27 Mai 2023

Stefan Heym: Der König David Bericht

Stefan Heym (geb. 1913). „Der König David Bericht“ (zuerst 1973) ist ein Buch über die Schwierigkeit, die historische Wahrheit zu finden und sie dann auch auszusprechen. Der Gelehrte Ethan erhält von Salomo den Auftrag, die „positive“ Geschichte des biblischen Königs David zu formulieren. Ethan kann sich dem nicht entziehen: „Mit einigem Glück und mit der Hilfe unseres Herrn Jahweh mochte es mir sogar gelingen, ein Wörtchen hier und eine Zeile dort in den König-David-Bericht einzufügen, aus denen spätere Generationen ersehen würden, was wirklich in diesen Jahren geschah und welch ein Mensch David, Jesses Sohn, gewesen: der zu ein und derselben Zeit einem König und des Königs Sohn und des Königs Tochter als Hure diente, der als Söldling gegen sein eignes Volk focht, der den eignen Sohn töten und seine treuesten Diener umbringen ließ, ihren Tod aber laut beweinte, und der einen Haufen elender Bauern und widerspenstiger Nomaden zu einer Nation zusammenschweißte.“ Ethan überschreitet die Grenzen des Erlaubten, als er beginnt, diese Wahrheit aufzuschreiben. Seine Strafe: Das „Totgeschwiegenwerden“.


Buchanfang
Gepriesen sei der Name des Herrn, unsres Gottes, der dem einen Weisheit verleiht, dem andern Reichtum, dem dritten aber soldatische Tugenden.
Ich, Ethan, der Sohn des Hoshaja, aus der Stadt Esrah, ward heute zu König Salomo bestellt. Die königlichen Schreiber Elihoreph und Ahija, die Söhne Shishas, führten mich in seine Gegenwart; und ich fand allda den Kanzler Josaphat ben Ahilud, den Priester Zadok, den Propheten Nathan und Benaja ben Jehojada, der über das Heer gebietet.
Und ich warf mich dem König zu Füßen, und er befahl mir, mich zu erheben. So geschah es, daß ich den König Salomo sah wie ein Mensch den andern, von Angesicht zu Angesicht; und ob er gleich auf seinem Thron saß zwischen den Cherubim, erschien er mir von geringerer Statur, als ich ihm zugemessen, kleiner noch als sein verstorbener Vater, König David; seine Haut aber war von gelblicher Farbe. Und der König musterte mich mit stechendem Blick und sprach: „Du also bist Ethan ben Hoshaja, aus der Stadt Esrah?“
„Der bin ich, Herr König. Und Euer Diener.“ Ich höre, es heißt von Dan an bis gen Beer-sheba, du seiest einer der Weisesten in Israel?“
Ich aber erwiderte ihm: „Wer kann von sich sagen, er sei weiser als der Weiseste der Könige, Salomo?“
Worauf er die feingeschnittenen Lippen verdrossen schürzte und sprach: „Ich will dir den Traum erzählen, Ethan, den ich neulich nachts träumte, nachdem ich Opfer dargebracht und Weihrauch verbrannt auf der Höhe zu Gibeon.“ Und sich dem Kanzler Josaphat ben Ahilud zuwendend und den Schreibern Elihoreph und Ahija, den Söhnen Shishas: „Merkt euch den Traum, denn er wird in die Annalen aufgenommen.“
Da zogen die Brüder Elihoreph und Ahija Griffel und Wachstäfelchen aus ihren Gewändern und harrten der königlichen Worte, zwecks Niederschrift. Dies aber ist der Traum des Königs Salomo. „Zu Gibeon des Nachts erschien mir Gott, und Jahweh sprach: Bitte, was ich dir geben soll. Und ich sprach: Du hast an meinem Vater David, deinem ...


Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig
Reclams Universal-Bibliothek, Band 1320
Belletristik

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