28 März 2025

Henryk Keisch: Sprung in die Freiheit

Heftanfang:
Rauschen und Gurgeln um mich. Ein sanft drängendes, fließendes Etwas hüllt mich ein. Ich öffne mit Anstrengung die Augen, das Etwas ist von grüngrauer Farbe, durchsichtig und doch wieder nicht so, daß ich wirklich hindurchsähe. Ich schwimme darin. Meine Beine stoßen wohl nur träge, die Arme ziehen ohne Kraft, aber ich weiß doch, wie Schwimmen ist; wenn ich in einem Sport was leiste, dann im Schwimmen. Das Etwas um mich, ja, ist Wasser. Wie kommt es dann aber, daß mir unerträglich heiß ist, daß mir Schweiß aus den Poren bricht, da ich mich doch im Wasser befinde, sogar unter Wasser, wie ich eben bemerke? Unverständlich. Und auch unangenehm, sehr, sehr unangenehm. Die Brust tut mir weh, ekelhaft, was ist das? Ich kann nur schwer atmen. Und die Schulter, die tut auch weh, verdammt. Mir ist gar nicht gut. Ich muß hier raus. Ich muß an die Oberfläche, ganz schnell, kein Mensch hält es so lange unter Wasser aus. Ich muß auftauchen.
Es geht, ich tauche hoch. Das Etwas wird heller, durchsichtiger, ich selbst werde leichter. Jetzt bin ich an der Oberfläche, na also. Das Etwas gibt mir den Kopf frei. Luft ist um mich. Es rauscht und gurgelt nicht mehr, die plötzliche Stille ist wie eine Explosion. Vor den Augen flutet Licht, anders als bisher, sanfter, ein gelbweißer Schleier. Ich sehe den Schleier und sehe zugleich, was er verhüllt. Zuerst einen großen Rahmen, darin ein sauber ausgeschnittenes Stück Bläue und, seitlich hereinragend, dunkles Gewirr. Aha, ein Baum. Es befriedigt mich, daß ich an Gezweig und Laubwerk einen Baum erkenne. Ein Baum ist etwas Vertrautes, fast Menschliches, er rauscht und gurgelt nicht. Doch, Idiot, hast wohl nie hingehört, ein Baum rauscht, und wie! Schon, aber nicht so, sondern ganz anders.
Kurzum, der Rahmen ist ein offenes Fenster, der blaue Ausschnitt ist ein Stück Himmel, ich befinde mich in einem Zimmer. Ich liege in einem Bett. Das Bett ist ganz weiß. Soweit stimmt alles. Aber was habe ich da am Arm, angeschnürt und irgendwie in mich hineinführend? Was ist das für ein Gummischlauch, der aus mir herauskommt und in einem Glasballon über mir endet?
„Sehr schön, er ist wieder da“, sagt eine Stimme von weither. „Das ist die Hauptsache. In Ruhe lassen, Schwester. Weiter Kochsalzlösung.“ Die Hauptsache ist Kochsalzlösung, wieso das? Ich habe Durst. „Durst!“ – „Er hat Durst“, sagt eine zweite Stimme. „Trinken darf er nicht“, sagt die Stimme von vorhin, „höchstens ein paar Tropfen.“ Etwas Feuchtes schiebt sich mir zwischen die Lippen. Ah, das ist gut.

Umschlag und Illustrationen: Wolfgang Przibilla

Verlag Neues Leben, Berlin
Reihe:
Das neue Abenteuer Nr.300
1. Auflage 1970

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