19 April 2024

Jurij Koch: Pintlaschk und das goldene Schaf

Buchanfang:
Es war einmal ein kleiner Junge. Der hieß Pintlaschk. Nein, anders: Es waren einmal Lutken. Das sind Zwerge. Noch einmal anders: In einem Burgwall der Lausitz wohnten einst Lutken. Also, es ist ganz schön schwer, für ein Märchen den richtigen Anfang zu finden. Bleiben wir bei dem Burgwall. Das ist ein Berg. Ein künstlicher Berg ist das. Burgwälle haben sich die Menschen vor mehr als tausend Jahren gebaut. Sie haben viele, viele hundert Schubkarren Sand und Mutterboden herangefahren, Feldsteine zusammengetragen und Baumstämme übereinandergeschichtet, bis ein richtiger Berg entstanden war. Dieser Berg aber hatte einen talähnlichen freien Innenraum. Das muß man sich wie die Kerbe in einem riesigen Hut vorstellen. Ringsherum um den Burgwall führte ein tiefer Wassergraben, wie die Krempe um den Hut. In einem solchen künstlichen. Berg konnten die Bewohner mehrerer Dörfer in kriegerischen Zeiten wohnen und sich gegen Feinde verteidigen. So wurden viele Menschen vor Hunger und Tod behütet.
Aber nun zu den Lutken. Wie kamen Zwerge in einen solchen Hutberg?
Das war so: Später, als das Schießpulver erfunden wurde, waren die Burgwälle zur Verteidigung nicht mehr geeignet, weil die Kugeln aus Kanonen über alle Wasserkrempen hinweg in die Kerben hineinflogen und Menschen und Vieh bedrohten. Da zogen die Bewohner in ihre Siedlungen zurück und überließen die Burgwälle der Sonne, dem Wind und dem Regen. Die machten aus ihnen Hügel und Anhöhen, auf denen Bäume wuchsen. Der Regen spülte die Kerben mit Sand und Mutterboden zu, und in den Gräben versickerte das Wasser, weil sich niemand mehr um ihre Wehre kümmerte. Solche verlassenen Burgwälle waren die besten Unterkünfte für Lutken, die kleinen Schelme. Die waren ständig unterwegs nach einer neuen Heimstatt, weil sie es nirgends lange aushielten. Und die Menschen sahen sie lieber von dannen ziehen als ankommen. Ihre Späße, die sie von früh bis spät trieben, waren nämlich sehr seltsam. Und den Menschen stand nicht der Sinn nach Scherz und Ulk, weil sie zuviel Sorgen hatten, das liebe tägliche Brot für sich und die Kinder zu verdienen. Aber die Lutken blieben ulkig, sonst wären sie ja keine Lutken mehr gewesen.
Eines Tages, jetzt geht das Märchen erst richtig los, eines Tages also kam eine Frau zum Bäckermeister des Dorfes. Der war bekannt für seine knusprigen Brote, die er buk und für ansehnliches Geld verkaufte.
Guten Tag, Herr Bäckermeister, sagte die Frau. Hinter ihr bimmelte noch lange das Glöckchen, das immer anschlug, wenn die Ladentür geöffnet wurde.
Guten Tag, Frau Bäuerin. Was wird gewünscht? fragte der Bäckermeister überfreundlich.
Eine Semmel und ein großes Brot, bestellte die Frau und machte ein böses Gesicht.
Eine Semmel und ein großes Brot, bitte sehr.
Das macht...
Gar nichts, Bäckermeister, unterbrach sie ihn grimmig.
Wie? Was meinen Sie?
Das soll ein Brot sein? Es ist leer und hohl! Der Meister griff nach seinem Brot. Tatsächlich! Es war hohl. Nichts als eine braune Hülle. Sie wollen mich betrügen! schimpfte die Frau, daß ihr der Zipfel am Kopftuch zu flattern begann. Hier war ich wohl zum letztenmal! Die Semmel können Sie behalten. Auf Nimmerwiedersehen!
Und sie knallte die Ladentür so kräftig zu, daß sich das Glöckchen überschlug und schwieg. Der Bäckermeister stand ratlos vor seiner Brothülle. Wie ist das möglich? fragte er sich immer wieder. Der Teig war aufgegangen, der Ofen gut geheizt. Seit dreißig Jahren hatte ich noch nie ein hohles Brot.
Und er schaute mit großen verständnislosen Augen in seine Regale, in denen eine Brothülle neben der anderen lag. Alle hohl! Wie von Mäusen ausgefressen.
Er sank auf einen Stuhl. Ich bin ruiniert, .....

Illustrationen von Regine Grube-Heinecke

Altberliner Verlag, Berlin
1. Auflage 1983
2. Auflage 1985
3. Auflage 1987  

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