15 April 2020

Leo Perutz: Sankt-Petri-Schnee

Das Leben des frischgebackenen Doktor Amberg ist bislang nicht gerade aufregend verlaufen, und zunächst scheint es, als ob sich daran nichts ändern soll. Amberg übernimmt eine Landarztpraxis in einem weltabgeschiedenen westfälischen Dorf, das fast immer in Nebel gehüllt ist. Doch schon sehr bald ereignen sich seltsame Dinge in Morwede, und Amberg wird gegen seinen Willen vom Strom des Geschehens fortgerissen.
Da gibt es den selbstherrlichen Baron von Malchin, der aus Enttäuschung über die vermeintliche Geschichtsöde der Gegenwart einer utopischen Mittelaltersehnsucht anhängt und in seinem Dorf ein "Kaisertum von Gottes Gnaden" wiederauferstehen lassen will. Besessen arbeitet er mit seiner ebenso schönen wie kapriziösen Assistentin Bibiche an einem wahnwitzigen Experiment: an der Herstellung des Sankt-Petri-Schnees, einer Droge, die unter den in tiefer Rückständigkeit gehaltenen Dorfbewohnern einen religiösen Massenrausch auslösen soll. Bald tauchen geheimnisvolle Besucher im Gutsschloß auf, angeblich Abkömmlinge alter königlicher Geschlechter, und da ist auch Federico, ein überaus stolzer und eigenwilliger Knabe, der einer Reliefdarstellung des letzten Hohenstaufenkaisers so verwirrend ähnlich sieht. Der Baron von Malchin glaubt sich seinem Ziel, dem Aufbruch der Seelen zu einem "neuen Gottesglauben", ganze nahe, doch das Experiment endet anders als geplant...
Eines Tages erwacht Doktor Amberg mit einer schweren Gehirnverletzung im Krankenhaus und sieht sich einer absurden Situation gegenüber: Er hat plötzlich zwei Vergangenheiten. Sind seine Erinnerungen an Morwede nur Ausgeburten des Fiebers, wie man ihm einreden will? Die Ungewissheit seiner Erinnerungen quält ihn ebenso wie die Gewißheit, daß man seine Erinnerungen retuschieren will.
Auch in diesem Roman erweist sich Leo Perutz als Meister des Traumhaften und Visionären, das den Ausgang bis zuletzt in der Schwebe läßt.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Aufl., 1989
bb-Reihe Nr. 632

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