18 Oktober 2025

Saul Bellow: Der Regenkönig

Klappentext:
Eugen Henderson, der Held und Ich-Erzähler dieses tragikomischen und sich in brillanten Einfällen überstürzenden Romans, befindet sich in einem Dilemma, das schwer zu lösen ist. Mit allen irdischen Gütern gesegnet, verheiratet mit einer hübschen Frau, Vater einer erklecklichen Zahl von Kindern, hat er sich vom Menschen entfernt und dürstet nach einem sinnvollen Leben. »Als ich aus dem Krieg zurückkehrte«, so bekennt er, »hatte ich vor, Schweinezüchter zu werden, und das veranschaulicht, was ich vom Leben im allgemeinen hielt.« Wie alles, was der robuste Millionär anpackt, gedeiht ihm auch die Schweinezucht, auf die er sich genauso vehement stürzt wie auf das Geigenspiel. Doch weder die einträgliche Viehzucht noch das Spiel auf einem Instrument, das in seinen riesigen Händen zerbrechlich wirkt, befriedigt ihn. Henderson beginnt, gegen seine mit pragmatischen Vorstellungen belastete Umwelt und gegen seine Gewohnheiten, Vorurteile, gegen die eigene Seele zu randalieren. Diesem heillosen Durcheinander ist er auf die Dauer nicht gewachsen. Sein gequälter Schrei »Ich darbe!« wird immer drängender, seine Sehnsucht wird zum alles beherrschenden Element, das leitmotivartig auch durch dieses Buch zieht. Der Lebensüberdruß, der Ekel vor dem amerikanischen Alltag treibt ihn nach Afrika, das bei Bellow keine reale Welt ist, vielmehr eine Art imaginärer pädagogischer Provinz, welcher der anthropologisch geschulte Autor einige realistische Züge verleiht. Ihre Funktion im Roman ist die eines Zauberberges, wo der Held neuen Eindrücken ausgesetzt wird und eine Wandlung erfährt. Beim friedlichen Arnewi-Stamm versagt Henderson und treibt ihn ungewollt in noch tieferes Elend. Bei den Wariri findet er in dem jungen König Dahfu einen Freund, der ihn mit fast burlesk zu nennenden Mitteln zu sich selber zurückführt. Hendersons erste konstruktive Tat im Leben ist die Teilnahme an den rituellen Feierlichkeiten, die den Regen herbeizaubern sollen. Er bewegt die zentnerschwere Statue der Regengöttin und wird zum Sungo, zum Regenkönig, ernannt. Und dann schließt er Freundschaft mit Dahfus Löwin; denn er soll, wie sein hochgebildeter Berater ironisch erklärt, erst über das Tierische das Menschliche neu entdecken. Dahfus kuriose pädagogische Bemühungen sind erfolgreich, Henderson kehrt mit dem festen Entschluß nach Amerika zurück, ein tätiges Leben zu führen und Medizin. zu studieren. In seiner Begleitung befinden sich ein Löwenbaby und ein persischer Waisenjunge. Auf einem schneeverwehten Flugplatz des amerikanischen Kontinents hält der hünenhafte Mann das Kind auf dem Arm und läuft, trunken vor Glück, durch den Schnee.
Bellows anspruchsvolles Buch vereint Elemente des Schelmenromans, des Entwicklungsromans und des Reiseromans. Die Prosa strotzt vor Ironie, Parodie, Witz und bizarren Gedanken, sie ist durchdrungen von philosophischen Erörterungen, eigenwilligen Symbolen und schwierigen Metaphern, die der literarischen Darstellung einer für den heutigen Amerikaner entscheidenden Problematik untergeordnet sind: der Suche nach dem Sinn des Lebens. Die individualistische Spiegelung amerikanischer Gegenwart durch das Bewußtsein einer Romangestalt entfernt sich nur scheinbar von der Wirklichkeit, wenngleich die Einengung des Blickfeldes bei Bellow genau wie bei anderen modernen amerikanischen Autoren deutlich wird. Trotz der Verschlüsselung, der auch die weitverzweigte Symbolik dient, kommt die humanistische Aussage stark und überzeugend zur Geltung. Bellow geht es letztlich um die Situation des Menschen in der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Wenn die mit den Zügen des Anti-Helden ausgestattete Zentralgestalt am Ende ihres Weges feststellt: »Ich bin jetzt in dem Alter, in dem ich menschliche Stimmen und menschliche Intelligenz brauche. Das ist das einzige, was einem noch bleibt. Güte und Liebe«, so wird damit unterstrichen, daß seine Suche nach außen und nicht nach innen gerichtet ist. Hendersons Schlaf ist gesprengt, er ist zu sich selber gekommen und wird zu den »anderen« finden. »Der Dialog«, so schrieb der Erzähler Bellow, »nicht der Monolog ist die Grundlage des zivilisierten Lebens.« Diese entscheidende Erkenntnis liegt nicht nur dem Buch über Eugen Henderson zugrunde, sondern auch den anderen Prosawerken Bellows. Von diesem bedeutenden Romancier der amerikanischen Gegenwartsliteratur als literarische Monologe formuliert, sind sie ein Weg vom Monolog zum Gespräch.

Saul Bellow, 1915 in Lachine, Kanada, als Sohn russischer Einwanderer geboren, lebt seit 1924 in Chikago. Er studierte Anthropologie, Soziologie, Literaturwissenschaften an der Universität von Chikago und an der Northwestern University. Er war als Lehrer, Hochschuldozent und Professor tätig. 1944 erschien sein erster Roman, »Dangling Man«. Es folgten die Romane »Das Opfer« (1947), »Die Abenteuer des Augie March« (1953, National Book Award), »Das Geschäft des Lebens« (1956), »Der Regenkönig« (1959), »Herzog« (1964, National Book Award) sowie das Drama »The Last Analysis« (1964), Kurzgeschichten und Essays.

Titel der Originalausgabe: HENDERSON THE RAIN KING
Deutsch von Herbert A. Frenzel

Schutzumschlag, Einbandentwurf: Heidrun Hegewald

Verlag Volk und Welt, Berlin
1. Auflage 1966
2. Auflage 1976
3. Auflage 1984

04 Oktober 2025

Helga Stötzer: Hier spricht Berlin

Buchbeginn

"Volltreffer!", schreit der Junge und reißt begeistert die Arme hoch, so, als stünde er wieder in der Pause auf einer der hintersten Schulbänke, wenn nach wohlgezieltem Wurf der nasse Schwamm inmitten langer Zahlenkolonnen von Geschichtsdaten an der Wandtafel gelandet war. "Volltreffer!, will er noch einmal rufen, aber da haben die Flugzeuge neben der Maschine, die mit schwarzer Rauchfahne abtrudelt, schon die Bomben ausgeklinkt, um die Geschütze der Flakbatterie zum Schweigen zu bringen. Ein Splitter fährt ihm in den Hals. Er taumelt hilflos, stürzt. Langsam verrinnt das Leben des Flakoberhelfers Peter Öser.
Seinen Kameraden Horst Baumert packt das Grauen, lähmt das Entsetzen! Er steht, starrt, preisgegeben dem ringsum dröhnend berstenden Tod. Doch es ist eine lebendige, warme Hand, die er jetzt im Nacken fühlt, die ihn zu Boden reißt und in die schützende Erde des Wallgevierts drückt. So nahe ist der andere ihm, daß er außer dem eigenen flatternden Puls dessen kräftige Herzschläge spürt. Die Angst des Jungen löst sich in kindlichem Weinen.
 

Militärverlag der DDR
1. Auflage 1972
Umschlag: Harri Förster 
Reihe: Tatsachen 131 
 

02 Oktober 2025

Helga Schütz: Das Erdbeben bei Sangerhausen und andere Geschichten (1972)

Helga Schütz (2. Oktober 1937 geb.) arbeitete seit 1962 als freie Drehbuchautorin für die DEFA, anfangs vorwiegend im Dokumentarfilmbereich. Vereinzelt führte sie auch selbst Regie. In den 1970er-Jahren schreibt sie auch Prosa, in der sie teils eigene Kindheits- und Jugenderlebnisse in poetisch verfremdeter Form wiedergibt.


Buchinfo

Wenn erzählt wird, daß Kinder in einem Schloß wohnen, einem Bauwerk mit Türmen, Hallen, Portalen, Säulen, Salons und bunttapezierten Boudoirs, dann fühlt man sich an die Welt des Märchens erinnert. Wenn Brautleute im Pferdeschlitten zur Dorfkirche fahren und danach zum tanzumrahmten Festessen in der Kneipe, dann denkt man an Fröhlichkeit, Hochzeitsnacht und tränenfreudige Elterneintracht. Ein Erdbeben bei Sangerhausen freilich löst Verwunderung aus: in der Südsee vielleicht oder in Kleinasien! Indessen: Die Erde hat wirklich gebebt, wie bezeugt wird, die Kinder im Schloß sind keine Märchenfiguren, und die Hochzeitsfeier endet mit Zank und Streit und einem Toten...

Abseits also von Phantasterei, doch mit Phantasie und Sinn für poetische Details weiß Helga Schütz diese acht Geschichten zu präsentieren; es ist das zweite Buch einer Autorin, die schon mit dem Erstling "Vorgeschichten oder Schöne Gegend Probstein" ihr Talent unter Beweis stellte.


Leseprobe

Kannst du dir vorstellen, der Postfritze hat von nichts was gewußt. Er hatte heute morgen für Herrn Heinrich einen Brief und ist dort mit seinem Fahrrad vorgefahren, wie der Postfritze das immer macht, Brief schon in der Hand und Gedanken immer schon ganz woanders. Er steigt ab, lehnt das Fahrrad an die Kastanie, macht drei Schritte, hat die Hand schon in Briefkastenhöhe, hebt die Augen, rennt drei Schritte zurück und einen Schritt vor. Kein Haus mehr da, keine Türe und kein Briefkasten. Nur noch kaputte Trümmer. Also der hat Augen gemacht, dem blieb vielleicht die Spucke weg, sag ich dir, sagt der Kleine, und den Brief hat er in die Posttasche ins Fach für die nichtzustellbaren gesteckt.

Aufbau-Verlag
1. Auflage 1972
Illustrationen von Günther Lück

 

14 September 2025

Hermynia Zur Mühlen: Als der Fremde kam

Buchinfo

Hermynia Zur Mühlens Roman"Als der Fremde kam", 1946 englisch, 1947 deutsch erschienen, versucht Antwort zu geben auf eine der brennendsten Fragen ihrer Zeit: Wie war es möglich, daß eine unmenschliche Ideologie so viele Anhänger und Mitläufer fand? Wie konnte es geschehen, daß die Tschechoslowakei an die Nazis verschachert wurde? Warum stimmten so viele der slowakischen Landsleute einem faschistischen Marionettenstaat unter dem Heuchler Tiso zu?
Die Autorin, die selbst eine Zeitlang Zuflucht in der Tschechoslowakei fand, erzählt packend von den Geschehnissen der Jahre 1937 - 1939 in einem kleinen Marktflecken bei Bratislava. Aus dem ungestört freundschaftlichen Zusammenleben verschiedener Gruppen und Nationalitäten wird ein brodelnder Hexenkessel, als die Fremden aus Deutschland Haß und Zwietracht säen, als sie die Gier nach Macht und Besitz wecken. Das historisch getreue Bild gewinnt Farbe und Leben in der anschaulichen Darstellung verschiedenster Charaktere und ihrer Reaktion auf die Zeitereignisse. Während die einen von Angst und Schrecken erfaßt werden, beginnen die anderen, wachgerufen, zu handeln und zum furchtlosen Auftreten gegen die Faschisten zu ermutigen. Mehr noch als die "Hochgestellten", als der Pfarrer Jeszenák und seine resolute Schwester, vermag dies die "ungebildete slowakische Bäuerin" Marianka, in der ihre Feinde bald den "gefährlichsten politischen Gegner" erkennen, denn "sie ist ein vollkommen guter und anständiger Mensch". Aber auch die ängstliche Schwester Veronika zeigt in der Stunde der Gefahr Hilfsbereitschaft und den Mut zum Opfertod. Sie alle geben der zögernden, um ihre Ruhe und ihr persönliches Glück besorgten Clarisse Herdegen, der Hauptgestalt des Buches, schließlich Kraft zum Handeln und die Gewißheit, daß trotz "der Finsternis über dem ganzen Land" das Licht weitergetragen werde, das "keine Roheit und keine Unmenschlichkeit zu verlöschen vermag".


Buchbeginn

Friede
Morgen

Clarisse Herdegen stand auf der breiten Veranda des einstöckigen Gutshauses und blickte in den Morgen hinaus. Der eine Teil des Gartens träumte noch in der Dämmerung des Zwielichts. Über den andern huschten blasse Sonnenstrahlen, die mit jedem Augenblick leuchtender wurden. Dem Märzmorgen eignete etwas Unwirkliches, fast Unirdisches. Clarisse hatte das Gefühl, als erstrecke die Zeit sich vor ihr, endlos, durch nichts unterbrochen. Ein kleiner Morgenwind erhob sich und hüpfte leichtfüßig von Baum zu Baum.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
Reihe bb
 

10 September 2025

Hermynia Zur Mühlen: Unsere Töchter, die Nazinen

Buchinfo

Hermynia Zur Mühlen, die früh mit ihrer adligen Familie gebrochen hatte und durch eine Reihe engagierter Bücher bekannt geworden war, wandte sich 1938 mit dem Roman "Unsere Töchter, die Nazinen" erneut einem beklemmend aktuellen Thema zu: der gefährlichen Faszination, die der Faschismus um 1933 auf die Jugend in Deutschland ausübte.
Der Verführung erliegen drei Mädchen einer kleinen Stadt am Bodensee, die in den Versprechungen der Nazis einen Ausweg sehen aus einem Dasein, das sie langsam zu ersticken droht. Toni Gruber hat die Stellung in der Fabrik verloren und ist zutiefst enttäuscht, daß sich für die Arbeiter nichts von dem verwirklicht hat, "was 1918 versprochen wurde". Claudia Saldern will heraus aus der vornehmen Abgeschiedenheit im Hause der gräflichen Mutter, heraus aus dem Leben mit "Schatten" und "Gespenstern" einer Zeit, "die es nicht mehr gibt". Und Lieselotte Feldhüter langweilt sich ganz einfach in dem kleinbürgerlichen Milieu ihrer Familie. Die geistigen und charakterlichen Wandlungen der Töchter, ihre Ratlosigkeit und ihre Konflikte greifen unmittelbar in das Leben der Mütter ein. Sie leiden und ängstigen sich um die Töchter, aber die Angst lähmt sie nicht, sie aktiviert und festigt ihre moralische und politische Haltung. Kati Gruber, den sozialdemokratischen Ideen ihres Mannes treu, und Gräfin Agnes, ihren humanistischen Bildungsidealen verpflichtet, entscheiden sich gegen den Faschismus und damit gegen ihre Töchter. Frau Doktor Feldhüter bekennt sich aus karrieristischen Gründen zu den Nazis. Die Autorin läßt die Zerwürfnisse zwischen Mutter und Tochter, den verzweifelten Kampf der Mütter um die Töchter und die historische Situation, aus der diese Spannungen entstehen, von den Müttern erzählen. Denn der Weg der Nazinen endet schließlich da, wo die Mütter sie hingeführt haben.


Buchbeginn

Kati Gruber erzählt

Wie die Zeit vergeht. Heute, am dritten Januar 1933, sind es gerade sechs Jahre, daß mein lieber Mann gestorben ist, und zwei Jahre, daß meine Toni ihre Arbeit verloren hat. Mir scheint es, als wäre beides erst gestern geschehen. Ich sehe noch der Toni ihr Gesicht vor mir, wie sie mittags heimgekommen ist, ganz blaß, und als wäre sie mit einem Male viel magerer geworden; ich höre noch, wie sie mit verbitterter Stimme sagt: "So, jetzt lieg auch ich auf der Straße, die Fabrik schließt." Sie hat nicht geweint, meine Toni weint ja nie, sie frißt alles in sich hinein, und das hat mir immer Sorge gemacht, schon wie sie noch ein kleines Kind war. Darum haben wir einander vielleicht auch nie ganz richtig verstanden. Bei mir muß alles heraus. Freude oder Kummer, ich kann nicht schweigen.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar

1. Auflage 1983
Reihe bb Nr. 508

 

06 September 2025

Erwin Strittmatter: Ein Dienstag im September

Buchinfo

Es ist, als schaute man durch sechzehn Fenster in die Welt, um sie auf neue Art sich zu erobern: schmunzelnd auf den mägdelüsternen und Hörner tragenden Onkel im Ausbauernhof, ärgerlich auf den fetten Schleicher mit der tödlichen Wettsucht, nachdenklich auf den alten Adam, der dem Geheimnis Elektrizität auf der Spur ist, und stolz auf den bildungshungrigen Pflüger Werner Wurzel, der sich ein eigenartiges steinernes Denkmal setzt. Lust und List, Starrsinn und Frohsinn, Stillstand und Fortschritt: Ausblick wird gewährt auf ein Panorama mit Landschaften und ganz alltäglichen Begebenheiten von gestern und heute - und Einblick erlaubt in das Schaffen eines Schriftstellers, der mit seinen Kurzgeschichten und Erzählungen genaues Lesen lehrt und das Vergnügen zu denken.


Buchbeginn

Onkel und Tante waren Ausbauern, lebten seit der Erschaffung meiner Welt auf ihrem Hofe, und jedes Sandkorn dort kannte sie. Vorzeiten mochten die Kinder der Hofstelle aus der Erde gekrochen sein, doch Generationen von Heidbauern verfeinerten die Erdhöhle mit Gebälk und Gemäuer zu einem Gehöft.
Onkel und Tante beunruhigten ihre Äcker mit Pflügen und Hacken, reizten sie mit Tiermist zu Taten, und die Taten der Äcker waren Lein, Kartoffeln und Buchweizen. Onkel und Tante aßen Kartoffeln, brieten sich Kartoffeln und gequollenen Buchweizen in Leinöl und wurden wandelnder Sand von ihren Äckern.

Aufbau-Verlag

 

Erwin Strittmatter: Schulzenhofer Kramkalender

Buchinfo

Was Brecht für notorische Dummköpfe empfahl, warum Wissen unruhig macht, zu welchem Zweck der Großvater Zauberrunen in die Kürbishäute ritzte, weshalb zuwandernde Stare die Autorität eines Vaters retten können, wie es kam, daß sich der Bussard vor den Krähen duckte, und wieso der siebente Schnaps den Postboten eifersüchtig machte - all das erfährt man aus dem "Schulzenhofer Kramkalender". Er enthält zweihundert poetische Miniaturen, Kalenderblätter von außergewöhnlichem literarischem Reiz. Es sind Kurzgeschichten, Anekdoten, Naturschilderungen, Tierbeobachtungen, verknüpft mit kleinen und großen Lebensweisheiten. Der Leser erlebt Landschaft und Leute der Mark, vor allem aber die Persönlichkeit eines Schriftstellers, der mit sich und seiner Umwelt Zwiesprache hält.


Buchbeginn

,Kalendersterne' Wenn Nebel über den Feldern und über dem Dorf lag, machte Großvater ein Kreuz in den Kalender. "Nebel gibt nach hundert Tagen Regen", behauptete er. Morgennebel, Abendnebel, Ganztagsnebel - alle wurden von Großvater zum Wettermachen verwendet.
Manchmal regnete es an einem von Großvaters angekreuzten Tagen wirklich, manchmal nicht. Dann mußte Großvater sich herausreden: Das Gewitter war über der Kreisstadt niedergegangen, oder der Regen konnte nicht zu Stuhle kommen, weil das Land zu ausgedörrt war.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
4. Auflage 1971