18 April 2020

Jurek Becker: Jakob der Lügner

Jurek Becker (geb. 1937): "Was aber Literatur bewirken könnte, ist, die sie umgebende Gesellschaft feinfühliger zu machen; sie auf geheimnisvolle Art und Weise zu sensibilisieren, die nicht mit nackten Worten zu beschreiben ist, die plötzlich sichtbar oder spürbar wird, wenn einem Autor ein Buch gelingt. Literatur könnte Menschen empfindlicher machen, gegen Roheiten etwa, von Personen oder von Regierungen begangen, gegen Unrecht; sie könnte manche Menschen von Stumpfheit heilen helfen; sie könnte daran beteiligt sein, ein System von Alarmglocken zu installieren, das schon frühzeitig vor Gefahren warnt, vor Faschismus, vor Menschenverachtung, vor Krieg." (1981). Jurek Becker hat in seinem großen Roman "Jakob der Lügner" (zuerst 1969) das Trauma seiner Kindheit und Jugend zur Sprache gebracht. Die Geschichte Jakobs, der mit der "Lüge", über ein verborgenes Radiogerät Meldungen baldiger Befreiung vom Faschismus zu erhalten, Hoffnung unter den Bewohnern eines polnischen Ghettos weckt, wurde zum poetischen Gleichnis; so entstand ein Stück Warnliteratur, gültig, unabgegolten bis zum heutigen Tag.

Reclams Universal-Bibliothek Band 1218, 1. Auflage 1988
Belletristik


Jurek Becker hat seine Kindheit im Ghetto und in verschiedenen KZs verbracht. Seine Mutter, obwohl nach dem Krieg schon in Freiheit, starb noch an Unterernährung. Sein Vater überlebte Auschwitz und fand seinen Sohn. Ungefähr 20 Familienmitglieder waren umgebracht worden.
Da sollte man wirklich meinen, dass Jurek Becker in seinem Buch weiß, worüber er schrieb. Er lässt einen Ich-Erzähler über Jakob berichten. Dieser Ich-Erzähler lebte gemeinsam mit Jakob und vielen anderen in einem namenlosen Ghetto in einer unbekannten Stadt in Polen.
Als Jakob Mischa, einem jungen Burschen, bei der Arbeit beim Bahnhof das Leben retten will, weil der eine ungeheure Dummheit begehen wollte (er wollte nämlich Kartoffeln aus einem Waggon stehlen), schafft er es nur ihn davon abzuhalten, indem er ihm erzählt, dass die Russen schon 20 Kilometer vor Bezanika sind.
Auf die Frage, woher er das wisse, sagt er, er habe ein Radio.

Was natürlich nicht stimmt. Aber Jakob kommt nicht mehr dazu, schnell ein klärendes Wort mit Mischa zu reden, nachdem er ihn von den Kartoffeln abgelenkt hatte, und so macht diese Nachricht wie ein Lauffeuer die Runde durchs Ghetto. Und Jakob ist nun gezwungen, jeden Tag eine neue gute Nachricht aus dem Hut zu zaubern.

Jurek Becker hat einen wunderbaren Schreibstil. Er erzählt, wie die Menschen in dem Ghetto gelebt haben. Wie sie jeden Tag versuchten, etwas Normalität in ihr Leben zu bringen, und doch täglich Angst haben mussten, zum Transport abgeholt zu werden.

Das Buch erschien als Erstausgabe 1969 im Aufbau-Verlag, Berlin/DDR.

1974 wurde der Roman von Frank Beyer verfilmt (DEFA in Zusammenarbeit mit dem Fernsehen der DDR) und – als einziger Film der DDR – für den Oscar in der Kategorie bester ausländischer Film nominiert (siehe Jakob der Lügner (1974)).

1999 erfolgte mit Robin Williams als Jakob und Armin Mueller-Stahl eine amerikanische Neuverfilmung. Armin Mueller-Stahl spielte bereits bei der ersten Verfilmung den Roman Schtamm. In der Hollywood-Verfilmung werden die Nazis als von Natur aus böse dargestellt, wie es im Buch nicht der Fall ist. Auch wurde das Ende verändert.

Anne-Marit Strandborg

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.