12 Januar 2021

Josane Duranteau: La Belle Indienne


 La Belle Indienne ist ein gottverlassenes Nest im Poitou. Der Lehrerin Marguerite, die dort aufwuchs, ist dieser Name Symbol für die unkomplizierte, glückliche Zeit ihrer behüteten Kindheit, an die sie jedesmal zurückdenkt, wenn sie die Welt mit ihrem neumodischen Kram nicht mehr begreift. Sechs Kinder hat sie geboren. Den Ältesten nahm ihr der Krieg, die anderen hält sie in strenger Zucht: von ihnen will sie keins mehr hergeben. Da bekommt ihr Sohn Jean einen Rappel, heiratet in Paris eine undefinierbare Person, ein Baby ist auch gleich da, und von all dem hat Marguerite nichts gewußt. Und was findet Emile an dieser quirligen Mimi, die häufiger im Tanzlokal zu finden war, als sie je die Schule besuchte? Emile schwimmt so in Glückseligkeit, daß er keinem vernünftigen Argument mütterlicherseits mehr zugänglich ist. Wenn schon die Söhne der Schwäche des Fleisches erliegen, so muß wenigstens die arme schüchtern Charlotte vor der Ehe bewahrt werden. Die Männer starren ihr ungeniert auf den recht umfänglichen Busen, und seit ihr ein Fürwitziger bei Regenwetter seinen Schirm angeboten hatte, geht sie nie mehr ohne einen solchen aus; der Schreck darüber saß ihr noch lange in den Gliedern. Charlotte hat am meisten unter der Verschrobenheit der Mutter zu leiden. Als alte Frau jedoch ist Marguerite duldsamer, und es gelingt ihr, sich von den selbstauferlegten Zwängen zu befreien, in dem Bewußtsein, daß in ihrer Enkelin, Jeans Tochter, eine Spur von ihr fortleben wird.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1978
Aus dem Französischen übersetzt von Klaus Nöckler
Mit einer Nachbemerkung von Irene Zimdahl
Edition Neue Texte

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