20 September 2023

Joseph Ruederer: Linnies Beichtvater - Tragikomische Erzählungen

Joseph Ruederer gehörte zu der 1892 gegründeten Künstlervereinigung, die scherzhaft "Nebenregierung" genannt wurde. Die illustre Gesellschaft, die gegen den herrschenden Kulturbetrieb opponierte und zu der auch Max Halbe, Frank Wedekind und der Maler Lovis Corinth zählen, traf sich regelmäßig im Café "Minerva" in München. Damals war Ruederer, der später zu Unrecht in Vergessenheit geriet, ein ebenso gefeierter wie geschmähter Autor. Häufig wurde die Aufführung seiner Theaterstücke verboten, obwohl sich bedeutende Künstler für ihn einsetzten. Gegen Widerstände inszenierte 1904 Max Reinhardt mit großem Erfolg im Theater am Schiffbauerdamm die Komödie "Die Morgenröte". Thomas Mann schätzte den Schriftsteller und verpaßte keine seiner Premieren. Alfred Kerr schrieb glänzende Kritiken und lobte ihn als "den besonderen, humorhaften deutschen Entlarver gebirglicher Biederkeit; den gesunden Menschenverächter ohne Haß, zu dem man ein ganzes, menschliches Zutrauen faßt".

In seinen mitunter boshaften Geschichten bedient sich Ruederer grotesk-satirischer Mittel und bringt damit die unheldischen Helden in tragikomische Situationen. Genaue Menschenbeobachtung liegt den rigorosen Charakterstudien seiner Erzählungen zugrunde. Mit Sympathie sind die Figuren in ihrem oft verzweifelten Ringen um Würde und ein bißchen Glück gezeichnet: Blindwütig um sich schlagend, versucht sich der Totengräber seine Sehnsucht nach einem sinnvollen Dasein und nach Anerkennung in der Dorfgemeinschaft zu erfüllen; trickreich und gewitzt bemüht sich das lebenslustige Münchener Mädel Linni, das weder ohne Beichtvater noch ohne Liebhaber leben kann, um den Ausgleich zwischen Seelenfrieden und Sinnenglück; wohldurchdacht, aber vergeblich sind die Anstrengungen des neureichen Wurstfabrikanten Schefbeck, Einzug in die "bessere Gesellschaft" zu halten...

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar

1. Auflage 1988

Ausgewählt von Sabine Horsch
bb-Reihe Nr. 615

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