31 Mai 2023

Sonnfried Streicher: 90 Tage im Korallenmeer - Stationen einer meeresbiologischen Expedition

Der Autor, Direktor des Meeresmuseums Stralsund, leitete eine fünfmonatige Fang- und Sammelreise in das Rote Meer. Es ging darum, umfangreiches Tiermaterial aus den Korallenriffen für den weiteren Aufbau der Museumsausstellungen und für die wissenschaftliche Auswertung zu sammeln.
Sonnfried Streicher berichtet in seinem Buch von seinen Reiseeindrücken und Taucherlebnissen. Er schildert die Arbeit und die Freizeitgestaltung an Bord, die Atmosphäre in fremden Häfen und Ländern, die Arbeit der Expeditionsgruppe und das bunte, vielgestaltige Leben im Korallenriff.
Im Mittelpunkt steht die Arbeit im Korallenmeer. „Ein Korallenriff kann man eigentlich nicht beschreiben“, zitiert der Autor den Forscher Ernst Haeckel. Und er macht kein Hehl daraus, daß alle Teilnehmer von der Schönheit und Vielfalt des Lebens im Korallenmeer so beeindruckt waren, daß sie anfangs sogar vergaßen, auf Gefahren zu achten.

Buchanfang
Eine Idee wird geboren

Wir stehen beieinander und schauen auf die bunte Welt des Korallenmeeres. Vor uns ziehen farbenprächtige Fische ihre Bahn. Da ist eine beeindruckende Vielfalt von Formen, Farben und Verhaltensweisen. Direkt vor uns tummeln sich zwischen den Fangarmen einer Riffanemone Clownfische, unbeeindruckt von unserer Nähe, zwei Kugelfische streiten sich um einen Futterbrocken, und auch den Rotfeuerfisch bringen scheuchende Handbewegungen nicht aus der Ruhe. Dagegen zieht sich der Schwarm Preußenfische erschreckt in das schützende Korallengeäst zurück, der Igelfisch pumpt sich voll Wasser, so daß er nunmehr als stachlige Kugel durch die Strömung treibt. Aus ihren Verstecken scheinen die leuchtend roten Juwelenbarsche fluchtbereit unsere Bewegungen zu verfolgen, während die Muräne in ihrer Höhle fast gelangweilt gähnt. Über den korallenweißen Boden ziehen mit wippenden Bewegungen skurril gezeichnete Lippfische dahin, kuscheln sich manchmal regelrecht in den Sand. Da stochern Wimpelfische mit ihren spitzen Schnauzen in den Spalten der Korallen herum, dort jagt der Kuhkopffisch den grellbunten Kaiserfisch aus seinem Revier. Um uns sind Leben, Bewegung und Farbe in fast unbeschreiblicher Schönheit, und doch ist das nur ein Bruchteil der Wirklichkeit. Denn zwischen uns und diesen Juwelen des Meeres befindet sich Glas – das dicke Glas der Aquarienbecken.

Wir haben Ende November. Gerhard, Karl-Heinz, Horst und ich begrüßen wieder einmal Jürgen, den Kapitän unseres Patenschiffes »Edgar André«, im Meeresmuseum Stralsund und zeigen ihm seine ehemaligen Schützlinge, wie sie sich gesund und munter in den vielen Becken des Schauaquariums tummeln.
Erst vor wenigen Tagen war ein Telegramm eingetroffen: »haben ca. 130 seebader drücker picassos schmetterlinge muränen zackenbarsche und andere korallenfische aus dem roten meer an bord + treffen sonntag ein + sofortige Abholung erforderlich + gruß kapitän«
Bereits zu Beginn der Rückreise hatte uns die Besatzung telegrafisch die guten Fangergebnisse mitgeteilt. Seitdem informierten wir uns ständig über die Schiffspositionen der »Edgar André«. Darum war in unserem Aquarium rechtzeitig alles auf den Empfang der Tiere eingestellt: die Transportbehälter standen bereit, die Sauerstoffflaschen waren gefüllt, in den Quarantänebecken zirkulierte seit Tagen frisches Seewasser, und die Medizin zur prophylaktischen Behandlung von Krankheiten war neu angesetzt worden.
Als wir an Bord der »Edgar André« kamen, war es wie immer. In der Kammer des Kapitäns herrschte Hochbetrieb, denn kaum war nach dem Anlegemanöver das Schiff zum Betreten freigegeben worden, strömten die Besucher über das Fallreep an Bord, viele von ihnen zum Kapitän. Und mitten in diesem Trubel wir mit unseren Plastefässern, Piathermkartons und Sauerstoffflaschen. Es blieb gerade so viel Zeit, daß wir den Kapitän herzlich willkommen heißen und fragen konnten: »Was habt ihr gefangen? Woher sind die Tiere? Wurden sie schon mit Medikamenten behandelt? Welche Tiere vertragen sich nicht miteinander? Nehmen sie alle Futter an? Was habt ihr gefüttert? In welchen Kammern stehen diesmal die Becken?«
Die Übernahme der Korallenfische ging schnell und ohne Komplikationen vonstatten. Es war eine phantastische Tiersendung. Diesmal wirkte das große Aquarium in der Offiziersmesse wie ein Stück lebendes Riff. ...


Hinstorff Verlag Rostock

1. Auflage 1980
2. Auflage 1982
3. Auflage 1984
4. Auflage 1989

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