11 August 2021

Hans Fallada: Altes Herz geht auf die Reise

Hans Fallada wollte, so erklärte er in einem Brief vom 4. September 1933, „nicht für zwei- oder dreitausend Menschen schreiben, sondern für je mehr, je lieber“. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch er ein gutes halbes Jahr Nazi-Herrschaft hinter sich gebracht, die Formulierung allerdings ließ vermuten, er mache sich über den Charakter des „Dritten Reichs“ Illusionen. Doch bereits nach einem weiteren guten halben Jahr stieß der Autor des Romans „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“ mit den faschistischen Literatur-Lenkern zusammen, und noch einmal sechs Monate später geriet er erneut in das Kreuzfeuer verdammender Kritik.

Vor allem diese von Verkaufsboykotten gefolgten Angriffe waren es, die Fallada bewogen, mit seinem nächsten Buch in einen gesellschaftlich nicht relevanten Bereich auszuweichen. Aber selbst die Idylle, die er mit dem Roman „Altes Herz geht auf die Reise“ bot, blieb nicht ohne massive Beanstandungen. Der Autor mußte mildernd korrigieren, was „die Ullstein-Leute“ störte – „der zu fromme Professor, der verblödete Knecht, der zu böse Schlieker, die epileptische Frau, die untüchtigen Bauern usw.“ -, ehe die „Berliner Illustrierte Zeitung“ die auf den Vorabdruck zugeschnittene Fassung im Februar 1936 zu veröffentlichen begann. Und bereits während des Fortsetzungsdrucks zog die Zeitschrift „Volksgesundheit“ gegen den heilkundigen Schäfer Kimmknirsch zu Felde und beschoß Fallada mit schwerem Geschütz, als sie denunzierte, er habe „in der Systemzeit“ Romane geschrieben, „die ohne weiteres eine Zierde des Feuilletons der ,Roten Fahne‘ hätten sein können“.

Der mehr weltfremde als fromme Kittguß, der zwar debile, aber nicht verblödete Philipp, die infolge sozialer Umstände niederträchtig gewordenen Schliekers sind indes nicht die Figuren, die wir heute als nicht stimmig empfinden. Uns scheint eher, daß Amtsgerichtsrat Schreischulze nicht die Wilhelminische Justiz zu repräsentieren vermag und die Gnädige Frau von Wanzka nicht das ostelbische Junkertum und daß den dicken Tamm – ein Kauz, kein Großbauer – nur das abstoßende Spiel mit den Armen demaskiert. Außer der feudalen Gesindeordnung erinnert so gut wie nichts an das Jahr 1912, in dem das Buch angesiedelt ist, und nichts an das Vorkriegsjahr 1913, in dem es mit einem rundum rosaroten Happyend schließt.

Der Roman ist gewiß kein Meisterwerk. Jedoch die Zeichnung der Figuren, die Schilderung des Milieus sowie der Landschaft um Unsadel und Kriwitz (lies: Carwitz und Feldberg) und die Führung der verwickelt-spannenden Handlung zeugen von der Feder Hans Falladas, dem es manches Mal gelang, wie Johannes R. Becher formulierte, „die Diskrepanz zwischen Kunst und Unterhaltung aufzuheben“.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1985
bb 544

 

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