29 Juni 2020

Stefan Heym: Schwarzenberg



Buchvorstellung von Hans-Georg Fischer

Für mich ist Stefan Heym einer der großen deutschen Schriftsteller. Sprachlich, stilistisch aber auch in der menschlichen Größe. Ich erinnere mich an die Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, wo er u.a. als Redner aufgetreten ist (und ich auch mit einem Spruchband teilgenommen habe). Auch das schäbige, unwürdige und stillose Verhalten – die gesamte Fraktion der CDU / CSU (mit Ausnahme von Rita Süssmuth) verweigerte ihm demonstrativ den Applaus – bei seiner Rede als Alterstagspräsident des Bundestages ist mir in Erinnerung.

„Schwarzenberg“ ist ein 1984 erstmals in München erschienener Roman von Stefan Heym. Erst 1990 ist er im Buchverlag Der Morgen (LDPD) in der DDR  erschienen.

Die Geschichte spielt sowohl in der Stadt Schwarzenberg im Erzgebirge als auch in der näheren Umgebung. Der Roman basiert auf einem realen Hintergrund. Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht 1945 wurde das Gebiet um Schwarzenberg weder von amerikanischen noch von den sowjetischen Truppen besetzt. Auch die Bildung eines antifaschistischen Aktionsausschusses (vergleichbar Räten oder Sowjets), der die Region provisorisch leiten sollte, beruht auf Tatsachen. Die Personen in Heyms  Roman sind jedoch frei erfunden. Er stützte sich dabei auf Ereignisse in der Amtshauptmannschaft Schwarzenberg, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges von den Alliierten nicht besetzt wurde und 42 Tage sich selbst überlassen blieb. In Ermangelung der Besatzer nahmen beherzte Frauen und Männer in 21 Städten und Dörfern ihr Schicksal in die eigenen Hände.

Die Erzählperspektive wechselt im Laufe der Geschichte mehrfach. Kadletz, ein fiktives Mitglied des Aktionsausschusses, berichtet als Ich-Erzähler. Zwischengeschaltet sind Passagen eines allwissenden Erzählers sowie „Militärische Zwischenspiele“, in denen, ebenfalls aus der Perspektive des allwissenden Erzählers, über das Verhalten der russischen und amerikanischen Militärregierungen berichtet wird.

Während die Erzählungen des „Genossen Kadletz“, wie ihn Heym im Vorwort bezeichnet, stark von Emotionen und persönlichen Meinungen sowie Nebensächlichkeiten geprägt sind, berichtet der allwissende Erzähler neutral.

Neben der Utopie der „Republik Schwarzenberg“ spielen auch persönliche Schicksale in dem vom Krieg zerrütteten Land eine Rolle. Im Vordergrund steht jedoch immer das Bemühen des Aktionsausschusses, die Versorgung mit Alltäglichem in der nun von ihm verwalteten Region zu regeln und später mit den Besatzungsmächten zu beiden Seiten erfolgreiche Verhandlungen zu führen. Auch die Frage, wie mit den bisherigen Inhabern der Macht umzugehen ist, stellt die neuen Amtsinhaber vor einige Probleme.

Die Utopie, die Heym in Schwarzenberg zeichnet, ist sozialistisch geprägt. Die starke Betonung der Basisdemokratie und des aktiven politischen gemeinsamen Wirkens von Menschen und damit ein bewusster Affront gegen den Stalinismus war den Machthabern der DDR jedoch ein Dorn im Auge und den Bürgern der DDR ein Hinweis, für ihre Rechte einzustehen. Damit kann der Roman als ein politischer Kommentar verstanden werden. Der Roman wurde daher in der DDR bis zum Zusammenbruch der SED weder öffentlich zur Kenntnis genommen noch erhielt er eine Druckgenehmigung. Erst im Jahre 1990 konnte er erscheinen.

Für mich ist dieser Roman aktueller denn je!

Buchverlag Der Morgen Berlin, 1990

Hans-Georg Fischer, Naumburg

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