20 Oktober 2022

Marianne Bruns: Der grüne Zweig

Ein erster grüner Zweig glänzt am Ende über dem Wasser, Noah weiß: Die Sintflut ist beendet, er hat sich mit den Seinen in der Arche vor der Naturkatastrophe retten können.

Orientalische Sage und biblische Geschichte: die Sintflut. Marianne Bruns nimmt die Zeit unmittelbar vor diesem Ereignis zum Thema ihres Romans: Sie erzählt vom Leben und Treiben eines kleinen Stammes in der Wüste, dessen Mitglieder sich gegenüber der Kunde abwehrend verhalten, eine Flut werde über sie kommen. Sie wollen in ihren Lebensgewohnheiten nicht gestört werden, nicht von ihnen lassen, sie möchten raffen, was zu haben ist, und verfolgen den Mann, der durch den Bau der Arche den Grundstock zu seiner Rettung legt. Der grüne Zweig symbolisiert sein Überleben und Neubeginnen.

Der Beziehungsreichtum dieser Parabel wird dem Leser sehr bald klar und durch die Rahmengespräche aus unserer Zeit handfest unterstrichen: Es geht um die globale ökologische Krise, die unseren Nachkommen mit großer Wahrscheinlichkeit bevorstehen würde, verhielte sich die Menschheit – unter den gänzlich anderen ökonomischen Bedingungen – ähnlich, wie jene Ebräer zur Zeit der Sintflut handelten.

Eine erregende Geschichte, die durch ihre dichte Atmosphäre und die literarische Gestaltung der Lebens- und Verhaltensweisen eines Wüstenstammes zur Zeit der Sumerer einen besonderen Reiz gewinnt

 Buchanfang

Sie war eine reizende, nette Frau. Noch nicht vierzig. Etwas füllig, Barockengel im dunklen Lockenhaar, schön rot und rund, wie Herzkranke zuweilen sind, so daß man ihnen ihre Kurbedürftigkeit nicht recht glaubt.

Die drei Männer am Tisch: Prof. Dr. Arndt, ein Soziologe; Dr. Peters, Regierungsrat in der Wasserwirtschaft, und Dr. Batzdorf, ein Verlagslektor, mochten die Frau recht gern und nahmen ihre nicht immer qualifizierten Einwürfe in ihre Gespräche mit nachsichtigem Wohlwollen auf.

Sie saß nach dem Abendessen noch mit Arndt und Peters am Tisch in der offenen Veranda, unlustig, aufzustehen und allein zu bleiben. Batzdorf würde bald zurückkommen, er telefonierte mit einem Autor in Stuttgart, denn er wollte seinen Tischgenossen aus dessen Manuskript vorlesen. Bis er zurück sein würde, wollte sie jedenfalls sitzen bleiben.

Arndt und Peters redeten, wie so oft, von der drohenden Gefahr ökologischer Krisen, vom Wasser, von der Luft, von den Rohstoffen, von der Unfähigkeit der Menschen, sich mit bevorstehenden Unannehmlichkeiten auseinanderzusetzen.

Der Springbrunnen, auf den die Frau blickte, vor sich bin träumend, stand in der ruhigen Luft senkrecht, wie eine Zypresse. Nur zuweilen zerstäubte ein abendlicher Windstoß seine Spitze und ließ sie schräg wie eine Fahne weben. Dann besprühte sein glitzerndes Wasser die üppigen Blumen an seinem Rande. Die Frau hörte dem Gespräch der Männer nicht zu. 

 Mitteldeutscher Verlag Halle Leipzig
1. Auflage 1979
3. Auflage 1985

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