Bücher und Schriftsteller, die in der DDR gelesen wurden. Schaut bitte nicht nur danach, ob hier jeden Tag Beiträge auflaufen, nutzt diesen Blog auch wie ein Lexikon. Er ist ein Langzeitprojekt, da ist es sicherlich verständlich, wenn zwischendurch immer mal wieder pausiert wird. Sei es, um nicht die Lust daran zu verlieren, aber auch, weil die Beiträge auch regelmäßig vorbereitet werden müssen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Stöbern und Erinnern oder neu entdecken.
28 Juni 2020
John Updike: Der Zentaur
Dieser Roman erzählt von den letzten drei Tagen im Leben des Oberschullehrers George Caldwell, dessen Alltag an der Olinger High School eine Kette von kleinen Ärgernissen und großen Enttäuschungen, von Niederlagen und Mißverständnissen ist. Und doch widmet er sich mit geradezu verzweifelter Begeisterung der Erziehung der jungen Generation. Die Geschichte Caldwells lehnt sich an die griechische Mythologie an, die der inneren Struktur des Werkes zugrunde liegt. Caldwell figuriert als der zweite Zentaur Chiron, der nach der Sage seine Unsterblichkeit opferte, um Prometheus zu erlösen. Die Rolle des Prometheus fällt Caldwells Sohn Peter zu; auch die anderen Gestalten des Buches – die Familie, Lehrer, Bürger der Stadt Olinger, Landstreicher und Schüler – lassen mehr oder weniger deutlich antike Anspielungen durchscheinen. Die Mythologie ist für den Autor kein Mittel zur Verschleierung realer Tatbestände, vielmehr werden Aspekte der Wirklichkeit – genauer: der amerikanischen Mittelstandsgesellschaft der Truman-Ära – durch die verfremdende Technik sichtbar gemacht. In diesem Milieu gleicht der Nonkonformist Caldwell einem wandelnden Anachronismus; umgeben von Konformisten und Kleinbürgern, gilt er, der für den Existenzkampf kaum geeignet ist, als Versager. Nur einige wenige Menschen, vor allem aber sein Sohn, sind ihm in Liebe zugetan. Sie sehen ihn so, wie der sagenumwobene Zentaur Chiron auf seine Schüler gewirkt haben mag: als Verkörperung des Guten, Weisen und Menschlichen.
Volk und Welt 1987
Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson
Mit einem Nachwort von Karl-Heinz Schönfelder
ex libris
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