28 April 2023

Gerhart Hauptmann: Der Schuß im Park - Erzählungen

Gerhart Hauptmann galt in seinem langen Dichterleben als der erfolgreiche Dramatiker. Und auch heute noch, lange nach seinem Tod, sind viele der Schauspiele, Tragödien und Komödien unvermindert bühnenwirksam. Daß er von Anfang an ebenfalls Meister in der Erzählkunst war, bewies der Sechsundzwanzigjährige mit den Frühwerken "Fasching" und "Bahnwärter Thiel", beide in der märkischen Landschaft um Hauptmanns damaligen Wohnort Erkner angesiedelt. Dem jungen, geselligen Segelmacher Kielblock, einem so sympathischen Ausbund an Lebensfreude, der in Faschingslaune ein bißchen den toten Mann spielt, scheint es undenkbar, daß ein Jux Vorgriff auf die Wirklichkeit sein kann. Gleichsam blind saust er in Vollkraft seines Lebens einem schrecklichen Ende zu.

Ganz anders ist der brave Sonderling Thiel veranlagt. Sein dumpfer Sinn kann sich nicht bewußt machen, in welchem Zwiespalt er lebt. Thiel ist der neuen, zweiten Frau sexuell hörig und haßt sie doch als die lieblose Stiefmutter seines Söhnchens. Auch hier strebt alles, diesmal mit bedächtiger Unerbittlichkeit, zur Katastrophe.

Eine völlig traumhafte, scheinbar friedvoll harmonische Lösung findet der junge Priester Francesco, der 'Ketzer von Soana', im Kampf seiner natürlichen Leidenschaft gegen die christliche Entsagungspflicht, gegen Sitte und Gesetz. Die rauschhafte Liebe zu dem ausgestoßenen Hirtenmädchen Agata, das aus einer "blutschänderischen" Verbindung hervorgegangen ist, wird ihm zur Befreiung: Nun selbst aus Kirche und Dorfgemeinschaft verbannt, baut er sich und seinem Weib eine weltferne Bergidylle, "auf Gnade und Ungnade ausgeliefert" dem Walten der erhabenen Natur.

Auch Lorenz Lubota bricht aus: von seinen Wünschen getrieben, jagt er einem 'Phantom' von Liebe, Glück und Reichtum nach. Wie er dabei an die Grenze der Bewußtseinsspaltung getrieben wird, wie er in das Halbwelt- und Ganovenmilieu einer großen Stadt hinabsinkt und gar an einem Raubmord mitschuldig wird, das bringt er selbst nach vielen Jahren zu Papier, um endlich mit dem "Dummkopf, Narren und Verbrecher" in sich fertig zu werden.

"Der Schuß im Park" schließlich ist fast eine Abenteuergeschichte. Baron Degenhardt, ein hochangesehener adliger Großgrundbesitzer, vermag lange seine Doppelexistenz zu verschleiern. Erst jener verhängnisvolle Schuß zwingt ihn, zu verschwinden und ein neues, drittes Leben zu beginnen. Der sechsundsiebzigjährige Gerhart Hauptmann hat hier in der Spannung zwischen Altersnostalgie und rüstiger Lebenszugewandtheit eigene Sehnsüchte eingebracht: Noch der Phantasie des Greises wurde es "zu eng im Schloß", sie wünschte sich "ins Weite".

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1987
Ausgewählt von Paul-Gerhard Wenzlaff
bb

 

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