21 November 2024

Jewgeni Schwarz: Märchenkomödien

Einbandtext:
Man tut gut daran, JEWGENI SCHWARZ (1896-1958) nicht beim Wort zu nehmen, wenn er von sich sagt, er sei nur Märchenerzähler. Er dichtet in der Welt der Märchen, gebraucht ihre Motive, Symbole und Figuren, sucht jedoch dabei die ethischen, ideologischen und politischen Lebensfragen seiner Zeit künstlerisch zu erhellen. Die tradierten Gestalten mit der Brillanz seiner Dialektik anreichernd, macht er sie mehrschichtig und mehrdeutig, ohne sie aus der Handlungsebene des Märchens herauszulösen und ohne ihnen dessen Ursprünglichkeit zu nehmen. Die Verbindung von Märchenvorgang und zeitbezogener Konfliktlösung erzeugt jene Aktualität, durch die Schwarz' Märchenkomödien den Zuschauer und Leser fesseln. Im Dialog spiegelt sich diese eigentümliche Verbindung in der selbstverständlichen Einbeziehung der phantastischen Umstände in die nüchterne Auseinandersetzung. Die Originalität und künstlerische Vollendung dieser Handschrift sichern Schwarz seinen Platz unter den besten sowjetischen Dramatikern.

Inhalt:
Der nackte König....... 5
Der Drache................. 85
Der Schatten.............. 149
Bildteil....................... 221
Nachwort................... 225

Umschlaggestaltung: Irmgard Horlbeck-Kappler

Alle deutschsprachigen Rechte gehören dem Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin
„Der Drache“ (Даркон), hier in der Bühnenfassung des Deutschen Theaters Berlin, und  „Der nackte König“ (Голый король) wurden von Günter Jäniche übersetzt. Texte nach: Jewgeni Schwarz, Stücke, Henschelverlag Berlin 1970
„Der Schatten“ (Тень) wurde in der Neufassung von Hansjörg Utzerath und Martin Wiebel vom Bühnenvertrieb des Henschelverlages übernommen

Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig
Reihe:
Reclams Universal-Bibliothek, Band 322
1. Auflage 1972
2. Auflage 1974
3. Auflage 1977

20 November 2024

Wolf Dieter Brennecke: Erich und das Schulfunkstudio

Buchanfang:
Mit Tränen
und abgesperrten Türen beginnt es


Die Glocke der Uhr an der Nicolaikirche schlug pflichtgemäß dreimal; denn es war genau Viertel vor drei. Ein Krähenvolk, das zum Strom hinüberstrich, füllte die Luft mit heiserem Gekrächz. Die alte Windfahne auf dem Dach der Apotheke tanzte beschwingt im warmen Südwind hin und her, als wollte sie sich dem Schwarm anschließen. Den ganzen naßkalten Winter hindurch hatte sie asthmatisch gekreischt und gejammert, denn es ist kein schöner Beruf, bei Wind und Wetter tagein, tagaus auf einem Dachfirst zu hocken. Doch nun war alle Not vergessen. Die Sonne stand hoch über den Straßen der Stadt, und blau wölbte sich der Himmel über ihren Dächern. Noch nicht tiefblau und klar, mehr hellblau, getupft mit durchsichtigen weißen Wolkenfetzen, aber doch eine Freude nach den letzten kalten Märzwochen, die sich mit Schauern von Schnee und Eisgraupeln verabschiedet hatten. Noch qualmten überall die Schornsteine, denn trotz der Sonne war es kühl; aber in den Vorgärten wurde schon gegraben und geharkt, und hier und da setzte ein Mann die ersten Stiefmütterchenbüsche in die Erde.
Bei dem herrlichen Sonnenschein waren viele Menschen unterwegs. Die Frauen und Mädchen trugen bereits leichte Mäntel, die Männer knöpften ihre Joppen auf. Und alle zeigten fröhliche Gesichter. Wie doch ein schöner Frühlingstag die Menschen gleich verändert! Gestern noch rannten sie verschnupft mit mürrischen Mienen durch die Straßen und schimpften auf Wind und Kälte, auf den Regen und die ganze Welt; heute spazieren sie gemächlich dahin, begrüßen sich freundlich, bleiben stehen und tauschen Rede und Gegenrede: ob sich das Wetter hält, ob man am Sonntag schon in den Stadtpark gehen kann, was für Blumen in diesem Jahr in die Balkonkästen kommen sollen. Auf einmal sind alle Leute gutgelaunt und voller Unternehmungslust. Und das bewirkt eine Handvoll Sonnenschein. ..........

Inhalt:
9 .............. Mit Tränen und abgesperrten Türen beginnt es
17 ............ Das Radiokomitee tritt zusammen
23 ............ Eine Sendung wird ausgearbeitet
31 ............ Gespräche am Abend
41 ............ Wenn einem eine Schraube fehlt
46 ............ Ein Fahrstuhl mit eingebauter Dusche
53 ............ Zuerst werden 10 Minuten Pause gesendet
58 ............ Hier ist das Schulfunkstudio, Frohe Zukunft"
68 ............ Erich macht Gedichte
73 ............ Schulleiter Brummert in der RFT-Werkstatt
80 ............ Ein müder Mann wird wach
85 ............ Morgenstunde bringt Gäste ins Haus
92 ............ Irgend etwas stimmt da nicht
101 .......... Die Volkspolizei in der Schule
113 .......... Herr Raue weiß von nichts
119 .......... Das Metallschildchen
128 .......... Schnüff, der Meisterdetektiv
134 .......... Der Mikrofoneinsatz
148 .......... Wichtige Nachrichten
158 .......... Herr Raue in der Klemme
163 .......... Zwei Konferenzen
171 .......... Der Mann mit dem grauen Hut
178 .......... Wo ist Erich?
191 .......... Noch ein Zwischenfall

Schutzumschlag, Einband und Textillustrationen von Paul Rosié
Für Leser von 12 Jahren an

Der Kinderbuchverlag, Berlin
1. Auflage 1952 1.-20. Tsd.
2. Auflage 1953 21.-30. Tsd.

Wolf Durian: Robber

Buchanfang:
Der Punkt
Bis dahin war alles finster gewesen. Nun aber sah er den Punkt.
Der kleine Wolf steckte mit seinen Geschwistern in einer Höhle in dem Waldgebirge am Rand der Prärie. Es war ein wildromantisches Gebirge mit gewaltigen Felsen und Schluchten, durch die die Wildwasser schäumten. Die Bäume standen schief von den Winterstürmen, die aus der Prärie daherbrausten und gegen die Felsen prallten; bei manchen waren die Wurzeln bloßgelegt. In den Windbrüchen kletterte das Gestrüpp der Latschenkiefern, Wacholder und Alpenrosen empor. Ein Mensch kam hier nur mit Mühe hindurch.
Ringsum war Finsternis in der Höhle, da war nur dieser helle Punkt, auf den er nun immerzu hinstarren mußte. Durch den hellen Punkt kam die Mutter. Der helle Punkt war der Eingang der Höhle. Wenn die Mutter kam, war er verschwunden. Ihr Schatten verdunkelte ihn.
Die fünf Geschwister hockten dicht beisammen, so daß sie sich warm hielten. Wochenlang waren sie blind gewesen, nun starrten sie auf diesen hellen Punkt. Auf einmal war er verschwunden, da wollten sie alle zugleich auf die Beine, purzelten übereinander, maunzten und greinten und zuckten mit ihren Schwänzchen. Nun war alles gut, die Mutter war da, es roch nach Mutter. Der Atem der Mutter blies über die Gesichter, es kitzelte in den Ohren. Dann kam die Zunge. Überall reichte die Zunge der Mutter hin, sie wusch die Kleinen so gründlich, daß man sie danach hätte für Igel halten können, wenn ein Mensch sie gesehen hätte; die Haare an den Wattepelzen klebten zusammen. Aber das ging vorüber, und dann kam der lang ersehnte Augenblick, daß die Mutter sich hinstreckte zu ihren Kindern und die fünf kleinen Schnüffelnasen sich in ihr weiches und warmes Bauchfell einwühlen durften. Und sie begannen zu schmatzen, die Kleinen, sie knurrten, stießen und bissen in das Fell der geduldigen Mutter. Danach lagen sie still und lutschten in Frieden die süße Muttermilch. Und wenn sie die Bäuchlein voll hatten, schliefen sie ein, wie und wo sie lagen. Der warme Leib der Mutter war ihr köstliches Ruhekissen.

Illustrationen: Hans Betcke
Einband: Hans Baltzer

Der Kinderbuchverlag, Berlin
1. Auflage 1955
2. Auflage 19??
3. Auflage 1957
4. Auflage 19??
5. Auflage 19??
6. Auflage 1961
7. Auflage 19??
8. Auflage 1962
9. Auflage 1963
10. Auflage 1964
11. Auflage 1965
12. Auflage 1966
13. Auflage 1969
14. Auflage 1971


15. Auflage 1974  
Der Kinderbuchverlag, Berlin
Reihe: Paperback für junge Leser

19 November 2024

Gerhard Holtz-Baumert: Sieben und dreimal sieben Geschichten

Einbandtext:
Nach seiner weiten Reise, getragen, gezogen, getrieben vom galaktischen Sog, sitzt Kilian, der siebenköpfige Flugdrachen, endlich wieder bei seinen Geschwistern im Nest, schnurrt wie eine Katze und blinzelt in das schwarzviolette All mit den blauen Sonnen. Lange sinnt er über seine Erdenerlebnisse nach. Und schließlich schüttelt er die Hälfte der Köpfe, und mit denen der anderen Hälfte nickt er.
Ja, fragen wir, wie geht denn das, wenn man sieben Köpfe hat?
NIchts da. Kilian wird es schon wissen, und wir, die Erdenbewohner, Leser und Leserinnen der Sieben und dreimal sieben Geschichten, sollten uns abgewöhnen, irgend etwas merkwürdig zu finden.




Inhalt:
     Der entführte Prinz und das Gärtnermädchen .......... 5
     Das Rätsel der Prinzessin GÜ .......... 22

Das erstemal sieben Geschichten
     Zauberei auf der Eisscholle .......... 41
     Februarbirnen .......... 43
     Wiederkehr des Tümpels .......... 46
     Schlaflied für Hühner .......... 49
     Der Habicht-Reiher .......... 52
     Nachbars weißes Haus .......... 56
     Meisenschokolade .......... 59

     Cornelia oder Die Verwandlung einer Gruppenratsvorsitzenden in ein Ungeheuer .......... 63
     Der lange Ritt zur Schule .......... 78

Das zweitemal sieben Geschichten
     Schwarzer Ast im Walnußbaum .......... 95
     Der Schuß ins Paradies .......... 98
     Die Gewohnheit der Wege .......... 101
     Das rote Gras .......... 104
     Meine Schwalbe .......... 107
     Die veränderten Disteln .......... 109
     Die faule Möwe, die kluge Möwe .......... 112

     Der König und die Kräutermuhme Kasche .......... 115
     De schöne Prinzessin und der Drache .......... 127

Das drittemal sieben Geschichten
     Der König der Stare .......... 149
     Der Tod der Bäume .......... 152
     Die Tiere der Stadt .......... 155
     Trauermantel - nah und fern .......... 158
     Die Pilzglucken .......... 161
     Der Schlaf der Schwäne .......... 164
     Meine Kraniche .......... 166

     Kilian im Kiefernwald .......... 169

Für Leser von 9 Jahren an
Illustrationen: Egbert Herfurth

Der Kinderbuchverlag, Berlin
1. Auflage 1979
2. Auflage 1980
[Neuauflage]
1. Auflage 1981
2. Auflage 1982
3. Auflage 1983
4. Auflage 1987
5. Auflage 1988  

18 November 2024

Die Gespräche des göttlichen Pietro Aretino

Klappentext:
Was hier auf gut vierhundert Seiten folgt, ist eine kräftige literarische Kost, ein Werk, das seit Jahrhunderten in den Giftschränken weniger Bibliotheken streng behütet lagerte und ansonsten nur in bibliophilen Ausgaben einem handverlesenen Publikum zugänglich war. Der dieses ›verruchte‹ Buch geschrieben hat, war eine der schillerndsten Persönlichkeiten, die das ausgehende Renaissancezeitalter hervorgebracht hat: der Dichter, Kritiker und Gelegenheitsdiplomat Pietro Aretino (1492–1556). Er, den die Zeitgenossen ›il divino‹, ›den Göttlichen‹, nannten und den die Großen der Zeit aus Angst vor seiner spitzen Feder umschmeichelten, hat mit seiner ›Ragionamenti‹ ein Werk geschaffen,das die besten literarischen Traditionen der Antike sexualibus fortgeführt hat. ›Da sehen wir das Rom von 1530. Der römische Monsignor und Kavalier, der Bettler und der Wucherer, der Lakai, der Handwerker und der Zuführer – sie alle haben mit der Kurtisane Nanna zu tun. Die große Völkerstraße scheint durch Nannas Haus zu führen. Nicht nur die Römer, auch die anderen italienischen Großstädter jener Zeit, Venizianer und Mailänder, Sienesen und Florentiner, Genueser und Neapolitaner, bewegen sich um sie herum, und nicht blos Italiener – auch Franzosen, Deutsche, Spanier. Nannas Haus ist Mittelpunkt von Europa. Alle Wege führen nach Rom, und in Rom führt jeder Weg zur Unzucht.‹ Gerade dieser Aspekt ist bei der Beurteilung des Autors und seines Werkes immer übersehen worden, denn bei aller fröhlichen Drastik, bei aller Detailtreue, mit der in diesen dialogischen Erzählungen das Liebemachen in seinen Variationen dargestellt ist, wird doch eine handfeste Zeitkritik betrieben. Personen jeglichen Standes und jeglicher Nation, die da mit mehr oder weniger beweglichen Lenden, lachend und fluchend, weinend und grinsend, feilschend und renommierend durch die Btten marschieren, sie alle haben Aretinos Hohn und höllisches Gelächter einzustecken. Und daß dieses Gelächter Leser aller Zeiten immer wieder ansteckt, dafür sorgt ein Feuerwerk an erotischer Mtaphorik, das da bunt durch das Buch flimmert und das von Heinrich Conrad kongenial in unsere an einschlägigem Vokabular so arme Sprache übersetzt worden ist.

Inhalt:
VORBEMERKUNG .......... 5
ERSTER TEIL
Pietro Aretino seinem Äffchen .......... 15
DER ERSTE TAG
Wie Nanna in Rom unter einem Feigenbaum der Antonia
von dem Leben der Nonnen erzählte .......... 19
DER ZWEITE TAG
Wie Nanna der Antonia vom Leben der Ehefrauen erzählte .......... 71
DER DRITTE TAG
Wie Nanna der Antonia vom Leben der Freudenmädchen erzählte .......... 127
ZWEITER TEIL
Widmung .......... 193
DER ERSTE TAG
Wie Nanna ihr Töchterlein Pippa im Hurenberuf unterrichtet .......... 196
DER ZWEITE TAG
Wie Nanna der Pippa von den schnöden Streichen erzählt,
die die Männer den unglücklichen Weibern spielen,
die ihnen ihr Vertrauen schenken .......... 285
DER DRITTE TAG
Wie Nanna und Pippa in ihrem Garten saßen und der Gevatterin
und der Amme zuhörten, die sich über die Kunst der Kuppelei unterhielten .......... 370

Vorbemerkung von Rudolf Noack
Übertragen von Heinrich Conrad

Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig
1. Auflage 1903
2. Auflage 1980
3. Auflage 1981
4. Auflage 1985
5. Auflage 1987
6. Auflage 1989

Bernhard Faust: Das Wort war seine Macht - Das Leben Robert Blums


Klappentext:
An einem trüben Novembertag des Jahres 1848 wird der Abgeordnete des Frankfurter Parlaments Robert Blum in Wien zur Exekution geführt. Das Gericht hat die Immunität des Abgeordneten nicht respektiert. Doch warum ist nur er verurteilt worden, warum nicht die Gefährten - Fröbel und Hartmann? Sie haben doch auch gegen Windischgrätz gekämpft! Blum weiß nicht, daß er das Opfer politischer und privater Intrigen ist. Ihn beschäftigt jetzt nur noch die Frage nach dem Inhalt seines Lebens. Aber hat er je nach persönlichem Wohlleben gestrebt? In entbehrungsreichen Kindheitsjahren nicht, nicht beim Tode Adelheids, und auch jetzt wird er stark bleiben, obwohl er Frau und vier Kinder schutzlos zurück läßt. Noch einmal durchlebt er in diesen Augenblicken seine Vergangenheit. Glück, Recht und Freiheit aller Deutschen bedeuteten ihm stets alles. Für sie wirkte er in Leipzig im Schillerverein, als Publizist; deshalb ging er nach Frankfurt, als man ihn ins Parlament wählte; und deshalb kämpfte er auch für die Revolution hier in Wien. Er hat nichts zu bereuen. Sein Leben war sinnvoll. Aufrecht und gefaßt kann Blum dem Tode entgegensehen, und er ruft an seinem Grabe: "Ich sterbe für die Freiheit. Möge das Vaterland meiner gedenken!"

Inhalt:
I – Jugend ohne Freude .......... 7
II – Wenn einer eine Reise tut .......... 44
III – Unteroffizier Kindermann .......... 77
IV – Die gute alte Zeit .......... 87
V – Bedarf an Politik .......... 114
VI – Figaro Blum .......... 121
VII – Mein Leipzig lob' ich mir .......... 136
VIII – Wiedersehen mit dem Leben .......... 155
IX – Jenny und die Politik .......... 169
X – Sächsische Politik .......... 224
XI – Nationalpolitik .......... 245
XII – Die Reise nach Wien .......... 303
XIII – Helden der Revolution .......... 328
XIV – Der Diplomat im Hinterhalt .......... 347
XV – Die Vollstreckung .......... 363

Schutzumschlag- und Einbandgestaltung: Günter Junge

Buchverlag der Morgen Berlin
1. Auflage 1961


17 November 2024

Rudolf Braune: Das Mädchen an der Orga Privat

Klappentext:
„Liebe Eltern, bin gut angekommen...“, schreibt Erna Halbe an die Eltern. Vorfreude auf eine neue Arbeit, Neugier auf die große Stadt und auch ein wenig Ängstlichkeit erfüllen die Zwanzigjährige, die aus einem kleinen mitteldeutschen Industriestädtchen nach Berlin gekommen ist. Sie möchte gut verdienen, selbständig sein, etwas erleben. Unter den Mädchen im Büro lernt sie Fröhlichkeit und Sorge kennen. Ihr begegnet die Liebe, sie glaubt sich glücklich. Aber dann geschehen Dinge um sie herum, die sie heftig erschrecken, aufrütteln und aus dem stillen Mädchen eine tapfere Heldin des Alltags erwachsen lassen. Eine kleine alltägliche Geschichte? Vielleicht! Aber mit wieviel Wärme, Sympathie, Engagement vermag der junge, begabte, leider zu früh verstorbene Rudolf Braune die Größe dieser einfachen arbeitenden Menschen wiederzugeben und echtes Milieu vom Ende der 20er Jahre zu zeichnen.

Buchanfang:
Eines Morgens, im Frühjahr 1928, kommt ein junges Mädchen mit dem Leipziger Zug auf dem Anhalter Bahnhof in Berlin an. Niemand erwartet sie. Niemand beachtet sie in dem Gewühl dieses Berliner Arbeitsmorgens, unter dem Rauch eines feuchten, traurigen Himmels. Sie trägt einen anscheinend sehr schweren Handkoffer, denn ab und zu nimmt sie ihn in die andere Hand. Das Mädchen geht langsam mit kleinen Schlenkerschritten und betrachtet mit mürrischem, verschlafenem Gesicht die eifrig herumlaufenden Menschen, Bahnbeamte, Verkäufer, Zeitungshändler, Arbeiter und Reisende. Als sie aus der rußigen Halle herauskommt, ziehen gerade die Regenwolken auseinander, und die Asphaltpfützen glänzen auf. Ein matter Schein huscht über die grauen Häuserfronten, springt über Firmenschilder, an Erkern und vorgetäuschten Balkonen vorbei, über die Straße bis zu diesem kleinen Mädchen, die einige Minuten am Ausgang des Anhalter Bahnhofs stehenbleibt, ehe sie im Gewühl der Stadt verschwinden wird. Ihr Koffer steht neben ihr auf dem Boden, die großen Hände stecken in den Taschen des braun gesprenkelten Mantels. So sieht Erna Halbe zum ersten Male Berlin.
Sie kommt aus einem kleinen Industrienest in der Nähe von Korbetha im Mitteldeutschen. Ihr Vater arbeitet in der Zeche, sie selbst, das vierte Kind von elfen, hat Stenographie gelernt und Schreibmaschine und vier Jahre bei einem Rechtsanwalt gearbeitet. Die Enge im elterlichen Hause, der ewige Streit und Krach paßten ihr nicht mehr. Nach vielen vergeblichen Versuchen und Bewerbungen erhielt sie endlich vor ein paar Tagen eine Zusage aus Berlin. Einhundertdreißig Mark brutto, schrieb die Gesellschaft, Arbeitsantritt Mittwoch früh neun Uhr.
Das war ihre erste große Reise.
Zuerst muß ich mir ein Zimmer suchen, überlegt sie. ........

Schutzumschlag und Einband: Paul Rosié
Die Erstausgabe erschien 1930.
Unsere Ausgabe folgt der 1960 in der Roten Dietz-Reihe erschienenen Auflage. *

Verlag Neues Leben, Berlin
1. Auflage 1975

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Verlagstext:
Ihre Kleider sind längst nicht so schick wie die der anderen Mädchen, man merkt: sie kommt aus der Provinz, die kleine Erna Halbe, die eben ihre Stelle in der Eisenverwertungs-GmbH in Berlin angetreten hat und nun hinter der klapprigen Orga Privat sitzt. Aber sie ist nicht auf den Kopf gefallen, sie hat Mut und ein gesundes Rechtsgefühl, und so wird sie unversehens zur Rebellin. Und als sie gehen muß, geht sie stolz und ungebrochen: sie hat den Kampf aufgenommen, und sie wird weiterkämpfen.

Mit einem Nachwort von Otto Gotsche
Erstausgabe 1930

Dietz Verlag, Berlin
Reihe:
rdr Rote Dietz-Reihe, Bd. 2
1. Auflage 1960 [  1. - 40. Tsd.]
2. Auflage 1961 [41. - 60. Tsd.]