Dies ist zwar kein in der DDR erschienenes Buch, aber wir finden, ein sehr wichtiges. In Anbetracht dessen, dass die Rechtsextremisten immer lauter und immer dreister werden, sie nur Angst verbreiten, sodass gewählte Volksvertreter, wie zum Beispiel Martina Angermann, die Bürgermeisterin der ostdeutschen Stadt Arnsdorf, zurücktreten, da sie aus der Mitte keine Unterstützung erhalten und sie auch vor Mord nicht zurückschrecken, möchten wir mit der Vorstellung dieses Buches mahnen und uns positionieren.
Davor warnen, was geschieht, wenn diese Leute an die Macht kommen, die einerseits den Holocaust leugnen, andererseits in sozialen Medien hetzen, man solle die Gaskammern für bestimmte Personen wieder anschmeißen.
Die AfD stellte im Jahr 2018 ganz unverfroren eine kleine Anfrage, in der eine Verbindung zwischen Behinderung, Inzest und Migration hergestellt wird. Eine weitere Anfrage galt „dem Anteil psychisch kranker Menschen mit Erwerbsminderungsrente und den volkswirtschaftlichen Verlusten, die durch diese Gruppe entstünden“ (Quelle: FAZ). Was geschieht, wenn bestimmte Menschengruppen ausgegrenzt werden, haben wir erlebt.
Ärzte ohne Gewissen
Euthanasie im Dritten Reich
Dieses kleine Buch erscheint mit Absicht in einer Reihe, die sich „das aktuelle thema“ nennt.
Heyde war wie der in Jerusalem vor Gericht gestellte Adolf Eichmann ein SS-amtlicher und zugleich professioneller Endlöser. Der Apparatschik Eichmann unterfing sich, vom Schreibtisch aus die sogenannte Judenfrage zu erledigen – der Arzt Heyde, nicht weniger radikal, rückte der sogenannten Geisteskrankenfrage zu Leibe.
Die Kranken, die sich gegen eine Behandlung durch Heyde und Komplizen nicht wehren konnten, zumeist Anstaltspfleglinge und daneben noch Personengruppen, die nach Auffassung der damaligen Machthaber ein unwertes Leben lebten – beispielsweise arbeitsunfähige Konzentrationslagerhäftlinge -, wurden euthanasiert. Das heißt: Professor Heyde und seine Heil-Gehilfen hatten für diese Patienten – oft Leichtkranke, deren Entlassung aus der Anstaltspflege bevorstand – dasselbe Mittel parat, das auch der Judenverfolger Eichmann für das probateste hielt, mit leidigen Fragen fertig zu werden: die Gaskammer.
Heyde und seine Gefolgsleute, die mittels simpler Kreuzel Zehntausende von Todesurteilen über Kranke sprachen, Kreuzelschreiber in des Wortes peinvollwahrer Bedeutung – sie waren allesamt Ärzte.
Die Männer, die das Gasventil öffneten oder ahnungslose Menschenwesen nach einer letzten Spritze hinüberdämmern ließen – sie waren Ärzte, meineidige Hippokrates-Jäger, Sterbehelfer, die keiner gerufen hatte, Gnadentod-Gewährer ohne Gnade, irrende Darwinisten und wissende Kriminelle in einem. Sie nannten es Euthanasie, aber es war kein „guter Tod“, den sie brachten, diese Ärzte.
Deshalb ist das vorliegende Buch auch weniger der Abriss eines Kapitels medizinischer Geschichte, sondern mehr ein Kriminal-Bericht, der sich auf eine – leider – unbezweifelbare Dokumentation stützt.
Das Buch kommt aus keiner Schriftsteller-Klause, sondern ist eine journalistische Arbeit, gewachsen aus mehreren Artikeln über Medizinverbrechen im Hitlerreich, die ich in den vergangenen Monaten und Jahren recherchierte und schrieb. In einem betont schriftstellerischen Werk hätte mein eigenes Wort das Prä gehabt. In dem Band hingegen, der hiermit der Öffentlichkeit übergeben wird, dominieren die Worte anderer – die Berichte der Zeugen, die Beteuerungen der Täter, die Philippiken der (meist geistlichen) Ankläger und die weisen und die unweisen Sprüche der (weltlichen) Richter.
Ich beließ es bei knappen Deutungen des Geschehens und bemühte mich, ohne „Tendenz“ auszukommen. Bekennen muss ich, dass mir letzteres nur unvollkommen gelang – vielleicht, weil selbst bei der sachlichsten Schilderung der Taten von Menschenverächtern Menschliches (menschliches Aufbegehren insonderheit) sich nur schwer unterdrücken lässt. Schreibern jüngster deutscher Geschichte ist in den vergangenen Jahren oft vorgeworfen worden, dass sie, obwohl sie eine sogenannte objektive Chronik zu verfassen vorgaben, hinterher beim Schreiben, vielleicht nur in einem Nebensatz, doch erkennen ließen, dass sie innerlich mit den Leidenden litten und mit den Trauernden trauerten.
Sei’s drum.
Dem Heidelberger Professor Dr. Alexander Mitscherlich, dem gegenüber ich mich für wertvolle Anregungen und Hilfen zu Dank verpflichtet fühle, ging es schließlich ebenso, als er nach dem Kriege eine Material-Sammlung zum Thema Medizinverbrechen in der NS-Zeit herausbrachte, deren hervorstechendes Merkmal war, dass so gut wie ausschließlich die Zeugnisse jener Zeit selbst abgedruckt wurden. Kaum ein Wort mehr. Aber dem Wissenschaftler Mitscherlich, der bescheiden hinter der reinen Dokumentation zurücktrat, wurde diese Zurückhaltung, die der objektiven Klärung des Vergangenen dienen sollte, nicht gelohnt. Am wenigsten von seinen ärztlichen Berufskollegen. Klagte Mitscherlich: „Die Anschuldigungen gegen uns (an der Dokumentation arbeitete Mitscherlichs Assistent mit, der inzwischen verstorbene Dr. Fred Mielke) nehmen schließlich ein solches Ausmaß an, dass man in der Folge manchmal glauben konnte, wir hätten das alles … erfunden.“
Nichts war erfunden. Ebensowenig, wie in dem vorliegenden Buch Vorgänge als Tatsachen hingestellt werden, die eigentlich keine sind. Aber offenbar fühlte sich durch das Buch Mitscherlichs (in dem das Thema Euthanasie – im Gegensatz zu meinem „Kreuzelschreiben“ – nur einen Teil des dargestellten weiten Bereiches medizinischer Delikte ausmachte) ein Stand getroffen, die Ärzteschaft nämlich, der sich gar nicht getroffen zu fühlen brauchte.
Etwa 350 Ärzte – sämtlich Einzelverantwortliche – haben in der Hitlerzeit Medizinverbrechen begangen oder sich dem Verdacht ausgesetzt, an Verbrechen beteiligt zu sein. Die Durchführung der sogenannten Euthanasie-Aktion gar bewerkstelligte eine halbe Hundertschaft von Medizinern. Das sind zwar mehr Akteure, als in diesem Buch namentlich genannt werden, aber doch so wenige, dass die Tausende von Ärzten der damaligen Zeit, deren Kittel weiß blieb, für jeden Versuch, die Geschichte der einwandfrei rechtswiderigen NS-Euthanasie zu fixieren, dankbar sein müssten, weil dadurch der Kreis der Verdächtigen nach außen begrenzt und das Vertrauen zwischen Patient und Arzt, das durch die Korrumpierung relativ weniger Standesgenossen empfindlich in Frage gestellt wurde, sicherlich wieder gestärkt wird.
Als ich mich im vergangenen Jahr um die Wahrheit über den Fall Rothenburgsort mühte, dankten mir viele Ärzte und besonders Medizinstudenden. Aber zugleich fand es ein offiziöses Ärztegremium für richtig, öffentlich festzustellen, dass die Verbrechen der Kinder-Einschläferer von Rothenburgsort „unter den damaligen Umständen keine besonders schweren sittlichen Verfehlungen darstellten“. Und gleichzeitig wurde ich in (meist anonymen) Briefen und Telefonaten geschmäht und angefeindet.
Sei’s auch drum.
Das Büchlein „Die Kreuzelschreiber“ wäre, wenn es eine ähnliche Aufnahme finden sollte wie die erwähnten Zeitungsartikel, ein weiterer schmerzlicher Beweis dafür, dass die NS-Euthanasie ein aktuelles Thema und damit mehr ein Stück unbewältigter Gegenwart als ein Stück der vielzitierten unbewältigten Vergangenheit ist.
Hamburg, im September 1961 Bert Honolka
Rütten & Loening Verlag GmbH, Hamburg 1961
das aktuelle thema, Band 12
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