12 April 2024

Annemarie Esche (Hrsg.): Märchen der Völker Burmas

Klappentext:
Die Märchenkultur Burmas galt lange Zeit lediglich als Ableger der alten Literatur und Folklore des indischen Nachbarlandes. Diese einseitige Auffassung wird eindrucksvoll widerlegt durch das hier zusammengetragene Erzählgut, in das neben den Märchen der Burmesen auch Schöpfungen der anderen in der burmesischen Union beheimateten Völker und Volksgruppen eingebracht sind. Die in Aufbau und Tonlage so unterschiedlichen Gesetzes-, Sprichwort-, Geister- und Tiermärchen sind trotz unverkennbarer Einflüsse aus dem Indischen auf dem Nährboden der burmesischen Kultur, Lebensweise und Mentalität gewachsen. Rationales und Realistisches steht schroff neben Phantastischem, alter Volksglaube vermischt sich mit buddhistischer Anschauung. Eine ganze Schar von übernatürlichen Wesen bewegt sich durch diese Märchenlandschaft die auf Bergen und in Seen, auf Bäumen und in Häusern, aber auch im Himmel lebenden Nats, die schlangenähnlichen, als Hüter von Wasser und Erde wirkenden Nagas oder die an einsamen, versteckten Orten hausenden menschenfressenden Bilus. Und immer wieder spielen die im buddhistischen Glauben hochgeschätzten Tiere – wie der würdige Elefant oder das weise Kaninchen – eine tragende Rolle. Oft sind sie es, die durch hilfreiches Eingreifen Schaden von Mensch und Tier wenden und der Gerechtigkeit und Tugend den Weg ebnen.

Buchanfang:
GELEITWORT
Die zahlreichen Märchen, die das einen Subkontinent einnehmende indische Nachbarland Burmas vorzuweisen hat, waren schon lange Gegenstand wissenschaftlicher Studien, fesselten die Leserschaft vieler Völker und ließen wenig Raum für das, was hinter Indiens lag. Wie auf anderen Gebieten der Kultur dauerte es auch im Bereich der Folklore geraume Zeit, ehe man hinter mancher Parallelerscheinung das Eigenständige, das Nationale in Burma erkannte. Die großen Epen – das Rāmāyana und das Mahabharata – hatten von Indien aus den südostasiatischen Raum durchwandert. Die Jätakas – uraltes indisches Kulturgut – waren mit der Gestalt Buddhas verknüpft in den Kanon der Buddhisten, das Tipitaka, aufgenommen worden. Auch sie waren in südostasiatische Regionen eingedrungen und fanden in buddhistischen Ländern wie Burma eine Heimat. Sie wurden besonders seit dem Aufblühen Pagans im 11. Jahrhundert ein beliebter Gegenstand der bildenden Kunst und der Literatur Burmas, füllten manches Palmblatt der gelehrten Mönche, spielten aber auch in der mündlichen Tradierung eine entscheidende Rolle und übten einen wesentlichen Einfluß auf solche Gattungen wie das Märchen aus. Neben den buddhistischen Märchen bestand eine Märchenliteratur aus vorbuddhistischen Zeiten, die durch den Buddhismus zwar eingefärbt, aber nicht verdrängt wurde. Außerdem leben vor allem in den Gebirgsgegenden Burmas Volksstämme, die vom Buddhismus unberührt geblieben sind und noch heute ihrem ursprünglichen Glauben anhängen. An den größeren Gebirgsstraßen wirkten wiederum christliche Missionare auf die dort lebenden Menschen ein, was dazu beitrug, daß einige Ursprungssagen der Vergessenheit anheimfielen.
Die Anwendung des Buchdrucks setzte in Burma erst Ende des 19. Jahrhunderts ein. Bis dahin wurde die burmesische Literatur auf Palmblättern festgehalten, die gebündelt zwischen zwei Holzplatten gelegt wurden und so eine Art Buch ergaben. Da der Autor oft anonym blieb, nicht immer das Jahr der Abfassung seiner Schrift notierte und die Anzahl der Kopien die Suche nach dem Original erschwerte, mußten bei ihrer Drucklegung eine Reihe von Hilfsquellen herangezogen werden. Manch wertvolles dichterisches Erzeugnis ist bis heute noch nicht publiziert. Mündlich überlieferte Märchen zu veröffentlichen war deshalb eine Aufgabe, der man sich verständlicherweise recht spät annahm. Die erste Organisation, die sich dabei Verdienste erwarb, war die Burma Research Society. Sie nahm in ihre Journale, die seit 1911 erschienen, nicht nur Märchen der Burmesen, sondern auch der Mon, der Karen und anderer einheimischer Völker auf. Trotzdem blieb die Veröffentlichung von Märchen bis zur Erreichung der Unabhängigkeit (1948) eine Einzelerscheinung. Der erste Forscher, der sich vor allem durch Märchensammlungen mit entsprechender Kommentierung einen Namen gemacht hat, war der Professor für Rechtswissenschaft Htin Aung. Seine in englischer Sprache edierten ›Burmesischen Volksmärchen‹ (›Burmese Folk-Tales‹, 1948), ›Burmesischen Gesetzesmärchen‹ (›Burmese Law Tales‹, 1962) und ›Burmesischen Mönchserzählungen‹ (›Burmese Monk's Tales‹, 1966) erlaubten auch den der burmesischen Sprache nicht kundigen Lesern einen Einblick. Daneben brachten verschiedene Sammler Märchenbücher in burmesischer Sprache heraus, ohne aber ein größeres Echo zu finden. Von den Presseorganen erwarb sich vor allem ›The Guardian‹ Verdienste, der über Jahre sowohl in der Sonntagsbeilage seiner Tageszeitung als auch in seinem Monatsheft ›The Guardian Magazine‹ eine erhebliche Anzahl von Märchen vorgestellt hat. Der entscheidende Durchbruch aber gelang dem Mandalayer Schriftsteller Ludu U Hla, der bis heute nicht weniger als 41 Märchenbücher herausgegeben hat. Als er aus politischen Gründen im Gefängnis saß, traf er auch mit Mon, Karen, Arakanesen und Angehörigen anderer Völkerschaften zusammen. Es waren keine gebildeten Leute, aber sie kannten ihre Märchen und erzählten sie. Die Märchen, die Ludu U Hla 1954/55 mit ihrer Hilfe zu sammeln begann, bildeten den Grundstock für die Reihe, die er heute noch fortsetzt. »Meine Märchensammlungen sollen ein Beitrag sein für das Verständnis der Völker der Union von Burma untereinander und sollen helfen, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu festigen«, erklärte er. ......

Einbandgestaltung: Hellmuth Tschörtner
Umschlag: Hans-Joachim Walch
Übertragen und herausgegeben von Annemarie Esche
Kommentiert unter Mitarbeit von Heinz Mode und Ralph Tröger

Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig
1. Auflage 1976 [1. - 15. Tsd.]
2. Auflage 1979 [16. - 37. Tsd.]
3. Auflage 1982

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