07 September 2020

Martin Walser: Das Schwanenhaus


 "Was habe ich da bloß wieder geredet", flüstert Gottlieb Zürn ins dunkle Hotelzimmer, als er sich schlaflos an den vorigen Abend erinnert. Je öfter der Immobilienmakler seine Sätze wendet und wiederholt, desto tiefer bohrt der Schmerz in der Herzgegend. Warum nur will er seinen Gesprächspartnern imponieren und macht ständig das Gegenteil von dem, was er möchte? Wer in ihm führt eigentlich das Wort? Der Schmerz sticht stärker. Dabei muß er am nächsten Morgen um seinen wichtigsten, seinen schönsten Auftrag kämpfen. Das "Schwanenhaus" nennt er die Jugendstilvilla am Bodensee, die verschwenderisch mit Schwanenmotiven auf Glasfenstern und Wandmalereien geschmückt ist. Für Gottlieb verkörpert sie die schmerzliche Sehnsucht nach vollkommener Liebe und Schönheit. Aber hatte ihn nicht ein Freund gewarnt: "Objekte dieser Art werden einfach auf der Kaltammer-Etage rangiert" und damit auf den gefährlichsten Konkurrenten angespielt, Kaltammer, skrupellos, mit aristokratischen Neigungen und dem großen Geld aus Betonsilos.
In dieser Nacht beschließt Gottlieb Zürn, sich nicht mehr zu demütigen. Unverrichteterdinge fährt er in einem Freiheitsrausch zurück in sein Haus am Bodensee. Doch seine alten Ängste und Zwänge holen ihn ein. Er stürzt sich erneut in den ungleichen Kampf um das "Schwanenhaus".

Martin Walser, geboren am 24.3.1927 in Wasserburg (Bodensee). 1946 bis 1951 Studium der Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte in Tübingen (1952 Promotion). 1951 bis 1957 Regisseur bei Funk und Fernsehen. Danach freischaffender Schriftsteller: Erzähler, Dramatiker, Essayist, Publizist und Herausgeber.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1982

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