14 März 2021

Friedrich Minckwitz: Nikolaus Lenau und Sophie Löwenthal - Die Geschichte einer tragischen Liebe

War wohl Lenaus Herz von einem Ahnen ergriffen worden, als er an einem Septemberabend des Jahres 1854 erstmals die Schwelle des Löwenthalschen Hauses in dem Wiener Vorort Penzing überschritt, was für ein Schicksalsschwerer Augenblick dies für sein ganzes Leben sein sollte? Ach, keine Warnung wurde ihm zuteil, nichts rührte sich in seiner Seele, als ihm Max Löwenthal, ein ihm befreundeter Literat, seine ob ihrer Schönheit und ihres Geistes in ganz Wien berühmten Frau Sophie vorstellte. Aber schon wenige Wochen später sprang der Funke über und setzte zwei Herzen in Brand zu ihrer beider größten Seligkeit wie bitterstem Leid. Wie füreinander geschaffen, sich wahlverwandt bis ins Fühlen hinein, konnten sie doch zueinander nicht kommen. Wie hätte ein Mensch von so strengem Gewissen wie Lenau den Freund betrügen sollen? Wie hätte Sophies zartes Gemüt es je über sich gebracht, den Mann zu hintergehen und ihre drei Kinder zu verlassen? So galt es, trotz immer stärker aufflammender Leidenschaft auf volle Vereinigung Verzicht zu leisten und mit Freundschaft sich zu begnügen. Doch zu war für einer wunderbaren Freundschaft wurde doch das Verhältnis der beiden! Welch reiner Austausch der Gedanken und Empfindungen, welch innige Zärtlichkeit, welch großes Vertrauen! Gewiß, von Krisen wurde diese Freundschaft nicht verschont, dafür sorgte des Dichters wildes, stürmisches Temperament zur Genüge, aber selbst schwerste Entfremdungen, selbst vergebliche Fluchtversuche Lenaus zu anderen Frauen wie zur berühmten Sängerin Karoline Unger konnten ein Band nicht zerreißen, das zwei reich begnadete und in seltener Weise miteinander harmonierende Menschen wie unzertrennlich verknüpfte. Noch kurz vor seinem Wahnsinnsausbruch hat der Dichter seinen Stuttgarter Freunden bekannt, daß Sophie zugleich das höchste Glück wie die tiefste Wunde seines Lebens gewesen wäre; und was Sophie betrifft, so hat sie Lenau weit über dessen frühen Tod hinaus die Treue gehalten, bis sie hoch betagt, all ihre Lieben überlebend, in Wien starb.
Dank Lenaus Tagebuch für Sophie, das aus den geheimen, ganz von seinem Herzen diktierten Briefen an sie besteht, dürfen wir diese einzigartige Liebesgeschichte bis in die feinsten Schwingungen miterleben, und kaum woanders leuchtet Lenaus dichterischer Genius so rein auf wie hier. Die beigefügten Reisebriefe lassen Zeit und Umwelt im Spiegel dichterischen Erlebens und Erfahrens lebendig werden, Max Löwenthals Notizen über Lenau vermitteln uns höchst charakteristische Züge des großen Genies, und in Sophies empfindsamem Mädchentagebuch wie in den nach Lenaus Erkrankung geschriebenen Briefen meldet sich die vielgeliebte Freundin schließlich selbst zu Wort und offenbart darin ein Herz, das dem des Dichters wahrhaft würdig war.

Gustav Kiepenheur Verlag Weimar, 1963
 

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