Die Abenteuer des Werner Holt
Da marschierten sie zum Bahnhof der kleinen Stadt am Fluß, hungrig nach dem Abentuer und nach männlicher Bewährung, aber auch mit geheimer Furcht vor dem Ungewissen. Werner Holt ist unter ihnen, sechzehnjährig wie die anderen. Er fühlt sich dem Elternhaus und der Schulbank entwachsen, er hat mit seinen Freunden in den Bergen ein Räuberdasein voll Illusionen und falscher Romantik geführt. Und nun ist es soweit: er zieht in den Krieg, noch ganz erfüllt von seinem ersten Liebeserlebnis mit Uta. Er ahnt nicht, wie bald er sie vergessen wird über der schillernden, gewissenlosen Gertie Ziesche. Er weiß nicht, daß ihm eines Tages das Mädchen Gundel begegnen und zum Ziel seines Lebens werden wird. Er kann sich nicht vorstellen, wieviel endlose Nächte der Erschöpfung und der Angst am Flakgeschütz, welche qualvollen Stunden erniedrigenden Drills auf ihn warten. Erst wenn er dem Inferno der letzten Rückzugsschlachten entronnen ist, wird ihm bewußt werden, daß er auf der falschen Seite gekämpft hat.
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
Die Abenteuer des Werner Holt – Roman einer Heimkehr
Werner Holt – zwei Jahre folgten wir ihm durch die Hölle des Krieges, aus der er nun heimkehrt: die Stille der Friedhöfe empfängt ihn. Er lebt, aber er weiß nicht mehr, was das ist: Leben. Er kennt nur den Tod, aber er starb nicht. Er kehrt heim – zu Gundel, in das Haus des Vaters. Aber auch hier glaubt er in einer Welt zu sein, die sinnlos anmutet, weil er keinen Sinn in ihr findet. Er begegnet Menschen, die Zuchthäusern entkamen: Sie lehren Hoffnung. Er aber fühlt sich als Strandgut des Krieges, das ruhelos, ziellos durch diese Welt treibt – fort auch von Gundel, deren Liebe an seiner Kälte erfror.
In lärmenden, grellbunten Lokalen, wo das Vergessen mit geschminkten Mündern am Tisch sitzt, beginnt sein Irrweg. Auf Wegschildern: Namen von Städten und Mädchen. Hamburg: wo Biedermänner von einem Geschäft reden – sie meinen den Krieg. Die Einsamkeit blauschwarzer Wälder: wo Uta lebt, fern aller Kälte der Welt – fern aller menschlichen Wärme. Holt reißt sich los: er will einen Weg gehen, der zu seinem Vater, zu Gundel zurückführt. Er will seinen Weg gehen.
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
Vorspiel
Der Wecker rasselte. Werner Holt schreckte aus dem Schlaf, sprang aus dem Bett und stand ein wenig taumelig im Zimmer. Er fühlte sich nicht erfrischt, sondern matt und benommen. Sein Kopf schmerzte. In einer Stunde begann der Schulunterricht.
Durch die weitgeöffneten Fenster flutete Sonnenlicht. Der Mai des Jahres 1943 endete mit heißen, trockenen Tagen, mit prachtvollem Badewetter. Der Fluß, der bei der kleinen Stadt reißend durch die Berge brach, lockte mit seinen grünen Ufern weit mehr als das ziegelrote Schulhaus und seine muffigen Räume.
1. Auflage 1980
Werner Holt ging die Treppe hinab, eine Betntreppe zwischen getünchten Wänden, ging unsicher, beinahe schwankend, in der zerschlissenen feldgrauen Montur. Er dachte: Wer ist Schneidereit? Der Gedanke hatte ihn aus dem Bett getrieben: Wer ist Schneidereit?
In seinem Kopf mengte sich vieles durcheinander: Gestern, Heute, Gestalten, Ereignisse, Schauplätze, und da begreif doch einer, wo er ist, auch wenn er's weiß: Spremberg-AG, Chemische Fabrik, ehemals Sprengstoffe, Schwefelsäure, Medikamente, schwer zerstört; ja, jetzt in Trümmern Vater unterstellt und irgendeinem Manne namens Müller.
Das wußte Holt von Gundel, und Gundel hatte noch vieles erzählt, vom Werk, von den Leuten hier, von Müller, Hagen, Schneidereit und Bernhard. Hatte erzählt, wie Doktor Gomulka nach Nürnberg gegangen, sie aber über die Zonengrenze hierhergekommen war, wie sie auf Holt gewartet hatte und unterdessen und seither regelmäßig, und zwar des Mittwochs, des Sonnabends, irgendwo in irgendeiner Organisation mit diesem Schneidereit zusammen gewesen war. Das hatte Gundel selber erzählt. Wer ist Schneidereit?
Holt blieb auf dem Treppenabsatz stehen, ruhte sich aus, an den Fen-stersims gelehnt. Er nahm die Mütze ab, eine tarnfarbige Segeltuchmütze, und wischte sich den Schweiß von der Stirn: schwüler Septembertag, und immer noch Erschöpfung und Schwäche! Vor Wochen schon heimgekehrt, krank, todkrank, schwere Lungenentzündung, und sterbensmüde, und Gundel saß am Bett und erzählte, und ein Name tauchte auf und kehrte immer wieder: Schneidereit. Da war noch der Alptraum über Holts Leben, da spukten die Bilder des Krieges, des Zusammenbruchs noch in den Gedanken, da fühlte er in den Nächten noch immer die Angst, auch wenn er am Ziel war, auch wenn er bei Gundel war; denn war sie nicht fremd geworden, wer hatte sie ihm entfremdet, wer war da an ihre Seite getreten, während er auf den Äckern von Kreuznach im Schlamm verkam?
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1980
Eine bewegende Geschichte.
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