Wenn in eine italienische Landstadt, die sich langweilt, eine Operntruppe einzieht; wenn nun alle Herzen aufwallen, Liebe, Ehrgeiz, Klassenhaß und Verehrung der Größe, alles sich auf einmal über den Platz und die Gassen ergießt; wenn die aus Musik geborenen Leidenschaften bis zum Bürgerkrieg fortwirken, bis zu Katastrophen der Führer und des Volkes, und weiter zur Versöhnung, zu einem großen Freudenfest; mit stürmischem Impressionismus auf die Beine gestellt und durcheinandergewirbelt, vermöchte alles dies, dieses Brausen der Massenpsyche in einem engen Gefäß, den Zuschauer wohl zu fesseln, auch wenn es weiter nichts bedeutete.
Die Kenner der „Herzogin von Assy“ und des „Professor Unrat“ werden dennoch in einem Roman von Heinrich Mann nach geistigen Absichten suchen. Sie werden bemerken, daß den Bewohnern dieser Stadt von der Eitelkeit bis zur Ränkesucht keine der Schwächen fehlt, die man menschlich nennt, und daß gleichwohl etwas von jener Milde, jener Hilfsbereitschaft, jener Brüderlichkeit aus ihnen herausdrängt, die auch wieder Menschlichkeit heißen.
Ihr großer Mann ist gewiß nur ein kleinstädtischer Advokat, Kirchturmpolitiker, Topfgucker und Wichtigtuer, und doch macht die ehrliche Liebe zu seiner Stadt, daß er eine tragische Stunde erlebt und für Augenblicke um die kahle Stirn einen heroischen Schein trägt.
Welch armes Liebespaar, dieser wandernde Tenor, dieses Landfräulein! Aber haben gefahrvollere Gefühle in der Brust romantischer Fürstenkinder geschlagen? Haben sie schrecklicher und süßer geendet?
Diese kleine Stadt steht für eine große, sie steht für eine durch Liebe geadelte Menschheit. Unrecht erhält hier, wer sich besser glaubt als die Gesamtheit, sich ihr allein und stolz gegenüber sieht. Das Talent, der Geist selbst geben hier kein Recht auf einsame Größe, sie verpflichten zu dienen. Die egoistische Persönlichkeit wird bestraft in einer bösen kleinen Sängerin; in einem herrschsüchtigen Priester dankt sie ab; der Geist findet zurück zum Menschentum. Das Genie gehört dem Volk, es kommt aus ihm, nährt sich von ihm, es ist eins mit seiner Wärme, seiner Liebe.
Man höre hin: was hier klingt, es ist das Hohelied der Demokratie. Es ist da, um zu wirken in einem Deutschland, das ihr endlich zustrebt.
Dieser Roman, so weitab er zu spielen scheint, ist im höchsten Sinn aktuell.
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1971
buchclub 65, 1971
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