Andrej Timofejewitsch Bolotow (1738 – 1833), langjähriger Beamter im Dienste Katharinas II., quittiert nach dem berühmten Ukas von Peter III. über die Adelsfreiheiten im Alter von 24 Jahren den Offiziersdienst und zieht sich auf sein Landgut im Tulaschen Gouvernement zurück, wo er bis zu seinem Tode lebt und wirkt. Der standesbewusste Adlige und bildungsbesessene Autodidakt, den alle Wissenschaften und Künste magisch anzogen und der eine wahre Flut von Schriften hinterließ, gilt als der erste bedeutende Agronom Russlands – im Volk aber vor allem als derjenige, der die Kartoffel in Russland heimisch gemacht hat.
Bolotows Memoiren, die hier in ihren wichtigsten Teilen vorgelegt werden, beeindrucken durch die Fülle an historischen Details: aus dem Alltagsleben des russischen Landadels im 18. Jahrhundert, dem Siebenjährigen Krieg, der Palastrevolution von 1762, die Katharina II. den Thron sicherte, dem Pugatschow-Aufstand und vielen anderen weniger bekannten Ereignissen.
A. T. Botolow über den Besuch Katharinas II. im Jahre 1787 in Tula: „… aber so bot sich mir wenigstens die einmalige Gelegenheit, ganz dicht hinter meiner Herrscherin zu stehen und dieselbe nicht nur ausgiebig zu betrachten, sondern mich auch in Gedanken über die Herrscherin vieler Millionen Menschen zu ergehen, deren aller Schicksal und Glück von ebendieser Person abhing, von der auch ich zumindest einen kleinen Gnadenerweis erwartete. Dieserart Überlegungen wurden aber durch den zu mir schauenden Generalgouverneur gestört, der mir durch ein Handzeichen zu verstehen gab, ich solle mit meinen Büchern vor die Monarchin hintreten. Und so blieb mir nichts anderes übrig, als einen der die Zarin umringenden Würdenträger zu bitten, mir den Weg freizugeben. Als ich mich durch die Höflinge gezwängt hatte und endlich den Generalgouverneur erreichte, beendete der Adelsmarschall auch schon seine Rede, so dass mein Vorgesetzter, ohne auch nur eine Minute zu zaudern, mich mitsamt den Büchern zur Zarin führte und ihr einige Worte sagte, von denen ich aber, verwirrt wie ich damals war, überhaupt nichts mitbekam. Ich entsinne mich nur, dass ich die Bücher, während ich mich vor Ihrer Majestät verneigte, nicht eigentlich überreichen konnte, sondern einer der Höflinge mir dieselben einfach aus den Händen nahm, wonach ich sie völlig aus den Augen verlor. So konnte ich also nicht das Geringste ausrichten …
Insel-Verlag Anton Kippenberg, 1. Auflage, 1989
Bibliothek des 18. Jahrhunderts
Herausgegeben und mit Anmerkungen von Wolfgang Gruhn
Mit 20 Abbildungen und Textvignetten.
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