18 April 2020

E. R. Greulich: Der anonyme Brief - Ein Karl-Liebknecht-Roman

Als er von Budapest zurückkehrt, findet er unter der eingegangenen Post einen umfangreichen Brief. Der Absender ist unleserlich, und das stimmt skeptisch. Anonyme Briefe bedeuten meist Klatsch und Tratsch. Aber dann liest er den Inhalt mit wachsender Erregung. Er ruft seine Frau: Schau dir das an, Sophie. Hier wird Krupp Spionage vorgeworfen, Bestechung von Beamten der Militärverwaltung. Wenn das stimmt, es wäre Dynamit unter den Sesseln einiger Herren!
Sophie warnt: Vorsicht, Karl! Womöglich will der Gegner dich in eine Falle locken. Du mußt sorgfältig prüfen, ob das Material echt ist.
In diesem Roman hat E. R. Greulich das ereignisreiche Jahr 1913 im Leben Karl Liebknechts gestaltet. Durch sorgfältige Studien brachte der Autor auch wenig Bekanntes ans Licht und zeichnete einprägsame Charakterbilder inmitten eines lebendigen Zeitkolorits.

NACHBEMERKUNG DES AUTORS
Auf vielen Lesungen hörte ich immer wieder die Frage: Ist das nun alles wahr oder erfunden? – Auch für diesen Roman gilt: Historische und politische Daten, Fakten und Persönlichkeiten haben für den Autor unumstößliche Grundpfeiler des Werkes zu sein. Er darf – und muß – lediglich bei den privaten Episoden, den Alltagsbegebenheiten und Nebenfiguren seine Phantasie walten lassen. Er hat das durch die Historie vorgezeichnete Gerüst der Tatsachen mit Handlung zu füllen, wobei auch hier genaue Kenntnis des Milieus und der Zeitumstände unerläßliche Voraussetzungen sind. Wesentliche Aussprüche der Hauptpersonen dieses Romans sind authentisch, resultieren aus dem Studium von Erinnerungsbänden, Memoiren und anderen Selbstzeugnissen der Betreffenden. Dies zu bemerken scheint mir notwendig, weil besonders bei den Auslassungen von Freund-Feinden und Gegnern Karl Liebknechts in manchem Leser der Verdacht aufkommen könnte, hier habe der Verfasser die Charakterisierung überzogen. Doch man lese in den Erinnerungsbänden der Scheidemann, Noske, Ebert, David und anderer rechter sozialdemokratischer Führer jener Zeit. Man greife zum Tagebuch des Grafen Zedlitz-Trützschler oder zu den Büchern der Fürstin Radziwill, des einstigen Reichskanzlers von Bülow, der Krupp-Biographen und zu ähnlichen Betrachtungen von Kronzeugen um die beiden Busenfreunde Wilhelm II. und Krupp, und man wird ebenso erstaunt oder erschrocken sein wie der Autor bei seinen Studien.
Einen Roman über Karl Liebknecht zu schreiben, ist ohne den Beistand marxistisch-leninistischer Historiker schwerlich denkbar. Deshalb möchte ich dem Genossen Professor Dr. Wohlgemuth für seine bereitwillige Zusammenarbeit, für seine wissenschaftliche Beratung und Hilfe danken. Mein Dank auch dem Genossen Dr. Radczun für die wertvollen Hinweise beim Erarbeiten des Konzepts und dem Genossen Grevenrath, Deutsche Staatsbibliothek, für seine ständige Konsultationsbereitschaft und die Beschaffung schwierig erlangbarer Werke. Herrn Helmut Liebknecht, Moskau, dem ältesten Sohn Karl Liebknechts, verdanke ich die Kenntnis mehrerer Episoden, die im Roman ihre Gestaltung fanden.
Belletristische Arbeiten über Karl Liebknecht sind äußerst rar. Das empfand ich nicht zuletzt als Grund, mich an das schwierige Unternehmen zu wagen. Entscheidend war mein Gefühl des Dankes und der Verpflichtung einem Manne gegenüber, der wie kein anderer das geistige Gesicht der damaligen deutschen Arbeiterjugend prägen half. Ich habe ihn nur einmal in den stürmischen Novembertagen des Jahres achtzehn bei einer Massendemonstration von fern gesehen. Als man ihn mordete, war ich zehn Jahre alt, er mir jedoch bereits zum Begriff geworden. Denn wir Arbeiterkinder haßten den Krieg, der für uns gefallene Väter, vermißte Brüder, verkrüppelte Verwandte bedeutete sowie Kohlrübenwinter, Hungerödeme und härteste Kinderarbeit. Karl Liebknecht war dagegen aufgestanden, hatte den Kriegshyänen sein Nein entgegengeschleudert, dem Volk jedoch den Weg zu Frieden und Demokratie gewiesen. Das hat sich tief in die Seele des hungernden Arbeiterjungen eingegraben. Wir wurden älter, bewußter, die proletarische Jugendbewegung wuchs an Zahl und Reife. Dem Karl Liebknecht haben wir's geschworen, sangen wir, und es war kein Lippenbekenntnis. Sein Wort, Jugend ist die reinste Flamme der Revolution, fand in uns eine Umkehrung dergestalt, daß wir in ihm das leuchtende Vorbild sahen.
An meiner Grundeinstellung zu der mitreißenden Persönlichkeit hat sich nichts geändert. Millionen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik, in den sozialistischen Freundesländern, ja in der ganzen Welt, empfinden ähnlich, und wenn wir am 13. August 1971 seines hundertsten Geburtstages gedenken, wissen wir, daß ein Karl Liebknecht nicht besser zu feiern ist als in der Steigerung der Anstrengungen für unsere für eine Gesellschaftsordnung, die Karl erträumte und für die er sein Leben gab.
Frübjabr 1971 - E. R. Greulich

KAPITTELFOLGE
1. Licht im Novembernebel ..... 7
2. Erfolg in Paris ..... 19
3. Gezügelte Ungeduld ..... 35
4. Von Bienen und Menschen ..... 50
5. Strudel in der Schleuse ..... 62
6. Deutsche Geschichte – einmal anders ..... 76
7. Illegale Fortsetzung – ganz legal ..... 96
8. Plüsch und Paragraphen ..... 112
9. Das dritte Gesicht ..... 124
10. Begegnung mit lebendiger Vergangenheit ..... 137
11. In London ist nicht nur Nebel ..... 149
12. Preußischer Schnürleib – und eine Libellentaille ..... 163
13. Singen mit geschlossenem Mund? ..... 177
14. Was wäre ein Mensch ohne Freunde ..... 191
15. Gericht im Reichstag ..... 207
16. Die Wölfe sammeln sich ..... 225
17. Wann Geheimnisse keine Geheimnisse sind ..... 240
18. Die Wölfe heulen ..... 254
19. Bern ist nicht Berlin ..... 266
20. Der Kaiser demonstriert ..... 285
21. Ein Wahlsieg darf kein Pyrrhussieg sein ..... 300
22. Nagelprobe ..... 315
23. Wermut in der Urlaubsfreude ..... 331
24. Verpflichtung ohne Stempel und Siegel ..... 347

Schutzumschlag: Drechsler/Schneider
Einband: Eberhard Binder-Staßfurt

Verlag Neues Leben, Berlin

1. Auflage 1971
2. Auflage 1972
3. Auflage 1975
4. Auflage 1979

Auch erschienen bei:
Buchclub 65
Berecht. Ausg.1972

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