27 Oktober 2022

Eva Zeller: Nein und Amen

»Ein Buch soll nach Franz Kafka die Axt sein für das zugefrorene Meer in uns, für das zufrierende Meer der Erinnerung und für das zufrierende des Gewissens. Es ist meine feste Überzeugung, daß wir mit den Jahren nicht weniger, sondern immer mehr zu tun haben mit dem tragischsten Jahrzwölft unserer Geschichte. Gerade bei wachsendem geschichtlichem Abstand dürfen die unmenschlichen Geschehnisse im ›Dritten Reich‹, die Ausrottung aller politisch Andersdenkenden im Lande und die tief gestörten Beziehungen zu anderen Völkern nicht verharmlost und verdrängt werden.« Diese Überzeugung ist es, die Eva Zeller veranlaßte, zu ihrem autobiographischen Kindheitsroman »Solange ich denken kann« eine Fortsetzung zu schreiben, obwohl sie das ursprünglich unter keinen Umständen tun wollte. Sie fürchtete, das Übermaß an schmerzlicher Erinnerungsarbeit nicht leisten zu können, das für ein zweites Buch notwendig war – galt es doch, die Zeit des Krieges und das Ende der Naziherrschaft darzustellen. Daß sie es schließlich doch tat, geschah aus der Erkenntnis heraus, daß der Stoff sich seinen Autor sucht, sich ihm solange in den Weg stellt, bis dieser sich entschließt, ihn zur Sprache zu bringen.

So schildert Eva Zeller, ausgerüstet mit ihrem heutigen Erkenntnisstand und sich zugleich in ihre eigene Vergangenheit zurückversetzend, ihre Jugend unter der Naziherrschaft, Studium, Liebe, Heirat, die Geburt des Kindes und den Verlust des Ehemannes. Das persönlich-menschliche Erleben ist ständig konfrontiert mit den politischen Ereignissen – dem unaufhaltsamen Ende der Naziherrschaft – und wird bestimmt von einer Flucht nach innen, zugleich aber auch vom Wachsen der Erkenntnis über das Wesen der Hitlerdiktatur. Innerlich dachte man bereits »nein«, hielt aber still und sagte weiterhin »amen«. Die Autorin bemüht sich um konsequente Aufarbeitung ihrer Erinnerungen, und es gelingt ein packendes Bild von jener Welt mit ihren hohlen, die Köpfe vernebelnden Phrasen und ihrer grausamen Menschenverachtung. Es wird dabei deutlich, wie die alles beherrschende Propaganda die Menschen in ihren Strudel mitriß und wie schwer es vielen werden mußte, sich aus ihr zu befreien und zu eigenem Erkennen durchzudringen.

»Man war jung. Ein Satz, den man oft hört, wenn von jenen fatalen Zeitläufen die Rede ist. Man war jung. Ein Satz, der um Nachsicht bittet. Man war jung. Ein Satz, der besagt, jeder meiner Generation habe zwei Leben, eins vor, eins nach 1945, und das zweite ist eine ständige Rechtfertigung und Korrektur des ersten, ein Zurechtrücken von Mißverstandenem, ein Wegräumen von Verfälschtem. Daß eine ganze Generation die eigene Jugend widerlegen muß, ist ohne Vorbild, denn noch nie ist einer Jugend dermaßen viel versprochen und so wenig gehalten worden.«

Evangelische Verlagsanstalt GmbH Berlin, 1. Auflage 1988
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart © 1986

 

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