Buchanfang:
Weit im Norden, in den Wäldern hinter dem Meer, gab es vor
langer, aber noch denkbarer Zeit zwei Gehöfte. Groß und stattlich war das eine.
Scheunen und Stallungen umstanden das Wohnhaus. Es war rot mit Kupferfarbe
gestrichen, trug weiße Fensterrahmen und am wohlgefügten Schindeldach
ebensolche Windbretter. Kühe grasten auf den umliegenden Weiden, und im Stall
grunzten dickleibige Schweine. Freude war nicht in diesem Haus.
Das andere Gehöft war armselig. Über einer windschiefen
Hütte hing das Dach aus Sumpfgras und Schilf wie ein Gänseflügel in der Mauser.
Ein schwärzlicher Schuppen stand ihr im Schatten zweier Kiefern zur Seite.
Darin trocknete ein Fischernetz. Auch hier war Freude fremd.
Beide Gehöfte trennte ein großer, sehr tiefer See. Ihn
deckte im Winter starkes Eis, Sturm trieb den Schnee darüber. Im Frühling
spiegelten sich in seinen Wassern wilde Gänse und Kraniche, die eiliger noch
als die hellen Wolken nach Norden zogen. In den Sommernächten lag der See
tintenblau und ohne Wellenschlag zwischen den stummen, weiten Wäldern. Dann
flog an den Ufern der große graue Nebelkauz lautlos wie eine Feder im Wind.
Seine goldenen Augen überblickten den See und die Ufer, die Wälder und jene
beiden Gehöfte. Er sah an der ärmlichen Hütte einen jungen Fischer, der Claas
Claasson hieß, und jene Menschen auch, die in dem reichen Haus lebten. Es waren
dies der Bauer Lubbe und seine Tochter Kristina, die steinalte Magd Birgitta
sowie die beiden Knechte Ake und Björn. Nicht mehr im Hause lebte Kristinas
Mutter. Sie blieb verschwunden ohne Spur. Lediglich ihre Schuhe wurden am Ufer
gefunden.
Vom See aber hatten Stimmen geklungen, wie ein
Teufelsgelächter, schrill und hoch. Es waren die Stimmen der Späher. Sie hatten
Vogelgestalt. Fliegen konnten sie und besser noch schwimmen und tauchen. Weit
glitten sie unter Wasser dahin, tauchten hier auf und dort, spähten aus
kaltroten Augen und gaben mit ihrem Schrei Kunde von allem, was rings um den
See an den Ufern geschah. Diese Späher waren die Diener des Wassergeistes.
Die wenigen Menschen, die in dem großen Gehöft lebten,
fürchteten sich vor ihren Schreien. Niemand wagte seither, von Kristinas Mutter
zu sprechen, denn es war sicher, daß sie dem Wassergeist verfallen war. Und sie
wußten es alle, daß Kristinas Mutter schön gewesen und eitel dazu und versessen
auf Gold und auf Edelsteine.
Der Kinderbuchverlag, Berlin
1. Auflage 1989
Für Leser von 10 Jahren an
Illustrationen von Norbert Pohl
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