25 Oktober 2021

Christa Wolf: Sommerstück

„Das ist es“, fühlen beide, Ellen und Jan, als sie in einem mecklenburgischen Dorf ein Haus besichtigen.

Schon lange, schon vor dem letzten, wüsten Winter in der Stadt hatten sie empfunden, daß sie anders leben müssten als bisher. Unter der intensiven Sonne des Sommers, den man später den „Jahrhundertsommer“ nennen wird, lassen sich Ellen und Jan, und mit ihnen nachziehende und durchziehende Freunde, in einen Lebenstaumel reißen: Bei griechischer Musik sitzen sie bis in die Nächte unter dem hohen Himmel zusammen, reden über Gedichte und Baustoffe, essen, trinken, erzählen sich Träume. Überschwenglich und fassungslos wie die Zeichen der von der Hitze beherrschten Natur sind ihre Gefühle – Hoffnungen und Wünsche werden offenbar und Ängste, Zweifel, Beschädigungen.

Das andere Leben, das zwanglose, geborgene Zusammensein, wird begonnen und ein Vorrat an Gemeinsamkeit angelegt, um vergangenes und bevorstehendes Alleinsein, alte und künftige Kränkungen ertragen zu können.

Sie proben ein „Sommerstück“ vom Landleben, in dem die Worte „Rückzug“ und „Inselleben“ herumgeistern und an das sie sich dennoch sehnsüchtig erinnern werden: „Damals haben wir gelebt.“

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1989

 

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