02 November 2022

Marianne Bruns: Zeichen ohne Wunder

Liebeserfüllung und Todeswunsch. Einem reifen Mann widerfährt beides: Er findet die Frau, die er liebt, und er wird fast gleichzeitig von einer unheilbaren Krankheit gezeichnet. Was siegt? Liebe und Leben oder der Wunsch, in Würde zu sterben? Marianne Bruns beschäftigt sich in dem vorliegenden Roman mit dieser tragischen Situation, die einen dramatischen Konflikt auslöst. Dabei gibt sie mit psychologischem Einfühlungsvermögen die Verhaltensweisen verschiedener Temperamente wieder und provoziert dadurch den Leser zur Stellungnahme. Die feinnervige Gestaltung dieses alten Problems der Gesellschaft, mit dem auch wir uns auseinandersetzen müssen, wird das Interesse vieler Leser finden, zumal hier zum ersten Mal das Bild eines belletristischen Verlages und der komplizierten Struktur seines Lektorates aus der Sicht eines Schriftstellers dargestellt wird.

Buchanfang

»Das ist die Frage... «

Der Mann schreibt seine vier Worte auf ein Blatt Manuskriptpapier. Er sitzt, wie auch sonst bei günstigem Wetter, nicht im Zimmer am Schreibtisch, sondern im Freien. So ganz frei ist das Freie nicht, Häuser stehen im Geviert und ein Quadrat von Büschen umgibt eng seinen Platz. Aber er ist doch grün, dieser Platz, und einigermaßen geschützt vor Menschenaugen. Und es weht eine Luft, wenn auch nicht rein, so doch bei günstigem Wind ohne viel Abgase.

Er schreibt ein zweites Mal hin: »Das ist die Frage«, achtlos, wie ein anderer etwa vor sich hin murmelt, was ihm durch den Kopf geht. Schreiben, mehr noch: Geschriebenes lesen, ist sein Beruf. Er ist Verlagslektor.

Die Frage ist, ob sie diesen Kampf, diesen tapferen Kampf – Moment. Da ist Mißtrauen am Platze: Das Wort »tapfer«, das ich diesem Kampf als schmückendes Beiwort immer wieder hinzufüge, stimmt es denn? Geht es ihr wirklich rein und einzig um die Sache? Um den Verlag? Um das Kollektiv?

Rein und einzig! So gestellt, ist die Frage albern. So eindeutig sind Menschen nicht. Es gibt immer auch Nebenziele. Etwa: Sich Geltung verschaffen. Ich kenne die Frau viel zu wenig.

Die Frage, die in mir bohrt und um die ich mich drücken will, lautet in Wahrheit: Ist Liebe im Spiel? Seinerseits? Ihrerseits? Wenn ja – weiß sie es? Sie weiß es vielleicht nicht. Oder weiß es doch. Und ihr Eifer als Parteisekretärin dient vielleicht nur als Vorwand, eine Liebesaffäre durchzuspielen? Eine fürchterliche Vorstellung. Und daß sie so fürchterlich ist, wie entwürdigend ist das! Aber schon der Gedanke an die Möglichkeit, an die unbegründete Möglichkeit, daß da eine Liebesaffäre, welchen Ranges auch immer, im Gang sein könnte, macht, daß mir zumute ist, als sollte ich zerrissen werden.

Mitteldeutscher Verlag Halle - Leipzig, 2. Auflage 1977

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.