21 März 2022

Karl von Holtei: Ein Mord in Riga – Erzählung

Karl von Holtei läßt den Pristaff Schloß schnell den Schuldigen finden. Denn für den Mord an dem reichen Teehändler Muschkin kommt eigentlich nur einer in Frage, und das ist Iwan, Muschkins Diener. Er ist plötzlich verschwunden und mit ihm die Geldkassette des Ermordeten. Zurückgeblieben am Tatort ist ein kleines Beil, mit dem das furchtbare Verbrechen verübt wurde und das Iwan gehört. Der hübsche blauäugige Junge hat auch als einziger ein Motiv. Er braucht Geld, um sich aus russischer Leibeigenschaft freizukaufen. Der Pristaff spürt den Entflohenen im nahegelegten Wald auf, und durch Prügel und Dursttorturen mürbe gemacht, gesteht Iwan schließlich die Tat. Doch da taucht ein zweiter Verdächtiger auf und führt den Pristaff auf eine ganz neue Spur, die am Ende vielleicht Iwan die erste Geißelung erspart und den Pristaff davor bewahrt, an einem Unschuldigen schuldig zu werden.

Angesiedelt ist die Erzählung, die 1855 erschien und als eine der ersten deutschen Kriminalgeschichten gilt, in Riga, wo Holtei von 1837 bis 1839 Theaterdirektor war. Er liebte diese Stadt mit den krummen finsteren Gassen, den freundlichen und aufgeschlossenen Bewohnern. Alle Vorzüge ihrer liebenswürdigen Mentalität und ungezwungenen Lebensweise besitzen Herr und Madame Singwald in gleichem Maße wie ihre langhaarige und wohlgenährte Köchin Lieschen, die dem etwas „windbeuteligen“ Diener Simeon sehr zugetan ist, die „mamsellenhaftige“ Kammerjungfer Dorchen, die dem Pristaff einen wichtigen Hinweis geben kann, und schließlich der alte Kutscher Isaak, durch dessen Vermittlung Iwan die Stelle bei Muschkin bekam. Die Gespräche in der Küche und die Abendunterhaltungen im Salon der Singwalds skizzieren den historischen Hintergrund der Stadt, die seit 1716 zum zaristischen Rußland gehörte, aber ihre ehemalige Verfassung beibehielt. Da ist das Problem der Leibeigenschaft, die in Riga bereits aufgehoben war, in Rußland aber bis 1861 fortbestand, oder die Verfolgung der Raskolniks, denen Iwans Vater angehörte, und vor allem die Behandlung und Aburteilung der Gefangenen. Die Todesstrafe war zwar abgeschafft worden, aber Iwans Mutter ahnt, daß Geißelung, Brandmarkung und Deportation nur einen langsameren und damit qualvolleren Tod bedeuten können. Und so geht sie den beschwerlichen Weg von Narwa über Reval nach Riga, um beim Generalgouverneur für Iwans Unschuld zu zeugen und zu verhindern, daß sie ihrem einzigen Sohn „sein zartes weißes Fleisch in langen blutigen Streifen vom Rücken hauen“.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1983
bb 511

 

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