Einbandtext:
„Ich muß in die Klinik. Vielleicht werden Verwundete eingeliefert.“
„Warten Sie noch, Doktor!“ Ich hörte, wie Tham sich an mich heranschob. Im Dschungel war jetzt die Hölle los. Affen schrien, Zweige knackten, aus dem Schlaf geschreckte Vögel flatterten durch die Luft. Meine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.
„Ich muß zurück, Tham, unbedingt.“ Ich keuchte mehr, als ich sprach. Nur weg aus diesem entsetzlichen Wald. Ans Krankenhaus dachte ich erst in zweiter Linie, dann allerdings mit leisem Erschrecken. Dort konnte das Feuergefecht nicht unbemerkt bleiben. Was geschah, wenn Strohofer in mein Zimmer ging und mich nicht fand? „Los doch!“ drängte ich. „Jede Minute ist kostbar.“
„Versuchen Sie, hinter mir herzukriechen“, sagte der Mönch.
„Am besten, Sie fassen meine Beine.“
Ich klammerte mich an Thams Bastschuhe, als wäre das die Rettung. Bis zum Waldrand bewegten wir uns auf allen vieren. Hartes Gras und Zweige schlugen mir ins Gesicht. Endlich lag die Lichtung vor uns. Scheinwerfer tasteten mit grellen Fingern das Laubgewirr ab. Lianen und Blätter verschluckten die Bahnen der Leuchtspurgeschosse.
Heftanfang:
Seit Tagen finde ich kaum noch Schlaf. Ich wälze mich auf der Bastmatte hin und her, und das Laken, mit dem ich mich sonst zudecke, habe ich ans Fußende des weißen Metallbetts geschoben.
Es ist warm. Der Luftzug, der durch das winzige Gazefenster ins Zimmer dringt, bringt keine Kühlung. Dabei weiß ich genau, daß nicht die Hitze den Schlaf verscheucht. Ich bin einfach noch nicht zur Ruhe gekommen, stelle Fragen und suche nach einer Antwort. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Ich muß versuchen, sie zu ordnen, muß mir Rechenschaft geben.
Ein paar Nächte lang habe ich gelesen, um mich abzulenken. Zwei alte Illustrierte und einen Kriminalroman, von dem der Teufel weiß, wie er hierhergekommen ist. Jetzt gibt es keine Zeile mehr, die ich nicht kenne. So schreibe ich denn selbst. Ich will festhalten, was geschehen ist, den Weg nachzeichnen, der mich hierher geführt hat. Was es werden soll, weiß ich noch nicht. Ein Tagebuch? Vielleicht. Erinnerungen ... Das ist das Schöne an einem Tagebuch, man schreibt nur für sich. Wem anders als mir hätte ich auch den Mut, einzugestehen, mit welchen Zweifeln ich mich herumgeschlagen habe? Wem hätte ich mitteilen sollen, welche Zuversicht mich getrieben hat?
Erneut überfallen mich Gedanken. Ich möchte sie abschütteln, schnell schreiben. Aber was? Warum ich mich entschieden habe, weiß ich längst, und außer mir geht es niemand was an. Trotzdem, ich muß endlich Ruhe finden. Mit aller Kraft zwinge ich mich zur Konzentration. „Bitte.“ Es klopft.
„Ein Neuzugang. Temperatur vierzig zwei. Der Patient ist ohne Bewußtsein.“
„Ich komme.“
Für diesmal bin ich erlöst. Doch morgen, morgen werde ich anfangen, meine Geschichte aufzuschreiben.
Umschlag und Illustration: Karl Fischer
Deutscher Militärverlag, Berlin
Reihe: Erzählerreihe 172
1. Auflage 1971 [1.-120. Tsd.]