12 Juni 2022

Antigone lebt - neugriechische Erzählungen

"Nicht mitzuhassen, mitzuleben bin ich da."

Antigone, die Hauptgestalt aus Sophokles' gleichnamigem Schauspiel, spricht diese Worte. Sie hat sich dem König widersetzt und gegen seinen Befehl den Leichnam des Bruders bestattet. Des Königs Haß trifft nun auch sie: in eine Felsenkammer eingemauert nimmt sie sich das Leben. Seit Sophokles vor mehr als 2000 Jahren diese Gestalt der griechischen Mythologie zu einem Sinnbild opferbereiter Liebe und Auflehnung gegen menschliche Willkür erhoben hat, haben viele Dichter Antigones Schicksal neu interpretiert. Immer wieder ist ihr Tod besungen worden.

Aber Antigone lebt! Heute noch stellt sie dem Haß die Liebe entgegen und überwindet ihn selber im Augenblick der Niederlage. Der Schriftsteller Ilias Wenesis erzählt von jener jungen Frau aus Theben, die während des zweiten Weltkrieges, in den schwersten Jahren der Besetzung, ihren hingerichteten Bruder vom Galgen schnitt und entgegen dem ausdrücklichen Verbot beerdigte.

Antigone lebt!

Wesen und Vorstellungswelt des griechischen Volkes offenbaren sich in den Erzählungen dieses Bandes. So träumt, lacht, klagt und hofft es, so lebt, stirbt und erneuert es sich. Es ist immer zur Stelle, wohin das Leben es ruft, ist immer bereit, das Recht zu verteidigen, weil es selbst das Recht sehr entbehrt, es greift zum Gewehr, das Volk, das doch so überaus friedliebend ist, nicht um die anderen zu versklaven, sondern um sich selbst von der Sklaverei zu befreien.

Griechenland ist von vielen Kriegen und heftigen sozialen Kämpfen erschüttert worden. Selten waren den griechischen Schriftstellern die Voraussetzungen gegeben, große umfassende Werke zu gestalten. Die Zeit hat ihnen schnelle Reaktionen abverlangt. Die Erzählung, die die Wirklichkeit in prägnanten Ausschnitten wiedergibt, wurde zur repräsentativen Form der neugriechischen Literatur. Zu den Autoren der vorliegenden Anthologie gehören die bedeutendsten Schriftsteller Griechenlands; viele von ihnen sind den großen Erzählern der Weltliteratur ebenbürtig.

Verlag Volk und Welt Berlin, 2. Aufl. 1961
Schutzumschlag: Werner Klemke

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.