01 Februar 2024

Henry Masers de Latude: Fünfunddreißig Jahre im Kerker

Klappentext:
Als im Sommer 1789 das Volk von Paris die Staatsgefängnisse gestürmt hatte, kam das ganze Ausmaß der Verbrechen ans Licht, die das absolutistische Regime in Frankreich begangen hatte. Held des Tages wurde der neben dem legendären ›Mann mit der eisernen Maske‹ wohl berühmteste Gefangene: Henry Masers de Latude (1725-1805). Er, der nach fünfunddreißig Jahren Kerker 1783 entlassen war, konnte jetzt, ohne Angst vor weiteren Verfolgungen, sein Schweigen brechen und seine Leidensgeschichte niederschreiben. 1790 erschienen diese Memoiren und waren über Jahre von einem beispiellosen Erfolg begleitet, wurden in mehrere Sprachen übersetzt und gaben Anlaß zu einer Flut von Veröffentlichungen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Eine Zeitung forderte sogar, das Buch solle künftig dazu dienen, die Kinder lesen zu lehren.
Wahrlich legendenhaft mutet das an, was hier zu lesen ist. Es entrollt sich das Martyrium eines Mannes, der im Alter von dreiundzwanzig Jahren auf Grund einer Bagatelle unschuldig und ohne jede Verurteilung in die Bastille verschleppt und nach mehreren Fluchtversuchen in die unterirdischen Verliese dieser Zwingburg vergraben wurde, aber auch dort nicht gebrochen werden konnte; seine mit einer Fischgräte und Blut auf Tafeln aus Brotkrumen geschriebenen politischen und sozialen Reformvorschläge beweisen das. Erst als fast Sechzigjähriger erlangte Latude durch den heldenhaften Opfermut einer einfachen Bürgersfrau, der Madame Legros, seine Freiheit wieder. ›In diesem Latude‹, schrieb der französische Historiker Jules Michelet (1798-1874), ›hatte die alte, schwachköpfige Tyrannei ihren leibhaftigen Ankläger eingekerkert, einen feurigen, schrecklichen Menschen, den nichts zähmen konnte, dessen Stimme die Mauern erschütterte, dessen Geist und Kühnheit unüberwindlich waren. Er besaß einen eisenstarken, unverwüstlichen Körper, an dem alle Gefängnisse zuschanden wurden, die Bastille, Vincennes, Charenton, zuletzt die Schrecken von Bicêtre, in denen jeder andere umgekommen wäre.‹
Die hier vorliegende neue Ausgabe ist mit zahlreichen zeitgenössischen Illustrationen über das Gefängniswesen im Frankreich des 18. Jahrhunderts ausgestattet. Der aus der ersten Auflage übernommene Kommentar von Adele Ahues geht der Rezeptionsgeschichte der Memoiren nach und polemisiert unter Berufung auf umfangreiche Quellen gegen noch in unserem Jahrhundert geäußerte Meinungen bürgerlicher Historiker, die die Glaubwürdigkeit Latudes anzweifelten.

VORWORT
Im Jahre 1787 hat man eine angebliche Geschichte des Herrn de Latude veröffentlicht unter dem Titel ›Ge- schichte einer Einkerkerung von 39 Jahren in den Staatsgefängnissen, von dem Gefangenen selber geschrieben‹. Herr de Latude kennt den Verfasser der kleinen Broschüre und hätte ihm viel zu sagen: einstweilen aber wendet er sich an das Publikum mit der Erklärung, daß er diese angeblich von ihm geschriebene Geschichte nicht anerkennt, die, wie man schon an dem Titel sieht, der fälschlich eine Gefangenschaft von 39 Jahren angibt, nicht immer genau den Tatsachen entspricht, die außerdem, weit entfernt, die Geschichte seiner Kerkerhaft zu sein, nur drei seiner langjährigen, traurigen Abenteuer erzählt und zu seiner wirklichen Geschichte nur wenig Beziehung hat. Nur solche Denkwürdigkeiten, die er eigenhändig unterzeichnet hat, wie am Schlusse dieses Vorwortes zu sehen ist, sind von Herrn de Latude als echt anerkannt und verbürgt.
Der Herausgeber dieses Werkes bittet auch, einen Augenblick von sich selber reden zu dürfen. Durch die Ereignisse gezwungen, hat er seine Arbeit mit der größten Überstürzung fertigstellen und sie im gleichen Tempo drucken lassen müssen; er hat sie sozusagen drei Setzern diktiert, daher werden sich unvermeidlich Ungenauigkeiten und Wiederholungen darin finden, für die er um Verzeihung bittet.  ........


Originaltitel: Le despotisme dévoilé ou Mémoires de Latude, rédigés sur les pièces originales par l'avocat Thiéry Aus dem Französischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Adele Ahues.

Einbandgestaltung von Hellmuth Tschörtner

Insel-Verlag, Leipzig

1. Auflage [1929]
2. Auflage 1978

Im gleichen Verlag, in der Reihe
Bibliothek des 18. Jahrhunderts
1. Auflage 1981
 

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