
Seit wann deutsche Volksmärchen erzählt werden, ist nicht zu datieren, gewiß ist lediglich, daß sie in der Frühzeit menschlicher Kultur entstanden. Das erste schriftlich fixierte Märchenerzeugnis, der ,Cantus de uno bove' (Das Lied vom Einochs), begegnet uns im 11. Jahrhundert in der sogenannten Brüsseler Handschrift. Aufgezeichnet wurde es in Latein von einem Vaganten, vielleicht einem fahrenden Kleriker, der, ähnlich wie der Spielmann, im Lande umherzog und durch den Vortrag unterhaltsamer Dichtung sein Leben fristete. Dieser erste literarische Beleg eröffnet in der Übertragung von Tegethoff unsere Auswahl und ist gleichzeitig signifikant für das Auswahlprinzip der vorliegenden Texte, dem die jeweils erste schriftliche, das heißt literarische Überlieferung zugrunde liegt. Der Leser lernt die ihm vertraute Erzählweise eines Märchens in immer wieder neuen Varianten kennen und vermag somit, ihm bekannten Texten neue Seiten abzugewinnen. Dieses Vorgehen ermöglicht einen reizvollen Kunstgriff, in dem die Geschichte der Märchenüberlieferung nachvollziehbar wird. Die Herausgeberin spannt den Bogen vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, von der mittelalterlichen Einochs-Variante bis zu Wilhelm Buschs Variante dieses Typs, dem ,Bauer Pihwitt'. Dem Leser wird somit sowohl der Übergang in die Schriftlichkeit eines Märchens, die Zeitlosigkeit eines Typs, aber auch die Zeitbedingtheit einer Erzählvariante nahegebracht. So fand eine Vielzahl von regional orientierten Texten Aufnahme, im Laufe von Jahrhunderten von Sammlern aus mündlicher Überlieferung aufgeschrieben, die heute nur noch in seltenen Buchausgaben zu finden sind. Vorwort, Anmerkungen zu den Sammlern, Kommentare zu den Märchen sowie eine Bibliographie mit Quellenverzeichnis ermöglichen weitere Orientierungshilfe.
Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig, 3. Auflage 1988
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