Bücher und Schriftsteller, die in der DDR gelesen wurden. Schaut bitte nicht nur danach, ob hier jeden Tag Beiträge auflaufen, nutzt diesen Blog auch wie ein Lexikon. Er ist ein Langzeitprojekt, da ist es sicherlich verständlich, wenn zwischendurch immer mal wieder pausiert wird. Sei es, um nicht die Lust daran zu verlieren, aber auch, weil die Beiträge auch regelmäßig vorbereitet werden müssen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Stöbern und Erinnern oder neu entdecken.
05 Juli 2020
Jens Sparschuh: Kopfsprung
Ganz mit rechten Dingen geht es in Sparschuhs neuem Buch wohl doch nicht zu? Gleich zu Beginn jedenfalls, im ersten Kapitel, wird der Held der Geschichte, Rudolf Rypschinski, feierlich zu Grabe getragen. Das könnte es eigentlich gewesen sein... Daß er auch im Folgenden nicht zur Ruhe kommen wird, dafür sorgt ein Auftrag, den er postum "höheren Orts" empfängt: Er soll reinkarnieren, und zwar am hauptstädtischen Institut für marxistische Seelenkritik, und dort für seine unsterbliche, derzeit jedoch heimatlose Seele unter einem der Schädeldächer Obdach finden. Keine so einfache Aufgabe, wie er bald feststellen muß, gibt es doch recht verschiedene Hutgrößen am Institut, und manch einem Mitarbeiter paßt Rypschinskis unsichtbare Existenz durchaus nicht ins Weltbild. Diesseits und Jenseits geraten gefährlich durcheinander: So viele Arten des Totseins zu Lebzeiten, zunächst wird ein Foto retouchiert, dann ein wichtiges Versuchsergebnis totgeschwiegen - und was, andererseits, von Amts wegen eigentlich tot sein müßte, ist oft so lebendig. Rypschinski, der tot und hellwach die verschiedenen Mechanismen der Verdrängung registriert, gerät mit seinem Auftrag bald selbst in Bedrängnis...
Keine entlegene Gespenstergeschichte also, die der Autor hier anbietet: Es sind Mysterien des Alltags, denen er mit seinem postumen Ich-Erzähler auf der Spur ist: ob es bei der Zeitungslektüre sei, beim Besuch eines Autohauses oder bei einer Festansprache. Und schließlich findet er auch für die antike Lehre von der Seelenwanderung eine verblüffend einfache Lesart: Man nimmt Anteil am Schicksal des anderen, mischt sich ein, schickt seine Seele auf Reisen...
Auch in seinem neuen Buch erweist sich Sparschuh wieder als Meister pointierten Erzählens, dessen Exkursen selbst über scheinbar so entfernte Dinge wie die Seele und die Unsterblichkeit man gerne folgt, denn daß dabei kein langweilig akademischer Ernst waltet, dafür bürgt Sparschuhs aufklärerischer Esprit.
Buchverlag Der Morgen Berlin, 1989
1. Auflage 1989
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