29 September 2020

Wilhelm Raabe: Die Leute aus dem Walde


 Wilhelm Raabes Roman über "die Leute aus dem Walde" steht in der Tradition des humanistischen deutschen Entwicklungsromans, deren Höhepunkte Werke wie Goethes "Wilhelm Meister" und Gottfried Kellers "Grüner Heinrich" bezeichnen. Recht verschiedenartige Menschen sind es, die sich des verwirrten und ratlosen Robert Wolf als Erzieher annehmen: der Polizeischreiber Friedrich Fiebiger, der trotz bitterer Erfahrungen seinen Glauben an das Gute im Menschen nicht verloren hat, und der weltfremde Idealist Heinrich Ulex, der "Sternseher". "Gib acht auf die Gassen!" ist die Erziehungsmaxime des einen. "Sieh nach Sternen!" rät der andere. Doch nur eine kurze Strecke können die beiden sonderbaren Alten den Jüngling auf seinem Weg ins Leben begleiten. Robert Wolf muß seine eigenen Erfahrungen machen, das Leben mit seinen Widersprüchen und Gefahren selbst kennenlernen, um zum Manne zu reifen. In dem arroganten, nichtsnutzigen Baron Leon von Poppen, seinem Rivalen um die Gunst der schönen und liebenswerten Helene Wienand, offenbart sich Robert das Parasitentum der untergangsreifen Adelskaste; am Schicksal des Bankiers Wienand erfährt er, daß der materielle Besitz das Denken und Fühlen eines Menschen bis hinein in die privatesten Bereiche bestimmen und verändern kann. Als Robert später, bei der erfolgreichen Goldsuche in Kalifornien, plötzlich selbst ein nicht unbeträchtliches Vermögen erwirbt, überkommt ihn blitzartig eine schaudernde Ahnung von dem verhängnisvollen Einfluß des Geldes auf alle menschlichen Beziehungen.

Bis zum Schluß versuchen Robert Wolf und seine Freunde aus dem Winzelwalde ihre humanistischen Ideale zu bewahren und ihnen, den Widerständen der Zeit zum Trotz, auch nachzuleben. Es ist ein Vorgang von tiefem Symbolgehalt, wenn am Ende des Romans auf dem Poppenhof der Schandpfahl mit dem Halseisen als das sichtbarste Zeichen vergangener feudalistischer Unmenschlichkeit zertrümmert wird. Mit der Geschichte von den Leuten aus dem Walde hat Wilhelm Raabe auf seine Art dazu beigetragen, daß die Hoffnung der Menschheit auf künftige Gerechtigkeit und künftiges Glück in einer auf Unrecht gegründeten Gesellschaft wachgehalten wurde.

Wilhelm Raabe (1831-1910); Sohn eines Justizamtmanns; Besuch der Gymnasien in Holzminden und Wolfenbüttel ohne Abschluß; nach einer Buchhandelslehre in Magdeburg seit 1854 philosophische und historische Studien in Berlin; lebte, nachdem sein Erstlingswerk "Die Chronik der Sperlingsgasse" (1857) erschienen war, als freischaffender Schriftsteller in Wolfenbüttel, Stuttgart und Braunschweig.

Die Problematik der Entwicklung des deutschen Bürgertums nach der gescheiterten Revolution von 1848 ist das Hauptthema der großen realistischen Romane und Erzählungen Raabes.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1973
bb-Reihe Nr. 279
EVP 3,75

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