14 Oktober 2021

Sigrid Grabner: Hochzeit in der Engelsburg – Frauen in der italienischen Geschichte

Bei Studien in italienischen Archiven, Klöstern und Bibliotheken stieß Sigrid Grabner in Ferrara auf ein Buch aus dem Jahr 1497 über 183 „Ausgewählte und berühmte Frauen“, eine Anregung mehr, sich mit dem Thema Frauen in der Geschichte zu befassen. Das Mittelalter und die Renaissance sind reich an politisch handelnden, künstlerisch tätigen und gelehrten Frauen. Sie spielten eine weit größere Rolle, als ihnen männliche Historiographen zubilligen. War die römische Senatorin Marozia, die ein erneuertes italienisches Königtum anstrebte, wirklich ein „verworfenes Weib“, wie Bischof Liutprand behauptete? Die Markgräfin Matilde von Tuscien nur eine berechnende papistische Fürstin, wie in Geschichtsbüchern steht – wenn sie überhaupt von ihr Notiz nehmen? Caterina Sforza, Cesare Borgias Kontrahentin, ein blutgieriges Mannweib?

Die Autorin entschied sich für acht Frauen. Es sind Geschichten um jeweils eine Situation aus ihrem Leben, in denen sie sich über die Schranken ihrer Umwelt und ihrer eigenen Gewohnheiten hinwegsetzen. Sie begehren auf, kämpfen, werden schuldig, wachsen über sich hinaus. Das zarte Mädchen aus Siena ermutigt nicht nur einen Papst, sondern auch die Nachwelt zu furchtlosem Handeln. Noch in der Todesstunde überwindet die Dichterin Vittoria Colonna ihre Schwäche und führt Michelangelo aus seiner Verzweiflung zu neuer Schaffensfreude. Die Gelehrte Olympia Morata, die auf der Flucht vor der Inquisition in Deutschland Zuflucht findet, ahnt hinter Enttäuschungen und Niederlagen eine neue Zeit mit einer freieren Lebensauffassung, die nicht mehr überschattet wird von den politischen Auseinandersetzungen zwischen Päpsten und weltlichen Herrschern, den widerstreitenden Machtinteressen der Adelsfamilien, von Intoleranz und Ketzerverfolgungen.

Die Frauen in Sigrid Grabners einfühlsamen Erzählungen versuchen sich gegen die herkömmlichen Institutionen der Macht durchzusetzen, sie gewinnen dabei zunehmend an Eigenständigkeit, Charakter und in vielen Fällen an Größe. Ihre Aktionen künden von dem Mut ihres Geschlechts, von Willensstärke und geistiger Konsequenz. Ihre Kühnheit gebärdet sich nicht heldisch, sie erwacht aus tiefer Not – dem Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. So sprechen sie noch heute zu uns, werden zu interessanten, die Geschichte mit prägenden Gestalten.

Buchverlag der Morgen 1988

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.