08 Oktober 2020

Erich Kästner: Die Zeit fährt Auto - Lyrische Bilanz

 


Erich Kästner, Jahrgang 99, stammt aus Dresden, besuchte das Lehrerseminar, das er durch praktisches Studium der Kriegskunst unterbrechen mußte, und wandte sich dann germanistischen Studien zu. Früh ein erfolgreicher Journalist und Verseschreiber, wurde er nach den ersten Gedichtbänden rasch berühmt. Als die Nazis seine Bücher mit denen anderer potentieller Gegner ihres Regimes verbrannten, entschloß er sich, trotz Schreibverbots als stummer Zeuge in Deutschland auszuharren.
Zeit seines Wirkens, auch nach dem Kriege in München, beweist er die Wahrheit seiner Selbstcharakteristik: "Er ist ein Moralist. Er ist ein Rationalist. Er ist ein Enkel der deutschen Aufklärung..., untertan und zugetan den drei unveräußerlichen Forderungen: nach der Aufrichtigkeit des Empfindens, nach der Klarheit des Denkens und nach der Einfachheit in Wort und Satz. Er glaubt an den gesunden Menschenverstand wie an ein Wunder, und so wäre alles gut und schön, wenn er an Wunder glaubte, doch eben das verbietet ihm der gesunde Menschenverstand..."

Der September

Das ist ein Abschied mit Standarten
aus Pflaumenblau und Apfelgrün.
Goldlack und Astern flaggt der Garten,
und tausend Königskerzen glühn.

Das ist ein Abschied mit Posaunen,
mit Erntedank und Bauernball.
Kuhglockenläutend ziehn die braunen
und bunten Herden in den Stall.

Das ist ein Abschied mit Gerüchen
aus einer fast vergessenen Welt.
Mus und Gelee kocht in den Küchen.
Kartoffelfeuer qualmt im Feld.

Das ist ein Abschied mit Getümmel,
mit Huhn am Spieß und Bier im Krug.
Luftschaukeln möchten in den Himmel.
Doch sind sie wohl nicht fromm genug.

Die Stare gehen auf die Reise.
Altweibersommer weht im Wind.
Das ist ein Abschied laut und leise.
Die Karussells drehn sich im Kreise.
Und was vorüber schien, beginnt.

Reclams Universal-Bibliothek Band 433, 3. Auflage 1974
Versdichtung - Lyrik

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