Gutenberg war sicher, daß Waldfhogel ihn nicht im Stich lassen würde, immerhin hatten sie gemeinsam gegen die Franzosen gekämpft, bis sich Gelegenheit bot, das Heer zu verlassen und mit einiger Beute nach Süden zu ziehen.
Der Krieg, den Engländer und Franzosen seit fast schon hundert Jahren um die Herrschaft in Frankreich führten, war immer noch nicht entschieden, und er interessierte Gutenberg auch nicht sonderlich. Er war froh, daß er unversehrt davongekommen war. Noch einmal würden sie ihn nicht zu den Soldaten pressen. Waldfhogel dachte genauso. Er war vor den Hussiten aus Prag geflohen und wollte zu seinem Onkel nach Paris.
Wenn alles gut ging, konnten sie schon morgen dort sein. Wenn sie nicht für Spione gehalten wurden und an den Galgen kamen. Oder einfach von einem Soldatenhaufen ausgeplündert wurden.
Unwillkürlich schaute Gutenberg zu seinem Rappen hinüber, doch der Satteltasche war nicht anzusehen, welch ein Schatz in ihr steckte.
Eben wollte er wieder nach Waldfhogel Ausschau halten, als ein ungewöhnliches Geräusch seine Aufmerksamkeit erregte. Hinter der Waldecke tauchte eine vierrädrige Karosse auf, mit festem Kasten und Dach. Bewaffnete flankierten sie und verdeckten die Wappen auf der Tür. Gutenberg strengte seine Augen an. Dann hatte er erkannt, wer da herankam, und eilte zu seinem Pferd. Er ritt unbekümmert der Karosse entgegen und wartete, die rechte Hand erhoben.
»Aus dem Weg!« herrschte ihn der Anführer an. Gutenberg ließ sein Pferd beiseite treten, der Wagen hielt. Ein zorniges Gesicht erschien im Fenster, und Gutenberg sah einem alten Freund in die Augen.

Illustrationen
Einband: Kolorierte Holzschnitte aus der »Weltchronik« von Schedel, Nürnberg
Vorsatz: Holzschnitte aus dem »Buch von dem Schachspiel« von Stephan, Lübeck
              Die Figuren stellen Vertreter verschiedener Stände dar Wappen der Familie Gutenberg
Innentitel: Alle Abbildungen sind Drucke und Buchillustrationen aus dem 15. Jahrhundert

Der Kinderbuchverlag Berlin

1. Auflage 1983
2. Auflage 1984
3. Auflage 1985
4. Auflage 1986
 

Richard Squires: Auf dem Kriegspfad – Aufzeichnungen eines englischen Offiziers

AN DEN LESER
Über zehn Jahre meines Lebens, die Jahre des heranreifenden Mannesalters, waren mit Deutschland verbunden. Wie Hunderttausende meiner Landsleute habe ich gegen den Nazismus gekämpft. Ich war in Deutschland zur Zeit der Kapitulation und erlebte die ersten Anordnungen der Sieger, die erste Reaktion der Besiegten. Ich hörte die öffentlichen Erklärungen unserer Besatzungsbehörden und beobachtete ihre Tätigkeit hinter den Kulissen. Während der langen Jahre des Krieges und insbesondere während der Zeit, die ich in Deutschland in der Britischen Rhein-Armee zubrachte, sammelte ich viele Erfahrungen und sah viele Dinge in einem anderen Licht. Bevor ich dieses Buch schrieb, habe ich meine eigenen Gefühle sorgfältig analysiert und meine Schlußfolgerungen überprüft. Alle unbedeutenden Erwägungen habe ich beiseite gestellt, um mir eine gewissenhafte und klar umrissene Meinung zum Kernpunkt der Lage zu bilden. Und dieser Kernpunkt ist: Unmöglich ist der Friede für England, der Friede für Europa, der Friede für meine Generation, wenn die fürchterlichen Kräfte des Krieges in Deutschland triumphieren.
Viel wird heutzutage über Deutschland geschrieben. Bekannte und weniger bekannte politische Führer, aktive Generäle und Generäle im Ruhestand, Bankiers und Industrielle, Konservative und Neofaschisten veröffentlichen ihre Erinnerungen über Deutschland. Die Öffentlichkeit hat die Wahl zwischen den lyrischen Ergüssen des Nazidiplomaten von Dircksen, den zänkerischen „Offenbarungen“ General Halders, den Memoiren Churchills und sogar den Erinnerungen des persönlichen Barbiers von Adolf Hitler.
Es steht nicht in meinen schwachen Kräften, mit dieser Papierflut zu konkurrieren. Ich bin weder Schriftsteller von Beruf noch ein Stratege von Ruf. Ich habe mich nie besonders für Politik interessiert. Mein Leben ist das des durchschnittlichen Engländers mit all seinen Sorgen und Freuden, seinen Hoffnungen und Enttäuschungen.
Und doch entschied ich mich, dieses Buch zu schreiben. Ich habe mich dazu entschieden, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, daß die Fragen der Regelung der Nachkriegsprobleme in der Welt längst aufgehört haben, das Monopol einer Kaste von Berufspolitikern zu sein, die in den Parlamenten und Generalstäben sitzen und ihre „Entschuldigungen“ in Form von Memoiren veröffentlichen. Für mich ist Europa weder ein Schachbrett, wie es von vielen westeuropäischen Staatsmännern betrachtet wird, noch sehe ich es als ein Häuflein Spielkarten an, wie das die prahlerischen Börsenspekulanten auf der anderen Seite des Ozeans tun. Für mich ist die Frage der Zukunft Europas mein eigenes, persönliches Schicksal und die Frage über Leben oder Tod von Millionen einfacher Menschen. Das ist der Grund, warum ich mich an diese mir ungewohnte Aufgabe, ein Buch zu schreiben, heranmachte. Ich habe darin versucht, die Erfahrungen und Gedanken des Durchschnittsmenschen wiederzugeben, der genauso wenig zu einer bestimmten Partei gehört wie ich, aber der genauso wie ich den Wunsch hat, nach den edlen Grundsätzen der Demokratie und des Friedens zu leben.
Als der Krieg 1939 begann, meldete ich mich freiwillig zum Dienst in den britischen Expeditionstruppen in Frankreich. Hätte mich an diesem denkwürdigen Tage jemand gefragt, warum ich mich zur britischen Armee gemeldet habe, so hätte ich, ohne auch nur im geringsten zu zögern, geantwortet: „Ich ziehe in den Kampf, weil ich den Frieden will, Frieden für mich und Frieden für jedermann, Frieden für London und Liverpool, Frieden für Paris und Amsterdam, Frieden, der nicht getrübt ist durch Kriegsberichte, Schüsse aus dem Hinterhalt oder Maschinengewehrsalven auf offenem Feld.“
In den Herbstmonaten des Jahres 1939 war jedem von uns alles sonnenklar. Nazismus bedeutete Krieg, Tod, Barbarei. Der Kampf gegen den Nazismus bedeutete Frieden, Leben, Vertrauen in die Zukunft. In jenen Monaten traf jeder von uns frei die Wahl zwischen Demokratie und Nazismus, zwischen endlosem, mörderischem Krieg und festem, dauerhaftem Frieden.
„Das ist der letzte Krieg!“ sagten meine Pariser Freunde zu mir. Wie grausam und wie spöttisch doch diese Worte heute klingen. Der Krieg ist vorüber, aber die langerwarteten Tage des Friedens sind noch nicht angebrochen. Kriegswolken ballen sich über der Welt. Das weitab gelegene Korea ist zum Manövergelände für die amerikanischen Generäle geworden. Heute bombardieren amerikanische Flieger die friedlichen Städte und Dörfer Koreas, morgen kann das Feuer, das in Korea entfacht wurde, auf andere Länder, andere Kontinente überspringen. Die modernen Träger der Kriegsfackel haben nur ein Ziel: aus ganz Europa ein zweites Korea zu machen.
Die Kräfte des Krieges bereiten jetzt in Deutschland ein neues Pulverfaß vor. Hier wurde mir klar: Wenn wir den von uns so lange ersehnten Frieden verwirklicht sehen wollen, müssen wir ihn selbst gewinnen. Mir wurde klar: Das Herannahen des Friedens durch die Ausführung des Willens der Befehlshaber unserer Besatzungsarmee zu beschleunigen, ist genauso unmöglich, wie das Gebot „Du sollst nicht töten“ in einem Lager zu predigen, das von mordsüchtigen Irren regiert wird. Ich war Soldat in der britischen Armee von Anbeginn des Krieges, zuletzt mit dem Rang eines Majors. Als Offizier darf ich nicht fragen „Warum?“. Heute versuchen unsere Generäle und ihre Hintermänner, die Gedanken der Menschen durch Lügenpropaganda zu vergiften, morgen werden sie vielleicht mir und meinesgleichen befehlen, auf die wahren Freunde des englischen Volkes, auf unsere Verbündeten während des Krieges, die Russen, zu schießen.
Ich will nicht versuchen, zu mutmaßen, was ich tun würde, wenn die Geschütze schon donnern würden. Wir befinden uns noch nicht im Krieg. Die Kanonen schweigen und wir haben noch Zeit, mit den Mitteln der Vernunft und der Überzeugung gegen die Wahnsinnigen zu kämpfen, die versuchen, einen Weltbrand auszulösen. Die Stimme der Pflicht und der Liebe zu meiner Heimat, die mich einstmals drängte, den Nazismus zu bekämpfen, sagt mir jetzt:
„Kämpfe heute für den Frieden, morgen wird es zu spät sein.“
Der Krieg bricht nicht auf der Straße aus oder im Parlament oder in Versammlungen der Bevölkerung. Er wird auf Geheimkonferenzen, in abgeschlossenen Büros, die nur wenigen Auserwählten bekannt und zugänglich sind, vorbereitet.
Die Kriegsbazillen brauchen zu ihrer Kultivierung besondere Bedingungen: strengstes Geheimnis, Straffreiheit und die Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit der einfachen Menschen gegenüber ihrem Schicksal. Der Krieg kommt über die Völker durch die Hintertür, aus abgeschlossenen Winkeln, wo schmutzige Politiker ihre abscheulichen Taten unbelästigt verrichten können. Der Krieg kann die Öffentlichkeit nicht ertragen. Der Krieg kann verhindert werden, wenn jeder anständige Mensch offen auftritt und sagt: Ich bin kein blinder Maulwurf, sondern ein freier Bürger in meinem eigenen Lande, ich sehe sehr wohl, wie berufsmäßige Provokateure versuchen, Zwietracht unter die Nationen zu säen; ich lasse mich nicht irreführen durch die Lügen über die Unvermeidlichkeit eines neuen „Krieges, um die Kriege zu beenden“. Wenn ich und mein Freund und Millionen anderer, die ich nicht kenne, aber die genauso denken und fühlen wie ich, das sagen, dann wird es keinen Krieg geben!
Aber wenn wir den Krieg verhindern wollen, müssen wir die gefährlichen Dünste der Kriegspropaganda aus unseren Köpfen vertreiben. Jeder von uns muß selbst. seinen Weg wählen.
Heute befinden wir uns am Scheidewege: dem Weg zum Krieg, zu Chaos und Vernichtung, und dem Weg zu einem langen, dauerhaften Frieden. Es ist Sache eines jeden, zwischen diesen beiden Wegen zu wählen. Ich will anderen die Tatsachen, die ich weiß, zur Kenntnis bringen, um damit zu helfen, die Schleier des Betrugs und der Lüge zu zerreißen, mit denen unehrliche politische Intriganten versuchen, ihre Schandtaten zu tarnen.

Titel des englischen Originals: On The War Path
Umschlagentwurf: Eickhoff Sat

Verlag Rütten & Loening Berlin

1. Auflage 1951 |  1. - 25. Tsd.
2. Auflage 1952 | 26. - 35. Tsd.

29 Juli 2023

Eckart Krumbholz: Tassen im Schrank - Miniaturen

Der berühmte und berüchtigte Anekdotenverfasser Eckart Krumbholz liefert hier das Geständnis, ein passionierter Antiquitätensammler zu sein: vor allem von angestaubten Tassen und anderen Trinkgefäßen, von Kirchenengeln, alten Stühlen (Marschall Blüchers Stuhl ist sein Prunk- und Prahlstück!). Spazierstockresten, Puppen, alten Büchern, merkwürdigen Kristallen, Bildern, seltenen Drucken und beinahe von jeglichem Urväterhausrat.
Mit diesem Laster steht er heutzutage keineswegs allein da, sondern hierin kann er gewiß ein teilnehmendes Interesse vieler mitfühlender und mitsammelnder Zeitgenossen finden. Das Buch registriert genau jede Manie des Entdeckens, Findens und Kaufens, wobei die üblichen Kriterien materieller Inbesitznahme – etwa Gebrauchswert oder Rücksicht auf den eigenen Geldbeutel völlig außer acht gelassen werden. Statt dessen versenkt sich der Sammler, sobald er seine TASSEN (oder anderen Kuriositäten) IM SCHRANK hat, in die Aura derselben und glaubt sogar auf Bildern „en miniature“, wie sie sich beispielsweise auf Urgroßmutters Tassen befinden, tumultuarische Szenerien von ganzen Zeitläufen, Völkerschaften, Berufsständen samt aller Moral und Unmoral zu entdecken.

Inhalt
Wann der Mensch zum Sitzen kommt oder Vorwärts und Durchhalten
Berliner Original
Landschaftsbilder auf Tassen 1
- Himmelsleiter
- Geist des Hauses
- Francisco Goya: Zweikampf mit Stöcken
- Ausschweifendes Leben
Landschaftsbilder auf Tassen 2
- Spuk
- Zensur
- Nußbäume
- Ettersberg bei Weimar
Landschaftsbilder auf Tassen 3
- Mit Distanz
- Schönheit und Wahrheit
Landschaftsbilder auf Tassen 4
Sentimentales Loblied auf Johann Friedrich
- Böttcher
- Die sichtbare äußere Welt
Landschaftsbilder auf Tassen 5
- Von der Harmonie
- Krieg und Kunst
- Pietät oder Mit den Augen der Nachwelt
- Hurra
Landschaftsbilder auf Tassen 6
- Mit den Augen der Liebe
- Bericht über mein Märchenbuch
Landschaftsbilder auf Tassen 7
- Wintergedanken
- VS 4094/2 oder Metamorphosen eines Engels
Landschaftsbilder auf Tassen 8
- Kennst du das Land
- Unerhörtes
- Zur Beherzigung
- Die wissenschaftlich-technische Revolution
- Der Naturmensch
Landschaftsbilder auf Tassen 9
- Geschenke eines Freundes
Landschaftsbilder auf Tassen. 10
- Uanemli
- Charme
- Die Achselschnüre
- Warnung
- Ein braver Soldat
Landschaftsbilder auf Tassen 11
- Lindenrauschen
- Kyffhäuser. Ein Chronikblatt
Landschaftsbilder auf Tassen 12
- Das Denkmal
- 1017 Berlin, Stralauer Allee 35
- Die Kinder vom Kollwitz-Platz
Landschaftsbilder auf Tassen 13
- Laterna Magica
Landschaftsbilder auf Tassen 14
- Die Kunst zu illusionieren
- Damals. Fünf Bilder aus den Jugendtagen des Zeit-Genossen K.
- Silvesterfeuerwerk
Landschaftsbilder auf Tassen 15
- Festgeschirr aus Mali
- Antiquitäten
Nachbemerkung

Einband und Illustrationen: Horst Hussel

Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)

1. Auflage 1973
2. Auflage 1975

28 Juli 2023

Ulla Küttner: Gekreuch und Gefleuch - Geschichten von allerlei kleinem Getier

Sagt ihr auch, wie manche Kinder, brrr! wenn ihr eine Spinne seht oder eine Raupe oder einen Engerling? Na, die Kinder in diesem Buch sind dann aber viel klüger als ihr. Was sie alles sehen und entdecken! Da baut sich ein Spinnenweibchen ihr feines Netz im Rosenstrauch unter dem Fenster. Den ganzen Winter über hat sie in einer dunklen Ecke gesessen und ihr Beutelchen mit Eiern gehütet, bis ein kleines Mädchen sie wieder ins Freie, in die Sonne, setzt. Wißt ihr, welch ein putziger Geselle der Hamster ist und wie er seinen Hamsterbau anlegt? Und dann die Raupen! Wir mögen sie gar nicht, wenn sie uns im Garten die Kohlblätter zerfressen; aber ihr werdet es bestimmt genauso spannend finden wie Reni, einmal ganz genau zu beobachten, wie aus dem Ei eine Raupe und schließlich ein schöner, zarter Schmetterling entsteht. Warum der Maikäfer „zählt“, habt ihr sicher auch noch nicht genau gewußt. Das alles erfahrt ihr aus diesen Geschichten und könnt euern Geschwistern und Freunden beim Spielen im Garten, in der Schule oder beim Wandern viel Schönes erzählen und erklären.

Buchanfang
AM SEIDENEN FADEN
Ein Spinnenmärchen
Es war einmal eine Spinne, die hatte einen großen, runden, dicken Bauch, so groß, wie ein Daumennagel bei den Menschenkindern ist, eine kleine Brust und einen noch kleineren Kopf. Auch acht Beine gehörten zu ihr, sehr lange und dünne Fadenbeine, mit denen lief sie über die Erde, ohne zu stolpern. Diese dicke Spinne war Mutter von siebzig Kindern, gleich viel Buben und Mädchen hatte sie. Eines von den Mädchen war besonders hübsch; ein wunderfein gemustertes Fellchen und schöne .....

Inhalt
  5 ..... Am seidenen Faden
18 ..... Moorks, der Frosch
29 ..... Ferienerlebnis mit der Mücke Anopheles
47 ..... Pfiffikus, ein Hamster
57 ..... Schmetterlingsstunden
70 ..... Maikäferei

Schutzumschlag, Einband und Textillustrationen von Herbert Thiele
Für Leser von etwa 11 Jahren an

Der Kinderbuchverlag, Berlin

1. Auflage 1952 (  1.-20. Tsd.)
2. Auflage 1953 (21. - 40. Tsd.)
3. Auflage 1955

27 Juli 2023

Eckart Krumbholz: Fingerzeige - Anekdoten

Von Zeitgenossen - Politikern, Schriftstellern und Komponisten - ist die Rede, gelegentlich führen die heiter-pointierten kleinen Geschichten jedoch auch in die Vergangenheit zurück. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden durch die Wiedergabe komischer und nachdenklicher Begebenheiten dem Leser nähergebracht.

Jemand hatte eine Flinte gekauft. Bald kam er zurück, der Lauf sei verbogen, beschwerte er sich. „Ist er das wirklich?“ fragte der Händler, „dann hätte ich mehr verlangen müssen, weil er um die Ecke schießt.“

Ein Mensch warf beim Saufen ein Glas um. Aufgebracht sagte der Gastgeber: „Ist das so Mode bei Ihnen zu Hause?“ „Das nicht“, antwortete der Befragte, „aber wenn es geschieht, spricht man nicht darüber.“

Wenn ich ein Maler wäre, müßte ich zu Marlene sagen: „Malen möchte ich dich um keinen Preis.“ Sie würde aufmukken: „Bin ich denn so abschreckend?“ „Nein“, könnte ich da nur sagen, „aber du bist schwer zu treffen.“

So ist das auch mit dem Anekdotenschreiber. Mit dem Anekdotenerzählen am rechten Ort ist es wie mit dem Rauchen: Untugend bei den Menschen, Fehler bei den Öfen, gutes Zeichen bei Schornsteinen.

Als mich der Lehrer im Examen fragte: „Wieviele Inseln liegen im Stillen Ozean und wie heißen sie“, antwortete ich: „Im Stillen Ozean liegen viele Inseln und ich heiße Krumbholz.“

Schutzumschlag, Einband, Vignetten: Horst Hussel

Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)

1. Auflage 1967

26 Juli 2023

Clemens Brentano: Gockel und Hinkel - ausgewählte Märchen

CLEMENS BRENTANO (1778-1842).
Es war einmal im Reich der Märchen. Da regierte König Haltewort, und Willwischen ißt den Baron Hüpfenstich zum Mann.
Da pflanzt sich Prinz Wetschwuth das Myrtenfräulein zur Frau.
Da saß Rundumherum auf dem Thron, und Witzenspitzel erobert Frau Flink für den König und für sich Fräulein Flugs zur Frau.
Da flog Fanferlieschen durch die Lüfte und ließ ihre Pantoffeln niederfallen ins Land Skandalia mit der Stadt Besserdich.
Da ließ es König Pumpan an die große Glocke hängen, und die Klopfstocksöhne Gripschgrapsch, Pitschpatsch, Piffpaff, Pinkepank und Trilltrall befreien Prinzessin Pimperlein.
Da will sich Liebseelchen die Liebe Prinz Röhropps erweinen.
Da heiratete Murmeltierchen einen Biber, und es ist ein schöner junger Fischer.
Da verschluckte der Gockel Alektryo einen Ring, und alle werden zu fröhlichen Kindern.
Es war einmal im Land der Poesie. Da regiert Brentano mit Wörtern, Sätzen, zauberhaften Gebilden: Märchen.

Inhalt:
Das Märchen von den Märchen oder Liebseelchen
Das Märchen von dem Myrtenfräulein
Das Märchen von dem Schulmeister Klopfstock und seinen fünf Söhnen
Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen
Das Märchen von Gockel und Hinkel.
Das Märchen von dem Baron von Hüpfenstich
Das Märchen von dem Witzenspitzel
Das Märchen vom Murmeltier
.....
Das verwilderte Leben und Dichten des Clemens Brentano
Anmerkungen

Umschlaggestaltung: Friederike Pondelik unter Verwendung des Gemäldes „Kampfhahn“ von Günter Horlbeck

Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig
Reclams Universal-Bibliothek, Band 287
BELLETRISTIK

1. Auflage 1966
2. Auflage 1982
3. Auflage 1984

F. M. Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus

Die ›Aufzeichnungen aus einem Totenhaus‹, deren Autor, wie Alexander Herzen 1864 schrieb, wohl selbst nicht ahnte, daß er in dieser Schilderung einer sibirischen Haftanstalt Fresken im Geiste des Michelangelo schuf, als er mit gefesselter Hand die Gestalten seiner Zuchthausgefährten zeichnete, sind autobiographischer Bericht, selbst noch im geringsten Detail unmittelbar, erregend und einzigartig in der Geschichte der europäischen Literatur: Vier Jahre lang, von 1850 bis 1854, verbüßte Dostojewski in der Festung von Omsk als Kettensträfling und dann, weitere fünf Jahre, als gemeiner Soldat in der Garnison Semipalatinsk eine Strafe, zu der man ihn, den wegen seiner Teilnahme an der Bewegung der Petraschewzen schon zum Tode Verurteilten, schließlich begnadigt hatte. Er hatte im Kreise revolutionärer Intellektueller einen Brief Belinskis vorgelesen, der die Aufhebung der Leibeigenschaft forderte – deshalb war er vor Gericht gestellt und, nach Monaten quälender Ungewißheit, nach Sibirien gebracht worden.
Hier nun, in den Gefängnissen des Zarismus, inmitten von Dieben und Mördern, unter Ausgestoßenen und Verfemten, die man durch die furchtbare Gasse der Spießruten jagt, auspeitscht und brandmarkt, ehe man sie, in Ketten geschmiedet, auf immer den seelischen und körperlichen Qualen der Verbannung überläßt, in diesem von der Menschheit abgerissenen Fetzen, erfährt Dostojewski jene Hölle der Erniedrigung, von der dieses Buch berichtet, hier aber auch, inmitten des Schmutzes, der Folter und angesichts des Todes, der alles überschattet, ergreifende Beispiele menschlicher Bewährung und Solidarität. ›Ob Du es glaubst oder nicht‹, heißt es in einem seiner Briefe an den Bruder, ›es gibt hier tiefe, starke, herrliche Charaktere; es muß eine Freude sein, unter der verhärteten Kruste das Gold aufzuspüren.‹ Dostojewskis ›Aufzeichnungen aus einem Totenhaus‹ sind das erschütternde Zeugnis dieser Suche, ein Buch der Anklage und des Protestes – und das Buch einer tiefen Menschlichkeit.

Inhalt:
Erster Teil
    5 ..... Einleitung
  12 ..... Das Totenhaus
  34 ..... Die ersten Eindrücke
  59 .......... Erste Fortsetzung
  81 .......... Zweite Fortsetzung
106 ..... Der erste Monat
129 .......... Fortsetzung
150 ..... Neue Bekanntschaften. Petrow
169 ..... Entschlossene Menschen. Luka Kusmitsch.
179 ..... Isai Fomitsch. Das Bad. Bakluschins Erzählung
203 ..... Das Weihnachtsfest
227 ..... Die Theatervorstellung

Zweiter Teil
257 ..... Das Lazarett
279 .......... Erste Fortsetzung
300 .......... Zweite Fortsetzung
327 ..... Akulinas Mann
343 ..... Die Sommerzeit
368 ..... Die Tiere des Gefängnisses
386 ..... Die Beschwerde
412 ..... Die Kameraden
434 ..... Die Flucht
455 ..... Die Entlassung aus dem Gefängnis

463 ..... Nachwort

Originaltitel: Записки из мёртого дома
Aus dem Russischen übersetzt von Hermann Röhl
Nachwort von Georgi M. Fridlender, Leningrad

Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig

4. Auflage 1971

24 Juli 2023

Iwan D. Wassilenko: Peter und die Puppenspieler

Lasja und ihr Vater, der Clown Kubischka, treten in Kuban als Puppenspieler auf. Kubischka hat seine Kunst in den Dienst des Volkes gestellt, er läßt seine Puppen so lange agitieren, bis die Weißen ihn schnappen und mundtot machen.
Da, eines Tages entdeckt Lasja bei einer Vorstellung Peter, der von den Weißen zum Verhör geschleppt wird, Peter, den sie seit Jahren vergeblich suchte. Und obwohl auch sie mit einer Verhaftung rechnen muß, bleibt sie in der Stadt und unternimmt alles, um Peter zu retten.

Buchanfang
IN DER HAUPTSTADT DES KUBANS
Die Zirkusarena in Jekaterinodar hatte es noch nie erlebt, daß in den Logen und im Parterre soviel Zuschauer in militärischer Uniform saßen wie in diesen Tagen. Wohin man sich auch wandte, überall sah man goldene und silberne Offiziersschulterstücke, hohe graue Persianermützen von Generälen, rund, mit blauem Atlasdeckel und einem liegenden Silberkreuz darauf, Kubanmützen, elegante, mit Goldbrokat gesäumte Wollkapuzen, dekorative Achselschnüre von Adjutanten und rote Portepees an Säbelgriffen. Lehnten neben den Offizieren nicht Damen im Pelzmantel und mit Schleier am Hut, hätte man glauben können, sie seien zu einer militärischen Beratung versammelt. Woher kamen sie, diese Offiziere aller Altersstufen und Ränge? Warum strömten hier, in der Hauptstadt des Kubans, wo die Soldaten früher vorwiegend den Tscherkessenrock und die flache Lammfellmütze der Kubaner getragen hatten, jetzt Menschen in Uniformen aller russischen Regimenter zusammen? Und es kamen unaufhörlich neue – die Einwohner konnten ihretwegen kaum noch treten. .....

Originaltitel: ЗОЛОТЫЕ ТУФЕЛЬКИ
Übersetzung aus dem Russischen von Traute und Günther Stein
Illustrationen Frans Haacken

Für Leser von 10 Jahren an

Der Kinderbuchverlag, Berlin
Robinsons billige Bücher Bd. 75

1. Auflage 1961
2. Auflage 1963
3. Auflage 1964

23 Juli 2023

Irina Guro: Das Tor zur Kleinen Erde

Irina Guro wurde 1909 in Kiew geboren. Hier beendete sie auch ihre Schulzeit. Nach Abschluß der Universität – sie studierte Philologie und Jura – legte sie bereits kleinere literarische Arbeiten der Öffentlichkeit vor.
Während des Großen Vaterländischen Krieges kämpfte sie als Offizier der Roten Armee an der Front und im Hinterland des Feindes. Heute lebt sie als freischaffende Schriftstellerin in Moskau. Dem sowjetischen Leser ist Irina Guro durch viele Romane und Erzählungen bekannt geworden.
„Am rauhen Abhang“, „Du bist schon erwachsen“, „Draußen tobt Sturm“, „Allem Tod zum Trotz“, „Moskauer Boulevards“ sind einige der bedeutendsten Werke.
1966 erschien im Verlag Junge Garde in Moskau die vorliegende große Erzählung „Das Tor zur Kleinen Erde“. Als Beitrag zum Jahrestag des Komsomol gab der Verlag dieses Buch 1968 in einer Sonderausgabe zum zweitenmal heraus.
Augenblicklich schreibt die Autorin an einem neuen Roman, der das Schicksal einer jungen sowjetischen Journalistin zum Inhalt hat, die 1926 nach Berlin kommt, ihre erste Begegnung mit deutschen Kommunisten hat, in der sowjetischen Botschaft als Mitarbeiterin tätig ist und schließlich als Diplomatin nach Kopenhagen geht.

Buchanfang
Der deutsche Begriff „wandern“ schien mir immer umfassender, als es das Wörterbuch angibt. Den entsprechenden russischen Ausdrücken fehlt die Hauptsache: der Zauber der Landstraße, das Geheimnis hinter der Wegbiegung, die Vorfreude auf die Aussicht.
Zudem bedeutet „wandern“ in meiner Vorstellung zu Fuß gehen, ja auch ziellos umherstreifen.
Bei Sonnenaufgang verließ ich ein kleines Gebirgsdorf, das jetzt vor Beginn des Kurbetriebes, sauber, still und malerisch war wie auf einer Abbildung im Reiseprospekt. Der Weg wand sich spiralförmig um den Berg, knirschend gab der Kies unter meinen Schritten nach. Bald links, bald rechts von mir floß gemächlich ein geschwätziger Bach.
Ich vergewisserte mich auf der Landkarte, daß ich Schöneberg am Nachmittag erreichen würde. Als ob es nicht einerlei wäre! Und überhaupt: Warum ging mir dieses verdammte Gasthaus am östlichen Dorfrand von Schöneberg nicht aus dem Kopf? Höchstwahrscheinlich war sie längst verschwunden, diese ländliche Wirtschaft mit dem idyllischen Namen „Zur Linde“, dieses gepflegte Häuschen unterm Schindeldach, das ich noch nie gesehen hatte.

Titel der russischen Ausgabe: „Дорога на Рюбецаль“
Ins Deutsche übertragen von Lia Pirskawetz
Schutzumschlag und Einband: Ronald Paris

Verlag Neues Leben Berlin

1. Auflage 1968
2. Auflage 1969 Berechtigte Ausgabe für den buchclub 65

21 Juli 2023

Honoré de Balzac: Die dreissig tolldreisten Geschichten - (Band I und II)

Buchanfang - Band I
ERSTES ZEHENT
PROLOG
Das ist ein stark gepfeffertes Buch, ein Buch für die Kenner kräftiger und saftiger Bissen, die vom Guten und Besten der Welt den Geschmack auf der Zunge haben, und eines für solche Zecher am Spundloch des Lebens, die schon dem unsterblichen François Rabelais, unsrem Tourainer Landsmann ewigen Angedenkens, die liebste Kumpanei und Jüngerschaft waren.
Nicht daß der Autor sich einbildet, etwas andres zu sein als ein guter Tourainer und etwas andres zu können, als den guten Gesellen dieses fetten und famosen Landes ein paar Schöpflöffel einer nicht alltäglichen Brühe zu kredenzen; – dieses Landes, das fruchtbarer ist an gehörnten und hörnerpflanzenden Spaßvögeln als irgendein Land der Welt, darunter nicht wenige sind, vor denen unser ganzes Volk salutiert und noch einige Völker der Erde mit ihm, wie der Meister Courier selig, der nun niemand mehr kitzelt, oder Meister Verville mit seinem Buch ›Wie die Welt will beschissen werden‹ und andere, die jedermann kennt, den edlen Meister Cartesius ausgenommen. Denn der war ein fast düsterer Geist und hat seine Wolkenträume und Hirngespinste höher gestellt als die guten fetten Bissen und die klaren Tropfen, also daß die Waffelbäcker und Garköche der guten Stadt Tours nichts von ihm wissen noch hören wollen und, wenn man seinen Namen nennt, ein Gesicht machen, als ob sie sagen wollten: ›Ist mir nicht vorgestellt.‹
Dieses Buch aber gehört zu den Früchten, wie die lustigsten und ausgelassensten Stunden unsrer guten alten Mönche sie hervorbrachten und wovon man hier und da in alten Klöstern und Schlössern noch Überbleibsel findet, wie in den weiland fetten Abteien Marmoustiers und Turpenay oder etwa auf Azay und Roche-Corbon und sonst in verstaubten Typotheken jovialer Chorherren und alter Edeldamen, die oft ganze Sammlungen davon lebendig mit sich herumtragen. Sie haben die gute alte Zeit gekannt, wo man noch wußte, was Lachen heißt, und man nicht gleich jemand ängstlich ansah, ob ihm nicht ein Heuwagen aus dem Munde komme, wenn's ihm herausplatzte und den Bauch schütterte, wie es heut bei den jungen Damen Sitte ist, die so gravitätisch dasitzen und deren Art zu unserm lustigen Lande paßt wie ein Nachtgeschirr auf das Haupt einer Königin. Und da das Lachen ein Privilegium des Menschen ist, daran keine andere Kreatur teilnimmt, und wir Grund genug zur Traurigkeit haben in diesen Tagen der sogenannten politischen Freiheit, also daß wir den heiligen Philisterernst, der uns überall anglotzt, nicht auch noch durch Bücher zu vermehren brauchen habe ich geglaubt, ein ganz verflucht patriotisches Werk zu tun, indem ich meinen Zeitgenossen so ein Körbchen voll Lustigkeit schenkte. Wahrhaftig, die Zeit tut mir leid. Wie ein feiner Regen rieselt die Langeweile auf uns hernieder und sickert in uns durch alle Poren mit ihrer schleimigen Feuchtigkeit, daß es kein Wunder ist, wenn alles die Gehirnerweichung kriegt und unsre alten Sitten zum Ammenmärchen werden, die Sitten von dazumal, wo uns die öffentlichen Angelegenheiten, oder wie man die Lumpereien nennen mag, nur so weit interessierten, als sie uns Stoff zu Spott und Hohngelächter gaben. Immer seltener werden sie, die alten Pantagruelisten, die keine Zeit hatten, dem König und dem lieben Gott ins Handwerk zu pfuschen, weil ihnen Lachen und Lustigsein eine wichtigere Sache dünkte; mir scheint, sie sterben aus, und so befürchte ich, daß man die genannten Überbleibsel jener ehemaligen lustigen Breviere, ich fürchte, sage ich, daß man sie verketzern, verleumden und verschimpfieren, daß man sie anspeien und mit Kot bewerfen, daß man sie bepissen und beschmeißen wird, was einem Menschen, der noch Respekt hat vor ehrwürdigen Trümmern und Altertümern, nicht Wurscht sein kann und nicht Schwartenmagen.
Wollt auch bedenken, ihr gelbsüchtig-galligen und gar nicht gallischen Kritiker, Phrasendrescher und Wortverdreher, die ihr nichts könnt, als die Aspirationen und Inspirationen anderer zu verdächtigen, wollet bedenken, sage ich, daß wir nur als Kinder lachen und daß uns mit der Zeit das Lachen ausgeht wie einer Lampe das Öl. Daraus könnt ihr sehen, daß man zum Lachen unschuldig und reinen Herzens sein muß. Wo ihr aber zusammengekniffene Lippen, hochgezogene Brauen, gerunzelte Stirnen, kurz, finstere Gesichter seht, da dürft ihr sicher sein, daß auch das Herz finster ist und voll Unrat. Nehmt an, dieses Buch sei eine Bildgruppe oder Statue; wollt ihr denn, daß der Autor sie verstümmeln und ihr da und dort ihre natürliche Beschaffenheit rauben soll? Er wäre ein Esel in der siebenundzwanzigsten Potenz, wenn er auch nur ein Feigenblatt dranklebte, da solche Werke ebenso wie dieses Buch ja nicht für Nonnenklöster bestimmt sind. Immerhin habe ich aus meinen Manuskripten zu meinem großen Ärger und Leidwesen manche kräftigen alten Wörter ausgestrichen, weil ich wohl weiß, daß an so vielen Leuten nichts keusch ist als die Ohren. Mit Recht können solche Ohren verlangen, daß man Rücksicht auf sie nehme. Wir wünschen nicht, daß eine jener tugendhaften Damen mit drei Liebhabern im Zorn über uns die schmalen Lippen kräusle. Und kein kleines Verbrechen wäre es, gewissen Jungfrauen ohne Jungfernschaft die Schamröte ins Gesicht zu treiben. Man muß den speziellen Lastern unserer Zeit Rechnung tragen. Auch ist ja die Umschreibung kitzliger als das nackte Wort.
Wir sind aber mit der Zeit alt geworden. Lang gesponnene Albernheiten sind uns lieber als die kurzen Frechheiten unsrer Jugend, man kann länger dran saugen und suckeln. Seid also nicht gar zu aufgebracht gegen mich, lest auch mein Buch lieber bei Nacht als bei Tag, und vor allem gebt es keiner Jungfrau, wenn sie es noch ist, in die Hand, das arme Buch könnte Feuer fangen.
Mich selber mögt ihr in Grund und Boden verfluchen. Um das Buch ist mir aber nicht angst, es hat denselben Quell und Ursprung wie so viele Dinge, die sich die Welt erobert haben, als zum Beispiel die königlichen Orden vom Goldenen Vlies, vom Heiligen Geist, der großbritannische Badeorden, der Orden vom Hosenband (Honni soit qui mal y pense) und andre hohe und weltberühmte Institutionen, unter deren Schutz und Schirm ich mich stelle.
›Also seid mir lustig und aufgeräumt, meine Lieben, und lest dies mit fröhlichem Sinn, daß sich eure Lenden und Eingeweide dabei wohl fühlen; wenn ihr mich aber verleugnet, nachdem ihr mich gelesen, so mög euch der Beelzebub reiten.‹
Diese Worte sind von Meister Rabelais, vor dem wir alle ehrfurchtsvoll den Hut abziehen als vor dem König der Wissenschaft und aller göttlichen und menschlichen Komödie.

Inhalt des ersten Bandes
ERSTES ZEHENT
Prolog ..... 7
Die schöne Imperia ..... 13
Die läßliche Sünde ..... 37
Das Königsliebchen ..... 98
Der Erbe des Teufels ..... 120
Die Belustigungen König Ludwigs des Elften ..... 149
Die Frau Konnetable ..... 173
Die Jungfrau von Thilhouze ..... 201
Der Waffenbruder ..... 212
Der lustige Pfarrer von Azay-le-Rideau ..... 232
Die schöne Wäscherin von Portillon ..... 245
Epilog ..... 258
ZWEITES ZEHENT
Prolog ..... 261
Die drei Scholaren von Saint-Nicolas ..... 269
Die Fasten König Franz' des Ersten ..... 287
Seltsame Reden der Nonnen von Poissy ..... 296
Wie das Schloß von Azay erbaut wurde 314
Wie eine schöne und tugendsame Frau zur Hure gemacht werden sollte ..... 340

Inhalt des zweiten Bandes
ZWEITES ZEHENT
Die Hochzeitsnacht des Mönchs ..... 5
Eine teure Liebesnacht ..... 18
Die Predigt des lustigen Pfarrers von Meudon ..... 33
Prolog zum Sukkubus ..... 59
Der Sukkubus ..... 63
Die abgeschnittene Wange ..... 144
Epilog ..... 155
DRITTES ZEHENT
Prolog ..... 159
Ausdauernde Liebe ..... 166
Von einem Justizerich, der kein Gedächtnis hatte für das ›Ding an sich‹ ..... 191
Von dem Mönch Amador, der nachher glorreicher Abt von Turpenay wurde ..... 206
Die reuige Berthe ..... 233
Wie das schöne Mädchen von Portillon seinen Richter überführte ..... 279
Eine Historie, durch die bewiesen wird, daß das Glück immer ein Weibsen ist ..... 290
Der Vagabund von Rouen ..... 313
Mißliche Unterhaltungen dreier Pilger ..... 327
Kindermund ..... 334
Die Heirat der schönen Imperia ..... 337
Epilog ..... 369
AUSKÜNFTE
Biographische Übersicht ..... 375
Stefan Zweig, Aus ›Balzac‹ ..... 378
Stimmen zu Balzac ..... 379
Aus Briefen Balzacs ..... 379
Konrad Farner, Gustave Doré ..... 381


Originaltitel: Contes drolatiques
Mit 400 Illustrationen von Gustave Doré
Aus dem Französischen übertragen von Benno Rüttenauer
Einbandgestaltung: Angelika Kuhrt

Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig und Weimar

1. Auflage 1981

im selben Verlag erschienene leinengebundene Ausgabe mit Schutzumschlag
1. Auflage 1986
und in der Reihe Die Bücherkiepe
1. Auflage 1981 

Auch erschienen bei:
• Insel-Verlag, Leipzig - 1977
• Greifenverlag zu Rudolstadt - 1954 u. 1964

19 Juli 2023

Wladimir Makanin: Der Ausreißer

»Bürger Ausreißer« nennen den 50jährigen Kostjukow die Hubschrauberpiloten, die ihn seit Jahren in die entlegensten Winkel des Landes bringen. Auf der Flucht vor zu intensiven Bindungen stürzte sich Kostjukow in immer neue Abenteuer. Keiner Arbeit verschrieb er sich je mit Haut und Haaren, keine Frau konnte ihn halten. Wenn es zu heiß wurde, machte er sich aus dem Staub. Nur seine unehelichen Söhne sind ihm ständig auf den Fersen, verlangen Geld oder wollen einfach in der Nähe ihres romantischen Idols sein. Erst kurz vor seinem Tod findet Kostjukow die Kraft, sich einzugestehen, daß seine Berührungsängste stets alles zerstört haben. Nun quält ihn der Gedanke, nicht einmal zu elementaren menschlichen Kontakten fähig gewesen zu sein.

Wladimir Makanin (geb. 1937) lebt in Moskau und hat sich in den letzten Jahren zu einem der interessantesten sowjetischen Gegenwartsautoren profiliert. Seine Werke lösen bei Lesern und Literaturkritik oft heftige Debatten aus. In der DDR sind bisher seine Romane »Alte Bücher oder Das Porträt einer jungen Frau«, 1979, »Der Wunderdoktor«, 1984, und »Der Mann mit den zwei Gesichtern«, 1986, sowie die Erzählungen »Der Mann aus der ›Suite‹«, 1985, und »Wo der Himmel die Hügel berührt«, 1986, erschienen. Ursprünglich ein Schüler Juri Trifonows, sieht Makanin die Problematik des Großstadtalltags aus dem Blickwinkel der nachrückenden Generation. Er bringt seine Figuren meist in ungewöhnliche Situationen, die sie aus ihrem eingefahrenen Trott herausreißen und über ihr bisheriges Leben nachdenken lassen. Makanin erzählt mit ironischer Distanz, ohne dabei seine innerlich zerrissenen Helden zu denunzieren.

Inhalt
Der Ausreißer • Deutsch von Ingeborg Kolinko
Kljutscharjow und Alimuschkin  • Deutsch von Ingeborg Kolinko
Der Fluß mit der reißenden Strömung  • Deutsch von Harry Burck
Der Antileader  • Deutsch von Ingeborg Kolinko

Aus dem Russischen von Harry Burck und Ingeborg Kolinko

Verlag Volk und Welt, Berlin
Spektrum Nr. 221

1. Auflage 1987  

Michael Krüger: Warum Peking? • Wieso ich? – Zwei Erzählungen

Die Helden dieser beiden satirischen Erzählungen sind Opfer mütterlicher Intensiverziehung. Unruhig, intelligent, aber ohne Ambitionen, bleiben sie unfähig, ihr Leben zu meistern.
Total verstrickt sich der China-Reisende in eine Kette unglücklicher Zufälle. Gerade er, der kaum einen Satz von Konfuzius gelesen hat, soll vor einem internationalen Gremium über den großen Philosophen sprechen. Nichts, selbst eine perfekte Akupunktur nicht, versetzt ihn in die Lage, diese Aufgabe durchzustehen. Erfolgreich ist er nur als geistiger Vater der Dissertation seiner Geliebten. Der Lohn: sie wird befördert, er bleibt allein zurück.
Mit äußerster Kraftanstrengung rettet sich der geplagte Ich-Erzähler des zweiten Textes nach Bayern, weit fort von seinen drei altjüngferlichen Schwestern und der despotischen Mutter. Er schlägt sich als Sekretär bei einem Insektenforscher durch, bis ihn eines Tages der Tod der Mutter aus seinem Trott reißt. Die hämischen Schwestern verlangen, daß er die Totenrede hält: »Wieso ich?«
Zweimal bundesdeutsches Intellektuellenelend von Michael Krüger (geb. 1943), Schriftsteller und Verleger aus München, tragisch-skurril verpackt, so daß man »trotzdem lacht«.

Verlag Volk und Welt, Berlin
Spektrum Nr. 251

1. Auflage 1989

Wolfgang Koeppen: Jugend

Wolfgang Koeppen (geb. 1906 in Greifswald) wird auf der Literaturszene der BRD als Einzelgänger teils beschrien, teils bewundert. Die Erzählung „Jugend“ ist seit seinen gewichtigen Romanen „Tauben im Gras“ (1951), „Das Treibhaus“ (1953), „Der Tod in Rom“ (1954) und einigen literarischen Reisebüchern Koeppens erste größere Arbeit nach langer Zeit des Schweigens.
Eine muffige Kleinstadt, in der nicht nur der Mörtel von den Fassaden bröckelt, untertänig beschränkte Beamtenmoral, eine auf sturen Drill orientierte Erziehung, die Novemberrevolution (als Abenteuer und Keim einer alternativen Zukunft erfahren), die Kintopptraumwelt und expressionistische Literatur – diesen Taumel erregender Eindrücke gestaltet Koeppen als einen Balanceakt zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Hoffnung und Angst.
Hinter dem Titel „Jugend“ verbirgt sich kein autobiographischer Bericht. Das „Ich“ der Erzählung spricht nicht für Koeppen allein, es spricht für die Jugend seiner Generation. „Ich glaubte damals aufzuwachen, aber die Wahrheit ist wohl, daß mein Schlaf sich in einem Traum verlor.“ Dieser Traum ist ein Alptraum, wenn er sich erinnert, und eine düstere Ahnung von „großen Untergängen, die kommen sollten“.
Die Ideale und Hoffnungen der Jugend blieben unerfüllt, die Untergänge kamen. In der Zeit des Faschismus wie in der Zeit des kalten Krieges verstummte Koeppen zeitweise. Aber immer wieder meldet sich der Humanist und Mahner mit bedeutenden literarischen Leistungen zu Wort. Die Erzählung „Jugend“ ist ein Dokument der aufbrechenden bürgerlichen Jugend unseres Jahrhunderts, ihres bedingungslosen Hoffens über die Zeitläufe und zugleich ein Beispiel hoher Sprachkunst.

Verlag Volk und Welt Berlin
Spektrum Nr. 117

1. Auflage 1978

18 Juli 2023

Christoph Funke, Dieter Kranz: Angelika Domröse

Wichtigste Quelle dieser Biographie sind Gespräche mit Angelica Domröse, die die Autoren im Dezember 1974 und Januar 1975 mit der Schauspielerin führten. Die eingefügten Selbstzeugnisse wurden unverändert den Tonbandprotokollen dieser Gespräche entnommen. Die Autoren danken Angelica Domröse für die rückhaltlose Offenheit und das leidenschaftliche Engagement, mit denen sie sich allen Fragen stellte.

Jede neu neue Begegnung mit Angelica Domröse ist eine Überraschung. Die Ergebnisse ihrer schauspielerischen Arbeit hinterlassen bei ihr, auch wenn sie sehr gut waren, Unruhe. Sie ist eine Suchende, sie will keine Bequemlichkeit und keine Zufriedenheit, und wenn sie gezeigt hat, daß sie irgendeine Frauengestalt besonders einprägsam verkörpern kann, wird sie mißtrauisch. War das schon das Ziel, war das schon die Aufgabe, die ihrer Gestaltungskraft alles abverlangte?
Diese Unruhe drückt die hohe Forderung der Schauspielerin an sich selbst aus, sie birgt aber auch Ungeduld und Unzufriedenheit. Mit staunenswerter Folgerichtigkeit ist Angelica Domröse allen Festlegungen ausgewichen. Sie will das Erarbeitete immer wieder in Frage stellen, sie ist hungrig auf Aufgaben, die Neues von ihr verlangen, sie fühlt sich auf ausgetretenen Pfaden nicht wohl. Sicher findet sich in dieser Haltung die rasche Lebhaftigkeit ihres Charakters wieder, ihr sprühendes Temperament, das auch vor waghalsigen Unternehmungen – etwa auf artistisch-zirzensischem Gebiet – nicht zurückschreckt. Und doch wäre es eine unzulässige Vereinfachung, wollte man Angelica Domröse etwa auf den »quirligen Wirbelwind« festlegen. Nein, ihre Vitalität hat Wurzeln in einer Energie, einem Ernst, einem leidenschaftlichen Mühen, denen jede Oberflächlichkeit fern ist. Und das bedeutet viel, gerade weil man es der Schauspielerin oft einfach machen wollte, weil sie mit weit weniger Anstrengung den Weg zur Popularität hätte gehen können aber das wäre nicht ihr Weg gewesen.
Burschikosität, Witz, Lebensfreude fallen wohl zunächst besonders ins Auge, machen aber eben nicht die ganze Angelica Domröse aus. Auch ihre Leichtigkeit ist hart erarbeitet, und hinter ihrem fröhlichen Draufgängertum stecken Klugheit und Ernst, gründliches Überlegen, sorgfältiges Abwägen. Im Jahre 1974 gab sich ein Reporter der Süddeutschen Zeitung alle nur erdenkliche Mühe, die Schauspielerin zum »Star« zu machen, sie herauszuheben aus der Wirklichkeit unserer Republik, ihr ein besonderes Leben nachzuweisen – resignierend mußte er feststellen, daß »der Domröse, die eine Schwäche für alte Möbel und alte Häuser hat, eine Mietwohnung im Ostberliner Stadtteil Niederschönhausen genügt«.  ......

Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin

1. Auflage 1976  

17 Juli 2023

Reinhard Kriese: Mission SETA II

Reinhard Kriese, Jahrgang 1954, Diplomingenieur für Maschinenbau, ist bekannt geworden durch den Roman „Eden City, die Stadt des Vergessens“(1985). In seinem neuen Buch schildert er, wie außerirdische Sternenfahrer vom Planeten Seta den Entschluß fassen, sich auf der Rema anzusiedeln. Dabei geraten sie in heftige Auseinandersetzungen mit den Bewohnern des Planeten, als einer von ihnen die schöne Aika aus den Händen eines Wucherers befreit.

Buchanfang:
Langsam, viel zu langsam bewegte sich die Karawane vorwärts. Schon zum zwölftenmal zeigte Ator ihnen sein Antlitz, seit sie Sagon verlassen hatten. Noch immer hielt sie die Wüste Ribeon umfangen. Zwar streifte der alte Handelsweg zum großen Meer dieses unweg- same, schluchtenreiche Dürregebiet nur, aber der allmächtige Ator sandte verschwenderisch seine sengenden Strahlen. Das nackte Gestein gab die Glut unvermindert wieder ab und ließ das Tal zu einem Backofen werden.
Irgendwann einmal war hier Wasser geflossen, und die Wassermassen hatten dieses Tal aus dem Felsboden herausgewaschen. Doch das mußte schon Jahrtausende her sein. Solange die Gatäer denken konnten, lag hier die Wüste Ribeon, einer der ödesten und unzugänglichsten Flecken des Königreiches Gata. Wasser! Wie gern würden sie jetzt die erhitzten Körper in dieser edlen Gabe Ators laben! Der feine Staub, der die Luft mit ihrem ewigen Wind erfüllte, bedeckte die verschwitzte Haut und drang in Nase, Gehöröffnungen, Münd und Augen. Jede Bewegung der Kiefer verursachte ein knirschendes Geräusch. Dazu der Gestank der Herasse und Mulons, der Krieger und der gatäischen Träger einfach gräßlich!
An der Spitze des Zuges ritten schwerbewaffnete asaische Söldner auf ihren gepanzerten Streitherassen, deren langes Fell im Wüstensand wehte. In Gata, dieser Randprovinz des Asaischen Weltreiches, Dienst zu leisten galt als Strafe für asaische Krieger. Kephis, der Statthalter in Gata, hatte ihnen den Schutz der Karawane in die Hände gelegt, die Gatas Tribut an Asa liefern mußte. Ihnen gefiel das Schluchtenlabyrinth gar nicht, durch das sie nun schon so lange ritten. Rechts und links des Weges stiegen die Hänge des Tages steil an. Gerade diese Gegend diente Räubern und Rebellen als Unterschlupf.
Hinter ihnen trugen acht Sklaven die schwere Sänfte eines dicken gatäischen Händlers, der unter ihrem Geleit auf Geheiß des Kephis nach Pharon, dem größten Hafen Gatas, reisen sollte. Die Aser mochten diese Händler nicht, die aus dem Zwischenhandel zwischen Asa und den an Gata grenzenden Barbarenreichen riesige Gewinne zogen. Laufend ließ dieser fette Kerl ihren Anführer Kalides rufen und drängte ihn zu immer neuen Vorsichtsmaßnahmen. Für sie bedeutete das einen Patrouillenritt nach dem anderen. Dieser gatäische Geldsack mußte um sein Leben fürchten, denn die Reise mit einer Tributkarawane, die der so reich geschmückten Sänfte folgte, war in letzter Zeit zu einem Risiko geworden. Aber noch kein Zug wurde so bewacht wie dieser, was auch andere, augenscheinlich weniger begüterte Händler bewogen hatte, sich ihnen anzuschließen.

Illustrationen von Werner Ruhner

Verlag Neues Leben, Berlin
BASAR

1. Auflage 1986
2. Auflage 1990

Ehrentraud Novotný: Gojko Mitic

Ehrentraud Novotný stellt Gojko Mitić vor.
Wie ihn viele kennen - wie er wenigen bekannt ist


Seine Popularität ist unübertroffen.
Er wird umschwärmt, verehrt, bewundert. Ob Junge, ob Mädchen, ob Frau oder Mann – sein Name zaubert ein Lächeln auf ihre Gesichter. Kleine Jungen möchten ihm reitend auf dem Kriegspfad folgen, große Jungen würden ihn gern als Kumpel begrüßen, kleine Mädchen schwärmen für den starken Helden, der sie durch alle Gefahren führen kann, große Mädchen verlieben sich in ihn.
Briefe, Karten, Päckchen, Pakete werden an ihn gesandt. Die Post stöhnt zuweilen unter der Last. Sie hat schon hunderttausende Sendungen für ihn befördert (bis zu 25 000 in einem Jahr). Selbst in „ruhigen“ Zeiten – wenn nicht gerade ein neuer Film erschienen ist – gehen wöchentlich etwa 500 Briefe bei der DEFA ein. Das sind 2000 im Monat. Jahr für Jahr. Er selbst kann sie gar nicht alle lesen, geschweige denn beantworten.
Kinder malen Bilder für ihn, zeichnen sein Porträt, führen Tagebücher, verfolgen seine Filme, seine Interviews, sammeln Zeitungsausschnitte, sie betrachten ihn als ihren Vertrauten, bitten ihn um Rat, geben ihr Taschengeld aus, um ihm ein Geschenk zu machen... Er ist ihr Heldenideal.
Seit nahezu zehn Jahren fließt ihm unaufhörlich ein Strom von Sympathie- und Verehrungsbeweisen entgegen. Hier wollen wir ihn näher kennenlernen.

Umschlaggestaltung: Dieter Heidenreich

Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin

1. Auflage 1976  

Hans-Günter Krack: Jens auf dem Strom

Jens wird Gewinner eines Preisausschreibens und darf einige Stunden auf einem Boot der Wasserschutzpolizei verbringen. Daß es das gleiche Boot ist, das Jens und seine Freunde beim unerlaubten Springen von einer Brücke ertappte, führt zu einigen Problemen . . .

Buchanfang
Die Herausforderung

Im Freibad herrschte an diesem sonnigen, glühend heißen Julitag kurz nach Beginn der Sommerferien Hochbetrieb. Man konnte keine drei Züge geradeaus schwimmen, ohne jemanden zu rammen. An einen sauberen Kopfsprung vom Turm war ebenfalls nicht zu denken. Die Nachdrängenden ließen einem gar keine Zeit dazu, sich zurecht zu stellen oder einen Anlauf zu nehmen. Auf der Liegewiese lagen die Leute so dicht, daß kaum noch Gras zu sehen war, und auf den Ballspielplätzen spielten so viele Mannschaften durcheinander, daß man nur mit Mühe herauszufinden vermochte, wer zu wem gehörte.
Jens, Matti, Sascha und die beiden Mädchen kamen zum zweiten Mal aus dem Wasser und schlängelten sich zwischen sonnenölglänzenden Leibern, Kinderwagen, krabbelnden Kleinkindern, Badetaschen und Gummitieren zu ihren Decken durch. Die fünf gingen nicht nur in dieselbe Klasse, sie wohnten auch in derselben Straße im Mühlenbergviertel. Wie schon oft, waren sie nachmittags zusammen ins Bad geradelt, heute nach einem Besuch im Pionierhaus, wo das Theaterstück »Sombrero« gezeigt worden war.
»Mir reicht's!« schimpfte Matti, während er sich abtrocknete. »So ein Gewühle überall, das ist ja nicht zum Aushalten. Ich fahr' zur Elbe. Weiß einen prima Badeplatz, nicht weit von der Brücke. War vorgestern mit meinem großen Bruder dort. Kaum ein Mensch da, einwandfrei zum Schwimmen und Aalen, und wenn ein Motorschiff vorbeikommt – kostenloser Wellengang. Wer fährt noch mit, Leute?«
»Ich!« rief Jens, der sich gerade hingelegt hatte, und stand schnell wieder auf.
»Ich auch«<, erklärte Sascha.
»Und ihr?« fragte Matti die Mädchen.
»In der Elbe baden, in der Dreckbrühe? Nee, du, besten Dank«, lehnte Kordula ab, und Heike meinte, außerdem sei ihr das wegen der Strömung zu gefährlich.

Illustrationen von Reiner Schwalme

Postreiter-Verlag, Halle
Kleine Jugendbücherei

1. Auflage 1987

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auch erschienen bei:

Geb. Knabe Verlag, Weimar
Knabes Jugendbücherei

Mit Illustrationen von Hans Wiegandt

1. Auflage 1981
2. Auflage 1983

16 Juli 2023

Arno Neumann: Maxe, unser Liebermann – Acht Kapitel über den Maler und sein Werk

Kunst kommt von Können, und daß das Können in keiner Kunst mehr ausmacht als gerade in der Malerei, soll keineswegs geleugnet werden... Gute Malerei ist nur, die gut gedacht ist. Was bedeutet die korrekteste Zeichnung, die blendendste Farbe, wenn all diesen äußerlichen Vorzügen das Innerliche, die Empfindung, fehlt! Das Bild bleibt doch – gemalte Leinwand. Erst die Phantasie kann die Leinwand beleben, sie muß dem Maler die Hand führen.
MAX LIEBERMANN

Buchanfang
Skizzenbücher wünscht sich Max Liebermann zu seinem 9. Geburtstag, solche, wie sie Künstler auch haben. Er zeichnet im Zoo die Tiere und zu Hause Waschfrauen, die für die Familie arbeiten.
Zwei Zeichnungen des 12jährigen druckt die Berliner »Illustrierte Zeitung«. Für jede bekommt er einen Taler. Aber niemand erfährt den Namen des jungen Künstlers. Das wußte der Vater zu verhindern.
Aber Liebermann läßt sich von den väterlichen Vorbehalten nicht beeindrucken:
»Fünfzehnjährig... wollte ich Maler werden, ich glaube besonders, um der Schule zu entwischen. Die war mir ein Greuel, und noch heute ist's mein schwerster Traum, ich sei noch auf dem Gymnasium. Mein Vater aber bestand bei uns drei Brüdern darauf, daß wir das Abiturientenexamen machen müßten, bevor wir uns für einen Beruf entschieden; bei mir wohl mit dem ganz natürlichen Nebengedanken, daß ich, erst einmal auf der Universität, von selbst meine Absicht, Maler werden zu wollen, aufgeben würde.
Inzwischen sollte ich bei Steffeck, der damals in Berlin noch als Lehrer sehr renommiert war und der meine Zeichnungen gesehen und anerkannt hatte, am Mittwoch und Sonnabend nachmittags zeichnen... Als Primaner verging mir vor lauter Schularbeiten die Lust zum Zeichnen, wenigstens bei Steffeck, der noch dazu weit weg von uns wohnte.
Endlich hatte ich glücklich das Examen bestanden, und ich wurde auf der Berliner Universität immatrikuliert. Aber ich belegte nicht einmal ein Kolleg, sondern genoß die Freiheit von der Schule, indem ich im Tiergarten spazierenritt. Und bei einem jener morgendlichen Ritte traf ich Steffeck... Er forderte mich auf, in sein Atelier zu kommen und ein Pferd, das er zu porträtieren hatte, mitzumalen. Zum erstenmal hatte ich Pinsel und Palette in der Hand. Der Versuch fiel nach Steffecks Meinung überaus günstig aus, und – ich war Maler geworden.«
Der Vater ist noch nicht überzeugt. Die Liebermanns sind reiche Leute. Der Vater besitzt zusammen mit seinem Bruder eine Stoffabrik und zwei Eisenwalzwerke. Außerdem betreibt man einen Großhandel mit Baumwollstoffen. Die Liebermanns wohnen allein in einem eigenen mehrstöckigen Haus in der berühmtesten und teuersten Gegend Berlins, am Pariser Platz, direkt neben dem Brandenburger Tor.

Der Kinderbuchverlag Berlin
(Kunstreihe)

1. Auflage 1986

Francois Eugéne Vidocq: Aus dem Leben eines ehemaligen Galeerensklaven ...

Vollständiger Titel
Aus dem Leben eines ehemaligen Galeerensklaven, welcher, nachdem er Komödiant, Soldat, Seeoffizier, Räuber, Spieler, Schleichhändler und Kettensträfling war, endlich Chef der Pariser geheimen Polizei unter Napoleon sowohl als unter den Bourbonen bis zum Jahre 1827 wurde



Abenteurer, Soldat, Gelegenheitsarbeiter, Dieb, Kettensträfling, dann Polizeispitzel und schließlich Chef der französischen Sicherheitspolizei – das war François Eugène Vidocq.
Rückhaltlose Offenheit, aber auch ein starkes Selbstbewußtsein charakterisieren seine Memoiren. Kein Wunder, daß sie Erfolg hatten. Bereits 1829, zwei Jahre nach ihrem Erscheinen, wurden sie ins Deutsche übersetzt. Der Vergleich mit Casanova und Benvenuto Cellinis Selbstzeugnissen liegt nahe. Bedeutende Zeitereignisse und namhafte Zeitgenossen beschäftigen Vidocq weniger als das eigene Schicksal. Es wäre jedoch falsch, den Erfolg seiner Autobiographie allein aus dem Interesse am Sensationellen herzuleiten.
Was hat gerade Balzac und Victor Hugo bewogen, Vidocqs Erlebnisse als Quelle für ihr Werk zu nutzen?
Eine Zeit großer gesellschaftlicher Umwälzungen spiegelt sich aus der Sicht der Deklassierten. Straftaten werden geschildert, aber zugleich werden soziale Mißstände, Ursachen zunehmender Kriminalität und inhumaner Strafvollzug aufgedeckt. Vidocq zeigt viele Gesichter. Im Urteil der Zeitgenossen war er auch »ein ehrenwerter Mann«.
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Bei der gegenwärtig in Europa bestehenden Gesellschaftsordnung sind dem Unerfahrenen alle Mittel gegeben, sich zu verderben; fällt er, so wird die Gerechtigkeit aufrechterhalten, oder besser gesagt, die Gesetzgebung. Aber wer ist's, den sie trifft? Der Arme, der Unwissende, der Unglückliche, dem das Gesetz unbekannt geblieben, der keine anderen Regeln des Verhaltens haben konnte als die Sprüche des Katechismus, die bald vergessen sind, weil er sie als Kind nicht verstand und als Mann unter der Masse von Religionsvorschriften nur sehr weniges findet, was fürs praktische Leben taugt. Man täusche sich ja nicht; trotz der großen Fortschritte der Aufklärung ist die Volkserziehung noch weit zurück. Die Wissenschaft schreitet voran, aber nur für die bevorrechteten Stände. Weiter unten ist Finsternis, wo jeder auf gut Glück sich blindlings vorwärtsbewegt, und wehe dem, der sich verirrt! Bei jedem Schritt gibt es Abgründe, Schlingen, Hindernisse, und niemand will die Mühe auf sich nehmen, ein Licht aufzustecken. Geht eures Wegs, ihr Armen! Ihr seid verflucht, verworfen! Die Gesellschaft, die verurteilt und ausstößt, hat euch mit ihrem Bann belegt.
François Eugène Vidocq

Buchanfang
KAP. No.1
Was ein Häkchen werden will

Ich bin in Arras geboren, und da meine ständigen Verkleidungen, die Beweglichkeit meiner Züge und meine Geschicklichkeit, das Gesicht in Falten zu legen, mein Alter in Ungewißheit setzten, so wird es nicht überflüssig sein, hier zu erklären, daß ich am 23. Juni 1775 zur Welt kam. Es geschah in einem Haus neben dem, in welchem sechzehn Jahre vorher Robespierre geboren worden war. Es war Nacht. Der Regen fiel in Strömen, daher schloß eine Verwandte, die die Geschäfte einer Hebamme und einer Wahrsagerin versah, daß ich ein stürmisches Leben haben würde. Damals gab es noch gute Leute, die an Vorzeichen glaubten; aber wie viele Menschen, die keine Kaffeeschwestern sind, würden sich nicht auch noch heutzutage, wo man aufgeklärt ist, für die Unfehlbarkeit der Demoiselle Lenormand verbürgen.
Wie dem auch sei, es ist zu vermuten, daß die Natur nicht gerade meinetwegen stürmte, und obgleich das Wunderbare manchmal eine verführerische Sache sein mag, so bin ich doch weit entfernt zu denken, daß man dort oben acht auf meine Geburt gehabt habe. Ich besaß eine der stärksten Konstitutionen, der Stoff war dabei nicht gespart, denn gleich bei meinem ersten Erscheinen hätte man mich für ein Kind von zwei Jahren halten können, und ich versprach damals schon jene .....

Inhalt
Erstes Kapitel • Was ein Häkchen werden will
Zweites Kapitel • Unter der Herrschaft der Guillotine
Drittes Kapitel • Krieg und krumme Wege
Viertes Kapitel • Ein folgenschwerer Freundschaftsdienst
Fünftes Kapitel • Ich soll einen Mord begangen haben
Sechstes Kapitel • Acht Jahre Kettenstrafe
Siebentes Kapitel • An der Kette ins Sklavenhaus von Brest
Achtes Kapitel • Die Abenteuer der Schwester Franziska
Neuntes Kapitel • Überall lauern die Häscher
Zehntes Kapitel • Wieder an der Sträflingskette
Elftes Kapitel • Roman, der edle Räuber
Zwölftes Kapitel • Herrn Dubois kann geholfen werden
Dreizehntes Kapitel • Unter der Flagge der Korsaren
Vierzehntes Kapitel • Seltsames Treiben der Olympier
Fünfzehntes Kapitel • Schatten der Vergangenheit
Sechzebnies Kapitel • Im Gluttopf stinkt es
Siebzehntes Kapitel • Agent des bösen Engels
Achtzehntes Kapitel • Unter Mutter Noëls Obhut
Neunzehntes Kapitel • Buckelchen
Zwanzigstes Kapitel • Der ach so fromme Pater Moiselet
Einundzwanzigstes Kapitel • Herr Julius hat uns eingepackt
Zweiundzwanzigstes Kapitel • Rechenschaftsbericht eines Chefs
Nachwort

Mit einem Nachwort von Hans-Joachim Malberg und
Illustrationen von Klaus Ensikat

Buchverlag Der Morgen

1. Auflage 1971
2. veränd. Auflage 1986

Reinhard Butzek: Über Kimme und Korn

Schießen kann jeder, und wer auf dem Jahrmarkt schon ein paarmal einen Blumenstrauß für die Freundin geschossen hat, der glaubt vielleicht, ein ganz guter Schütze zu sein. Doch wer nicht nur auf Blumenröhrchen oder ab und zu bei einem Sportfest eine Zehn schießen, sondern systematisch zu guten Schießergebnissen gelangen will, für den ist diese Broschüre genau das Richtige. Der Anfänger wird staunen, was alles er beeinflussen kann, um ins Schwarze zu treffen. Diese Anleitung macht es ihm leicht. Sehr anschaulich, mit leichtverständlichem Text, vielen Fotos und Zeichnungen werden die Schießtechniken mit Gewehr und Pistole für Luftdruck- und Kleinkaliberwaffen beschrieben. Beginnend mit dem „Einmaleins“ des Schießens, was da heißt: Anschlag – Zielen – Atmen – Drücken, wird der Eleve sachkundig mit methodischen Hinweisen, vielen Ratschlägen und Tips auf seinem Weg zum Könner begleitet, der sich auch schon einmal an der Laufenden Scheibe versuchen will. Natürlich gibt es auch Informationen zu Waffen, zu Wettbewerbsformen und zum Konditionstraining. Eine Fachworterläuterung am Ende erleichtert den Umgang mit den Spezialausdrücken der Schießsportler.
Es bleibt eigentlich nur eines offen: Nicht zögern, praktisch üben! Den Schlüssel zum Erfolg haben Sie bereits in der Hand.

Buchanfang
1. Schießsport ist Volkssport
Mit dem Sportschießen hat sicher schon jeder Bekanntschaft geschlossen. Das kann auf dem Rummelplatz gewesen sein, als es um Blumen und Röhrchen ging, das geschah vielleicht bei einem Sportfest oder Volksfest, das vollzog sich möglicherweise bei einem der populären Massenschießwettbewerbe der Gesellschaft für Sport und Technik, der GST, wie dem Fernwettkampf um die „Goldene Fahrkarte“, oder das war schließlich einfach bei Bekannten auf dem Grundstück. Mit scharfem Auge und ruhiger Hand gilt es, das Ziel zu treffen oder hohe Ringzahlen zu schießen. Man will sich selbst be weisen, will Bekannten oder Freunden zeigen, wie gut man schießt und daß man sportlich, eben ein ganzer Kerl, ist. Da hat sich der Vater gegen den Sohn zu behaupten, da erweist sich schließlich die Mutti als besonders treffsicher.
Der Möglichkeiten zum Sportschießen gibt es in unserem Land viele. Der Schießsport zählt seit geraumer Zeit zum Volkssport. Die alljährlich hohen Teilnehmerzahlen an schießsportlichen Wettkämpfen sprechen dafür. Und außerdem gehört Schießen mit zu den Grundübungen, die bei der Erfüllung der Bedingungen des Sportabzeichens der DDR „Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat“ zu absolvieren sind. Einen Einblick in die Geheimnisse" des Sportschießens soll dieses Buch vermitteln. Es ist für Anfänger geschrieben, die nicht nur auf dem Rummelplatz Blumen für die Freundin schießen wollen. Es ist auch ein Buch für diejenigen, die sich bereits einer Sportgruppe angeschlossen haben und sich bemühen, immer häufiger ins Zentrum zu treffen.

Inhalt:
1. Schießsport ist Volkssport
1.1. Von Schützenfesten zu Olympiadisziplinen
1.2. Einiges über Wettkampfmöglichkeiten
2. Gewehrschießen
2.1. Vor dem Startschuß
2.2. Liegendanschlag
2.3. Stehendanschlag
2.4. Kniendanschlag
3. Das „Einmaleins“ des Schießens
3.1. Zielen
3.2. Atmen
3.3. Drücken des Abzuges
3.4. Koordination
3.5. Schießen bei Wind
3.6. Taktik
3.7. Wettkampf
3.8. Abkommensbestimmung
3.9. Trockentraining
3.10. Schießen auf die weiße Scheibe
3.11. Schießfehler
4. Pistolenschießen
4.1. „Künstler“ und harte Anforderungen
4.2. Der Anschlag
4.3. Atmen
4.4. Zielen
4.5. Drücken des Abzuges
5. Laufende Scheibe
5.1. Eine attraktive Disziplin
5.2. Der Anschlag
5.3. Zielen
5.4. Drücken des Abzuges
5.5. Übungsaufbau
6. Was zum Schießen dazugehört
6.1. Kraft und Ausdauer
6.2. Wettkampfregeln
6.3. Schießzubehör
6.4. Waffen
6.5. Waffenpflege
6.6. Sicherheitsbestimmungen
6.7. Das Schießabzeichen
Fachausdrücke, kurz erklärt
Literatur

Sportverlag, Berlin

1. Auflage 1987

Hanns H.F. Schmidt: Sagen aus der Altmark – neuerzählt nach alten Überlieferungen

Buchanfang
Die „Goldene Laus“

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts war es in deutschen Landen nicht sonderlich gut mit dem Frieden und der Ordnung bestellt. Der Kaiser Karl IV, aus dem Stamm der Luxemburger, kämpfte um seinen Thron gegen die Wittelsbacher, die überall sich Parteigänger warben. Der „falsche Woldemar“ stiftete in der Mark Brandenburg (und zu ihr gehörte die Altmark) und über ihre Grenzen hinaus tiefgreifende Unruhe. Er gab sich als der letzte Askanier aus, obwohl der Stamm bereits ausgestorben war. Streit und Kampf lösten soziale Unruhen aus, die zum Beispiel in Stendal 1315 zur Vertreibung vieler Familien des Patriziates führten. Und zu allem Unglück streifte der Schwarze Tod, die Pest, furchtbar im Land umher.
Die Menschen, immer beeinflußt durch den Glauben, daß sich in allem Walten und Wandeln ein höherer Sinn verberge, warteten voller Spannung auf ein Zeichen, daß eine Veränderung kommen würde. Und da fiel in einer Nacht in Bismark, dem Ort an der bischöflichen Grenze zwischen den Bistümern Verden an der Aller und Halberstadt, unter denen das altmärkische Land aufgeteilt war, ein Kreuz vom Himmel. Das mußte doch ein Hinweis auf die Erfüllung aller Hoffnungen sein, und ungezählte Pilgerscharen scheuten den Weg nicht nach Bismark, um sich selbst von diesem Wunder zu überzeugen.
Bis zu dieser Stelle kennt auch die Chronik die Begebenheit. Nun aber ist die Sage an der Reihe. Sie weiß nämlich, daß der Priester in Bismark von den Zugereisten reiche Opfergaben einsammeln konnte, die bald einen solch hohen Wert besaßen, daß er beschloß, für das Wunderkreuz, das selbst Kranke geheilt hatte, müsse eine neue, sehr große Wallfahrtskirche erbaut werden. Die vorhandenen Bauplätze in Bismark wurden als zu klein verworfen. Außerhalb des Ortes legte man ein Fundament mit beachtlichen Ausmaßen. Die Bauarbeiten gingen gut voran.
Das Bauwerk war noch nicht vollendet, als der Strom wertvoller Opfergaben und Geldgeschenke versiegte. Es kamen weniger Menschen nach Bismark. Man hörte von Raub und anderen Gewalttaten bis hin zum Mord, die vorgefallen waren. Und das in unmittelbarer Nähe eines Kreuzes, welches vom Himmel gefallen war? Und überhaupt: Was hatte sich denn seit jenem Zeitpunkt verändert? Nichts.
Der auf Repräsentation bedachte Priester bemerkte die Wendung mit wachsendem Mißbehagen. Das gehortete Geld würde nicht einmal zur Errichtung des Turmes und zum Dachdecken ausreichen. Er verheimlichte seine Zahlungsschwierigkeiten von Woche zu Woche vor den zahlreichen Handwerkern und hoffte inständig, daß neue Pilgerzüge zur Wallfahrtskirche Geld und Gaben brächten. Das geschah aber nicht.
In einer Nacht, als der Priester sich schlaflos von einer Seite zur anderen wälzte, klopfte es leise an seine Kammertür. Als er erschrocken den Riegel zurückzog, um einen Blick durch den Spalt zu wagen, stand der Teufel da. Mit freundlicher Miene, muß man hinzufügen. Der lächelnde Teufel machte auch nicht viel Worte – er zeigte nur auf viele Beutel mit gedigenem Gold als Gegenwert für die Seele des Priesters nach dessen Tode. Das war keine leichte Entscheidung für den frommen Mann. Aber andererseits war nur dieses Geld seine Rettung. Er willigte in den ververhängnisvollen Handel ein, konnte vom nächsten Tage an noch mehr Handwerker und Tagelöhner einstellen und erlebte bald die feierliche Einweihung des Bauwerkes
Als der Priester den Gevatter Tod nahen fühlte, betete er mit einiger Berechtigung, daß er ja immerhin das Gold nicht für sein persönliches Wohlleben ausgegeben habe, sondern sich auch viel Mühsal aufgeladen hätte mit dem Kirchenbau. Er fand Gnade, erzählt die Sage, und es kam promt ein Engel, gegen den der Teufel die Seele einbüßte.
Der Teufel war auf das Äußerste erzürnt. Nun stand er mit leeren Händen da, obwohl er einen großzügigen Einsatz bezahlt hatte. In seiner Wut verwandelte er alles übriggebliebene Gold und die Münzen aus den Opferstöcken in ein großes Stück, das wie ein rundes Brot geformt war. Zuerst wollte er diesen Schatz wieder mit sich nehmen, aber dann murmelte er einen Zauberspruch und zog lange, goldene Beine aus dem Klumpen, auf denen der nun plötzlich wie eine riesige Laus dahinkroch. Die goldene gefräßige Laus versteckte sich in allen Winkeln des Kirchenschiffs und im Turm und griff dann überraschend die Besucher an. Die Menschen konnten sich nur vor ihr retten, in dem sie ihr Fleischbrocken in den Weg warfen.
Das teuflische Tier wurde zum Schrecken der Pilger. Niemand wagte sich mehr in die verrufene Kirche. Sturmschäden besserte niemand mehr ans Der Zerfall griff um sich. Mauern bröckelten ab. Und heute treten die spärlichen Besucher nur noch vor die Feldsteinmauern der Turmruine, die freilich noch immer die „Goldene Laus“ genannt wird.

Titelbild und Zeichnungen von Klaus Ozminski

Selbstverlag: Verband der Journalisten der DDR, Gebietsgruppe Salzwedel

1. Auflage 1987
2. überarb. Auflage 1988