Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1969
Bücher und Schriftsteller, die in der DDR gelesen wurden. Schaut bitte nicht nur danach, ob hier jeden Tag Beiträge auflaufen, nutzt diesen Blog auch wie ein Lexikon. Er ist ein Langzeitprojekt, da ist es sicherlich verständlich, wenn zwischendurch immer mal wieder pausiert wird. Sei es, um nicht die Lust daran zu verlieren, aber auch, weil die Beiträge auch regelmäßig vorbereitet werden müssen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Stöbern und Erinnern oder neu entdecken.
02 Dezember 2022
Manfred Hahn (HG.): Frank Wedekind - Prosa
... Seine Vitalität war das Schönste an ihm. Ob er einen Saal, in dem Hunderte von Studenten lärmten, ob er ein Zimmer, eine Bühne betrat, in seiner eigentümlichen Haltung, den scharfgeschnittenen, ehernen Schädel etwas geduckt vorstreckend, ein wenig schwerfällig und beklemmend: es wurde still. Obwohl er nicht sonderlich gut spielte - er vergaß sogar das von ihm selbst vorgeschriebene Hinken immer wieder und hatte den Text nicht im Kopf -, stellte er als Marquis von Keith manche Berufsschauspieler in den Schatten. Er füllte alle Winkel mit sich aus. Er stand da, häßlich, brutal, gefährlich, mit kurzgeschorenen roten Haaren, die Hände in den Hosentaschen und man fühlte: den bringt kein Teufel weg. Er trat im Frack als Zirkusdirektor vor den Vorhang, Hetzpeitsche und Revolver in den Fäusten, und niemand vergaß je wieder diese metallene, harte trockene Stimme, dieses eherne Faunsgesicht mit den "schwermütigen Eulenaugen" in den starren Zügen. Er sang vor einigen Wochen in der Bonbonniere zur Gitarre seine Lieder mit spröder Stimme, etwas monoton und sehr ungeschult: Nie hat mich ein Sänger so begeistert und erschüttert. Es war die enorme Lebendigkeit dieses Menschen, die Energie, die ihn befähigte, von Gelächter und Hohn überschüttet, sein ehernes Hoheslied auf die Menschlichkeit zu schaffen, die ihm auch diesen persönlichen Zauber verlieh... Sein größtes Werk war seine Persönlichkeit. - Bert Brecht (1918)
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