27 November 2024

Der Zaubergarten – Kasachische Volksmärchen

Buchanfang:
Der Gute und der Böse

Es begab sich einst der Böse zu Fuß auf eine lange Reise. Er wanderte einen Tag, er wanderte zwei Tage, und am dritten Tag war er so müde, daß ihn die Beine kaum mehr tragen wollten.
Der Gute, der auf einem Pferd ritt, holte ihn auf dem Weg ein. Sie kamen ins Gespräch und es stellte sich heraus, daß beide das gleiche Reiseziel hatten.
„Laß mich mit auf dein Pferd“, bat der Böse, „ich bin sehr müde.“
„Wir wären dem Pferd zu schwer“, antwortete der Gute. „Machen wir es lieber so: setze dich auf meinen Platz, reite allein voraus, dort bei diesem Baum lasse das Pferd stehen und gehe zu Fuß weiter. Ich laufe zum Baum, setze mich aufs Pferd und hole dich ein. So werden wir uns auf dem Pferd ablösen und nur den halben Weg zu Fuß gehen müssen.“
Der Böse setzte sich aufs Pferd und galoppierte davon. Der Gute folgte ihm zu Fuß.
Er kam zum Baum, aber vom Pferd fehlte jede Spur! Der Böse hatte ihn betrogen und sich mit dem Pferd aus dem Staub gemacht.
Der Gute wanderte weiter und gelangte in einen dichten Wald. Dort stand eine Hütte. Er entschloß sich, hier auszuruhen.
Die Hütte war leer, nur in einem riesigen Kessel kochte Fleisch. Der Gute murmelte verwundert:
„Nirgends der Hausherr, aber das Mittagessen kocht. Seltsam!“
Der Gute kostete das Gericht, kletterte dann auf das Dach der Hütte, um zu schlafen. Gerade wollte er die Augen schließen, als ein Wolf, ein Fuchs und ein Löwe die Hütte betraten.
 „Eijcijei!“ rief der Fuchs erschrocken, „jemand hat unser Mittagessen gekostet!“
„Niemand hat es gekostet“, beruhigte ihn der Löwe.
Die Tiere setzten sich rund um den Kessel und erzählten einander, wie sie den Tag verbracht hatten.
Der Fuchs sagte:
 „In einem verlassenen Winterlager habe ich einen Schatz gefunden. Ein Topf voll Gold ist dort in der Erde vergraben. Wir werden ihn bewachen müssen.“
Der Wolf sagte:
„Die schöne Tochter eines Bajs ist erkrankt. Der Vater versprach, wer sie heilt, bekommt sie zur Frau. Ich kenne das Heilmittel. In der Herde des Bajs ist ein scheckiges Schaf. Man muß mit seinem Herzen den Körper des Mädchens einreiben. Dann wird es gesund. Daher habe ich heute das scheckige Schaf bewacht.“
Danach erzählte der Löwe:
„Jede Nacht hole ich mir ein Pferd aus der Herde des Bajs. Doch dieser weiß nichts von mir. Er will die ganze Herde dem geben, der den Dieb faßt. Ich habe keine Angst, denn kein Pferd kann mich einholen. Nur ein kleines rostbraunes Fohlen ist in der Herde, das allein ist schneller als ich.“
Die Tiere aßen sich satt und gingen schlafen. Am frühen Morgen verließen sie die Hütte, und kurz danach machte sich auch der Gute auf den Weg. Als Quacksalber verkleidet, ging er zum Baj und sagte:
„Ich kann deine Tochter heilen!“
Da freute sich der Baj sehr und lud ihn in seine Jurte ein.
Der Gute befahl, das scheckige Schaf zu schlachten und ihm sein Herz zu bringen. Er rieb damit den Körper des Mädchens ein, und es wurde gesund. Er heiratete sie und bald darauf machte er sich auf, das verlassene Winterlager zu suchen, von dem der Fuchs gesprochen hatte. Ungestört grub er den Topf voll Gold aus. Schließlich ging er zum Baj, von welchem der Löwe gesprochen hatte.
„Wie viele Pferde gibst du mir, wenn ich den Dieb fange, der dir jede Nacht ein Pferd stiehlt?“ fragte der Gute.
„Eine ganze Herde“, versprach der Baj.
Der Gute ging zur Herde, sattelte das kleine rostbraune Fohlen und wartete in einem Versteck auf den Löwen. Der Löwe stahl sich nachts an die Herde heran, erbeutete ein Pferd und lief in die Steppe.
Der Gute jagte ihm auf dem Fohlen nach, holte ihn ein und tötete ihn. ......

Inhalt:
    7 .......... Der Gute und der Böse
  11 .......... Die schöne Kunkej
  22 .......... Der Zaubergarten
  31 .......... Nauscha und Silybaj
  38 .......... Großväterchen Kanbak
  43 .......... Die drei Schwestern
  60 .......... Der junge Held und die Hexe
  66 .......... Der goldhaarige Totambaj
  70 .......... Der unsichtbare Dieb
  80 .......... Der Weisheitsverkäufer
  83 .......... Der Jüngling und die Wölfin
  94 .......... Der Wundervogel
106 .......... Drei Brüder und die wunderschöne Ajslu
113 .......... Kadyrs Glück
120 .......... Der Reiche und der Arme
132 .......... Akbaj
142 .......... Die vierzig Söhne des Kahns Auez
148 .......... Eine Braut und drei Werber
157 .......... Batyr Abat
169 .......... Warum der Mensch und die Schwalbe Freunde sind
173 .......... Der Fuchs, der Bär und der Schäfer
178 .......... Der mutige Esel
183 .......... Der Fuchs und der Affe
187 .......... Der Bär und die Stechmücke
191 .......... Der arme Ahmed und die ungerechten Berater des Khans
194 .......... Der kluge Ajaz
216 .......... Der Schelm Aldar-Kose
226 .......... Dschirensche, der Schelm
233 .......... Wie Aldar-Kose Dschirensche übertrumpfte
236 .......... Schlußwort
238 .......... Erläuterungen

Ausgewählt von Helena Križanová-Brindzová
Illustrationen von Kamila Štanclová
Übersetzt von Eliška Jelínková

Mladé Letá, Bratislava
1. Auflage 1988  

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